Freddie Mercury hat sein ­Coming-out als Kinostar

Grüß die Jungs von mir

Der Film »Bohemian Rhapsody« zeigt in einer Melange aus Coming-out-Film und Biopic das Leben des Queen-Sängers Freddie Mercury.

Farrokh Bulsara aus Sansibar weiß, was er will. Er ist auf der Suche nach einer Bühne, um sein großes Ego zu präsentieren. Dieses Ziel erreicht er im London der Siebziger: Mit etwas Überredungskunst wird er erst Sänger einer Studentenband, dann kommt das erste Album, es winkt ein großer Plattenvertrag und schlussendlich wird der Bub weltberühmt. Es folgen größere Touren, Aufnahmen, eine Zeit in München, eine Solophase ohne Band, die schließlich ihre Reunion beim Live-Aid-Auftritt im Wembley-Stadion 1985 feiert. So in etwa sieht die Filmreise aus, die man mit »Bohemian Rhapsody« antritt und deren zentrale ­Figur Farrokh Bulsara niemand anderes ist als Freddie Mercury, Sänger der Band Queen.

Rami Malek verkörpert Mercury mit unwider­stehlichem Augenleuchten, singt glockenhell oder wie besessen, spielt mit Wucht und Selbstironie gegen die ihm aufgezwungene Zahnprothese an.

Das titelgebende Lied brach bei ­Erscheinen 1975 mit allen gängigen Formeln der Rockmusik. Außerdem behaupten unzählige Fans im Internet, »Bohemian Rhapsody« sei das verrätselte musikalische Coming-out Mercurys gewesen. Der gleichnamige Film, der zwölf Jahre lang angekündigt war und nun dieser Tage anläuft, ist ein Genrehybrid geworden, der mithilfe des Coming-out-Films das moderne Biopic aufmischt: So wie im bombastischen Rocksong Mercurys Pianospiel strukturgebend ist und Gitarre und Bass sich ihm nur anpassen, so ist auch die flotte filmische Popikonisierung von Queen nur Begleitmusik für die Lebensgeschichte Mercurys, die Struktur und Rhythmus des Films bestimmt. Schon allein für diese Entscheidung, mit der die Queen-Musiker Brian May und ­Roger Taylor hier vor ihrem ehemaligen Frontmann und dessen Fans den Hut ziehen, muss man ihre Arbeit als Mitproduzenten des Films »Bohemian Rhapsody« hoch anerkennen.

Rami Malek verkörpert Mercury mit unwiderstehlichem Augenleuchten, singt glockenhell oder wie besessen, spielt mit Wucht und Selbstironie gegen die ihm aufgezwungene Zahnprothese an. Er ist als der ungeoutete Schwule Kenny in »The War at Home« bekannt geworden, bevor mit »Mr. Robot« sein Durchbruch kam. Er kokettiert seit Jahren mit der ihm unterstellten Homosexualität.
Derart kokett verhält sich auch der Regisseur zum Sujet. Bryan Singer hat seit Jahren Klagen wegen des mutmaßlichen Missbrauchs junger Männer am Hals und ist mit sexueller Uneindeutigkeit und einem Doppel­leben bestens vertraut. Da erscheint sein Wissen über deviante Super­talente und Körpermutationen, die er aus der »X-Men«-Filmreihe mitbringt, fast nebensächlich. Doch haben die Produzenten in Singer einen von körperlicher Normabweichung faszinierte Regisseur gefunden, dem wenig daran lag, Mercurys körperlichen Verfall zu zeigen.

Der Sänger selbst zog es vor, andere Bilder von sich zu hinterlassen als solche, die er im Bekanntenkreis, in Hospitalfluren und Zeitungen viel zu oft sehen musste. Männer, deren Schwulsein sich zwangsläufig über den von der Krankheit gezeichneten Körper zeigte, gibt es eine Menge. Freddie Mercury teilte ihr Schicksal, infizierte sich mit dem HI-Virus und starb 1991 an Aids, die sichbaren ­Anzeichen der Krankheit verbarg er bis zuletzt hinter dickem Make-up.

Singer und sein Kameramann Newton Thomas Sigel, ebenfalls »X-Men«-erprobt, lassen das Ungesehene ungesehen und nutzen stattdessen den Körper als Metapher für eine weitaus subtilere Erzählung des Wandels, des Einsinkens und Ausdrückens von Erkenntnissen des Sängers. Wer den Film für identitätspolitische Zwecke vereinnahmen will, muss nicht nur an dieser Subtilität scheitern. Solch brachiales Fordern posthumen Stellvertretertums für das Leiden der Schwulen würde außerdem den Geständniszwang wiederholen, dem sich Mercury stets verweigerte.

Wenn Freddie Mercury an irgendetwas gelitten hat, dann an stetig raumgreifender Heterosexualität – so scheint der Film es manchmal sagen zu wollen. Wunderschön erkennbar ist das neben den klischeehaften ­Dialogen mit den Eltern auch daran, wie humorlos die Bandkollegen und Manager auf seine spitzzüngige Schlagfertigkeit reagieren. Derart von Spaßbremsen umgeben, bleibt ihm lange Zeit kein Raum, um sich über seine Sexualität klar zu werden.

