Der Dokumentarfilm »Der Gipfel - Performing G20«

Die Straße als Protestbühne

Der Film »Der Gipfel – Performing G20« dokumentiert die Performances und Kunstaktionen gegen den G20-Gipfel in Hamburg im vergangenen Jahr. Auch die Demonstrationen werden thematisiert. Zwangsläufig kommt dadurch auch der umstrittene Polizeieinsatz ins Bild.

Im Abspann von Rasmus Gerlachs Dokumentation »Der Gipfel – Performing G20« werden zehn Kameraleute namentlich genannt; dazu das FCMC, das alternative Medienzentrum, in dem auch Gerlach ehrenamtlich mitgearbeitet hat. Das FCMC hatte versucht, kritische Öffentlichkeitsarbeit zum G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 zu leisten.
In einer Bildsequenz, aufgenommen mitten in der Nacht bei der Räumung eines Straßenfests durch eine Hundertschaft mit Wasserwerfern, kommentiert Rasmus Gerlach beinahe beiläufig, dass er dort so rabiat von einem Polizisten zur Seite geschoben worden sei, dass sein Hausarzt am nächsten Tag einen Rippenbruch festgestellt habe. Auf ­Rasmus’ Nachfrage, ob er jetzt in die Statistik verletzter Demonstranten aufgenommen werde, habe der Arzt geantwortet, es gebe keine solche Statistik, die Stadt Hamburg sammele diese Daten nicht. Im Gegensatz dazu führte die Polizei penibel eine Liste verletzter Beamter. Fast 900 hätten die Chaoten verletzt, raunte es durch die Medien der Stadt von Bild bis hin zum NDR. Gerlach fragte Rafael Behr von der Polizeiakademie Hamburg, wie es zu dieser Zahl gekommen sei. Die Antwort: Da nicht unterschieden werde, ob jemand umgeknickt ist oder von einem geworfenen Stein getroffen wurde, seien die Zahlen derart hoch. Ganz zu schweigen von der hohen Zahl dehydrierter Polizisten, die in ihren schweren Kampfmonturen schwitzend bei den seinerzeit herrschenden sommerlichen Temperaturen in Hamburg kollabierten.

Wer noch den Tenor in den Medien im Gedächtnis hat, wird erstaunt sein, wenn in dieser Dokumentation eine Auswahl der so zahlreichen kreativen Protestaktionen vorgestellt wird. Die haben so gar nichts mit dem Bild von in Hamburg einfallenden Horden des Schwarzen Blocks aus Südeuropa zu tun, die angeblich drauf und dran waren, die Stadt in Schutt und Asche zu legen.

Rasmus Gerlach und seine Kameraleute haben eine Vielzahl von Szenen zusammengetragen, die eine ganz andere Sicht auf die Ereignisse anbieten als die offiziellen Statements von staatlicher Seite. So etwa im Mai vergangenen Jahres die Aussagen des Hamburger Innensenators Andy Grote (SPD), der in der Brandstiftung an 19 Autos auf der Elbchaussee eine »kriminelle Kommando­aktion« zu erkennen meinte, »die sich dem Muster annähert, das wir sonst als terroristische Begehungsweise beschreiben würden«. Oder die des damaligen Ersten Bürgermeisters Hamburgs, des jetzigen Bundesfinanzminister sOlaf Scholz (SPD), der im Juli 2017 kategorisch behauptete, es habe keine Polizeigewalt gegeben.

Wer noch den Tenor in den Medien im Gedächtnis hat, wird erstaunt sein, wenn in dieser Doku­mentation eine Auswahl der so zahlreichen kreativen Protestaktionen vorgestellt wird. Die haben so gar nichts mit dem Bild von in Hamburg einfallenden Horden des Schwarzen Blocks aus Südeuropa zu tun.

Der Film bringt diese Statements mit Aufnahmen von den Tagen zusammen. Zum Beispiel wird die Erzählung des Polizeipressesprechers Timo Zill über die »lebensbedrohliche Situation«, in der er sich am Rande der großen autonomen Demonstration am Donnerstag vor dem Gipfel befunden habe, mit Bildaufnahmen der Ereignisse gegengeschnitten.

Er sei beleidigt worden, habe sich in einen Rettungswagen flüchten müssen, der dann belagert worden sei. Die Türen seien immer wieder aufgerissen worden, nur mit Mühe seien sie in dem Wagen entkommen. In den entsprechenden Filmsequenzen stellt sich die Situation anders dar: ein Rettungswagen, der ohne Blaulicht langsam rückwärts vom Fischmarkt wegfährt, drumherum sammeln sich locker Demonstranten. Ab und zu klopft jemand mit der flachen Hand an die Seite des Rettungswagens, einmal öffnet jemand die Tür.

Eine Protestwoche voll von Widersprüchen ist im Film »Der Gipfel – Performing G20« zu sehen. Vieles, was gezeigt wird, dürfte mit den Erinnerungen derjenigen übereinstimmen, die dabei waren, auch wenn sie manches vielleicht anders bewerten würden. Das aber liegt in der Natur der Sache. Niemand hätte überall dabei sein können – nicht nur wegen der Versuche der Polizei, die Bewegungsfreiheit für Protestierende einzuschränken, sondern auch, weil an den Protesten fast alle Gruppen der Bewegungslinken teilnahm. Zusätzlich agierten auch viele Aktionskünstler und Performer, die den Asphalt in ein Straßentheater verwandelten.

Die Musikerin Laurie Anderson, die kurz nach dem Gipfel in Hamburg auftrat, erzählt in einem Interview im Film, sie habe in Manchester, wo sie zuvor war, viele unterschiedliche Berichte zu Hamburg gesehen und gelesen. Sie kommt zu der Einschätzung, der Protest, obwohl an manchen Stellen verhindert, sei nicht erfolglos gewesen, es habe doch »wunderschöne Protestformen von den Demonstrierenden« gegeben. Im Gespräch mit Rasmus Gerlach sagt sie auch: »Man kann die Menschen besser unterdrücken mit der Ausrede, sie seien gewalttätig. Gewalt ist ein Vorwand für Repression.« Laurie Anderson hat über den G20-Gipfel eine Musiksequenz komponiert, die im Film zu Bildern von Polizeigewalt abgespielt wird.

Der Film fängt die Stimmung in diesen flirrenden Tagen gut ein, an denen es nicht nur sommerlich warm war, sondern überall Menschen voller Erwartungen aufeinander­trafen. Es war ein urbanes Fest. Hier schien auf, wie es in der Stadt auch zugehen kann, wenn in den Vierteln rund um die Messehallen im Karo­linenviertel, wo der G20-Gipfel tagte, Platz auf den Straßen ist für Begegnungen. Bis spät in die Nacht wurde diskutiert, gefeiert, protestiert.

Im Film kommt auch der Abend der brennenden Barrikaden im Schanzenviertel ausführlich vor, ebenso die Brandstiftung an 19 Autos an der Elbchaussee am Freitagmorgen. Diese Brandstiftung, die fernseh­gerechte Rauchwolken und qualmende Autowracks produziert hat, wurde in den Medien als Symbol für den Terror linker Protestierender präsentiert. Kaum die Rede war davon, dass zuvor bereits fünf Tage die ­Polizeiführung auf die meisten unkontrollierten Proteste – also allen mit Ausnahme der von den Hamburger Regierungsparteien SPD und Grünen sowie dem DGB und den Kirchen organisierten Demonstration »Hamburg zeigt Haltung« – mit ­Eskalation und Repression reagiert hatte. Auch der zivile Ungehorsam wird gezeigt, der Mut, mit dem sich Kleingruppen, Künstler wie Blockadeteilnehmer den schwerbewaffneten Polizeitrupps entgegenstellten, im Wissen darum, dass Pfefferspray, Reizgas, Polizeiknüppel und Wasserwerfer ohne Vorwarnung eingesetzt werden könnten.

Ein Schlüsselereignis ist im Film die Zerschlagung der großen Demons­tration »Für eine solidarische Welt und gegen den G20« des Bündnisses »Welcome to Hell« am Donnerstag direkt vor dem Gipfel. Auf der Flutschutzmauer filmte eine Kamera­frau souverän, wie neben ihr zahlreiche Demonstranten aus dem Schwarzen Block die Mauer hochkletterten, wie ihnen von oben die Arme entgegengestreckt wurden, während die Polizei sich von der anderen Seite auf die Demonstranten zubewegt und körperlich auf sie einwirkte. Zum Glück kam es nicht zu einer Massenpanik. Die Polizei war hier nicht auf Festnahmen aus, ­sondern drosch auf die Leute ein, unter denen sie den harten Kern der autonomen Linken vermutete. »Die wollten uns nicht verhaften, sondern möglichst viele schwer verletzen«, sagte ein dabei in Mitleidenschaft Gezogener Monate später im Gespräch mit der Jungle World. ­Einer Frau aus der Tanzgruppe »Alles Allen!«, die hinter den vorderen Blöcken lief, wurde an diesem Abend ein Bein gebrochen. Im Film gibt es ­einen Suchaufruf nach Videomaterial und Zeugenaussagen.

»Der Gipfel – Performing G20« macht keinen Hehl daraus, ein parteilicher Film zu sein. Parteilich für eine Kritik des G20-Gipfels, eine Kritik der Abschottung gegen Flüchtlinge, parteilich für kreative Protestformen, für Meinungsfreiheit.

 

Der Gipfel – Performing G20 (Deutschland 2017). Regie: Rasmus Gerlach