 

Mercurys Heterosexualität beschränkt sich im Film auf äußerst dröge Zärtlichkeiten mit seiner ­Lebensliebe Mary Austin. Zur Darstellung dieser Liebesbeziehung greifen die Macher auf Musical­elemente oder märchenhafte Kulissen zurück, um die Heim- und ­Geborgenheitsphantasien Mercurys ins Traumhafte und Künstliche zu überhöhen. Ansonsten wird der Sänger als jemand dargestellt, der lange im Privaten von allen außer sich selbst für schwul gehalten wird. Der Umstand, dass er mit Queen auf dem Höhepunkt des Glamrock berühmt wurde, machte ihm die Bühne für Jahre zwar zum Raum der Selbstdarstellung, seiner sexuellen Selbstfindung war das aber nicht wirklich hilfreich, obwohl und weil er ein Typ mit Spandexanzügen und Plateauschuhen unter vielen war. Das ändert sich mit der ersten US-Tour. »Say hi to the boys for me«, bittet ihn Mary telefonisch. Er tut es, allerdings nicht nur zu den von ihr gemeinten Bandkollegen.

Es dauert lange, bis das, was ­Mercury in seinen exzentrischen Bühnenauftritten sublimiert, wie ein Echo zu ihm zurückkommt. Dieser Prozess trägt die erste Hälfte des Films. Dabei kommentiert der Sound­track Mercurys Wandlung, während stets andere das Schwule an ihn herantragen: ein Flirt, ein Kuss, das Outing. Mary Austin outet Mercury unter vier Augen als schwul, korrigiert ihn, als er sagt, er sei bisexuell. Währenddessen ­brüllen aus dem Fernseher Hunderttausende Queen-Fans ins Wohn­zimmer und scheinen damit ihr Idealbild und die heterosexuelle Hoffnung auf die große monogame Liebe entgegen aller inneren Widerstände im Sänger aufrechterhalten zu wollen: »Love of my life, don’t leave me«, singt Mercury im gleichnamigen Song auf dem Album »A Night at the Opera« von 1975.

Während das Biopic solche Ereignisse als innere Spaltungen und ­Leidensdruck beschwört (»Under Pressure«, ernsthaft?), um Exzess und Absturz zu legitimieren, verlangt der Coming-out-Film hier innere Ganzheit, Erleichterung und ein Hoch, das Mercury vor möglicher Patholo­gisierung bewahrt. Wenn der King of Queen dann nach Orgie, Suff und Mummenschanz im Dämmerlicht am Fenster steht, sollte man ihn ­deshalb besser gegen das Klischee des gespaltenen traurigen Clowns verteidigen, darum wissend, dass er nur ordentlich verkatert ist und ihm seine beste Freundin fehlt, aber nicht sein Dasein als Heteromann.

Gleiches gilt für den Bandstreit im Tonstudio kurz vor Aufnahmebeginn für Mercurys Soloalbum »Mr. Bad Guy«. Hier verteidigt die unterschwellige Coming-out-Erzählung des Films Freddie Mercury gegen das gängige Biopic-Klischee des ego­manischen Exzentrikers, der vom Wege abkommt und die Band ­gefährdet. Denn wer mit schwulem Blick schaut, weiß, dass Typen, die leidenschaftlich auf ihre Gitarre eindreschen und ihre Autos abgöttisch lieben, auf Dauer nicht das Verlangen nach Drama, Discobeats und Tanz befriedigen können. Also: »Let’s go chasing rainbows in the sky.«

Von diesem Genrekontrast lebt »Bohemian Rhapsody« und beweist, dass May und Taylor ihr Versprechen gehalten haben, innerhalb der Rockgeschichte, die Queen schrieb, auch das facettenreiche Leben Mercurys so zu porträtieren, dass es ihm gerecht wird. Dass da überhaupt noch etwas über Mercury zu erzählen ist, das nicht schon tausendmal lauwarm aufgewärmt in Fernsehdokumentationen zu sehen war, das hätten viele nicht gedacht. Aber doch ist den ­Machern dies gelungen: eine ­Geschichte, knackig wie ein Hintern in einer engen Jeans.

»Formulas are a complete and utter waste of time« echauffiert sich ­Mercury im Gespräch mit dem Plattenboss und nimmt damit schon früh im Film den Bruch mit der Biopic-Formel vorweg. Denn die endet üblicherweise mit dem Tod. Mit den Ereignissen der Jahre 1984/85, also dem berühmten Live-Aid-Auftritt in London sowie Mercurys HIV-Infek­tion und der Unterrichtung der übrigen Band davon, endet der Film sechs Jahre vor Mercurys Tod 1991. Zwar fallen damit zum Leidwesen vieler Fans seine Solojahre und das Spätwerk von Queen weg, aber Bryan Singer, May, Taylor und die Autoren konnten so die Geschichte ­eines Mannes erzählen, der sowohl mit seiner Sexualität als auch mit seiner Krankheit ins Reine kam, und die letzten Jahre seines Lebens als das gesehen werden wollte, was er war: eine Sexmaschine, ein groß­artiger musikalischer Unterhalter. Rami Malek lässt zum Schluss ­­nochmal die Sau raus und küsst die ­Kamera. Der Rest ist Musik: zehn ­Minuten Konzert. »Don’t stop me now!«

Bohemian Rhapsody (USA 2018). Regie: Bryan Singer. Kinostart: 31. Oktober