In Russland werden Geständnisse von Antifaschisten durch Folter erzwungen

Die Folterer brauchen keine Fälscher

Die staatlichen Repressionsorgane in Russland erzwingen vermehrt durch Folter Geständnisse von Antifaschistinnen und Antifaschisten. Gefälschte oder fabrizierte Beweismittel sind damit nicht mehr nötig.

Fast täglich gibt es Meldungen über festgenommene Oppositionelle in Russland. Manche kommen wieder frei, gegen andere werden Strafen auf Bewährung verhängt oder man fordert von ihnen hohe Geldbußen ein. Neue Strafparagraphen warten auf ihre Anwendung und bieten fin­digen Gesetzeshütern reichlich Handlungsspielraum. Betroffene sind auf ­Solidarität angewiesen, um nicht komplett unter die Räder zu geraten. Normalität und Ausnahmezustand lassen sich nicht mehr eindeutig unterscheiden. Repression gehört zum Alltag, hält jedoch immer wieder Überraschungen parat.

Anarchisten und Antifaschisten sind bevorzugte Opfer der Polizeibehörden. Da verwundert es wenig, dass mit Asat Miftachow ein weiterer politischen Gefangener aus dieser Szene kommt. Warum es ausgerechnet den 25jährigen Doktoranden der renommierten mechanisch-mathematischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität getroffen hat, erschließt sich nur bedingt. Bezeichnend sind die Vorgeschichte und die Umstände seiner Festnahme. Es brauchte mehrere Anläufe, bis sich ein Haftrichter von den dürftigen Verdachtsmomenten gegen Miftachow überzeugen ließ und vergangene Woche Untersuchungshaft verhängte – dass das nicht auf Anhieb gelingt, kommt im russischen Justizwesen höchst selten vor.

Mehrere Personen bestätigten, am Körper Asat Miftachows Spuren von Misshandlungen gesehen zu haben. Er selbst berichtete, er sei geschlagen und mit einem Dreh­schrauber malträtiert worden.

Mitte Januar tauchte Miftachows Foto samt Passkopie in einem Kanal des Messenger-Dienstes Telegram auf, den nach Angaben eines der Betreiber vormalige Angehörige diverser russischer Sicherheitsdienste nutzen, um Innenansichten aus ihren Behörden einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Was seriös klingen mag, bedeutet in der Praxis, dass über den Kanal nicht selten Warnungen und Drohungen Verbreitung finden. Miftachow solle mit dem ganzen Quatsch aufhören und sich bloß nicht die Finger verbrennen, hieß es da – verbunden mit einem Gruß an die »Onanierer« der anarchokommunistischen Organisation »Volksselbstver­teidigung«. Ein paar Tage darauf wurde Miftachows Wohnheimzimmer in der Universität durchsucht, wobei die Polizei etliche Gegenstände beschlagnahmte, ohne allerdings den Bewohner anzutreffen.

Erst am 1. Februar erfolgte Miftachows erste Festnahme. An diesem Tag fanden in Moskau und Umgebung mehrere Hausdurchsuchungen statt, etliche Personen aus dem antifaschistischen Milieu wurden verhört. Einer von ihnen, Daniil Galkin, bestätigte, nachdem er nach eigenen Angaben mit Elektroschocks malträtiert worden war, was die Fahnder in Zivil von ihm hören wollten. Nämlich, dass der Dok­torand womöglich mit der Anfertigung von Sprengstoff zu tun gehabt habe, den die Polizei vor einem Jahr in einem Moskauer Vorort sichergestellt haben will. Der Fernsehsender REN-TV berichtete da bereits von einem Geständnis Miftachows, der Experimente mit Azetonperoxid zugegeben haben soll.

Erst am dritten Tag erhielt Miftachows Anwältin Zugang zu ihm. Zuvor war sein Aufenthaltsort unbekannt. Die Ermittler nutzten die Zeit, um den Doktoranden, für den sich inzwischen bekannte Mathematiker und sogar der US-amerikanische Publizist Noam Chomsky einsetzen, zu einer Aussage zu bewegen. Mehrere Personen bestätigten, an seinem Körper sichtbare Spuren von Misshandlungen gesehen zu haben. Miftachow selbst berichtete, er sei geschlagen und mit einem Drehschrauber malträtiert worden. Ihre Drohung, das Werkzeug in seinen Anus zu stecken, haben die Männer nicht wahrgemacht. Für den 7. Februar war erneut ein Haftprüfungstermin angesetzt. Die zuständige Ermittlerin zog kurzfristig ihren Haftantrag zurück und ließ Miftachow gehen. Auf der Straße wurde er sofort erneut in Polizeigewahrsam genommen diesmal wegen Hooliganismus, worauf bis zu sieben Jahre Haft stehen.

Erneut reichte es anfangs nicht für einen Haftbefehl. Ein anonymer Belastungszeuge – ein Phänomen, das es in Russland in vielen politischen Verfahren gibt – behauptet, Miftachow habe Ende Januar 2018 eine Gruppe junger Leute befehligt, die im Norden Moskaus eine Fensterscheibe eines der Büros der Regierungspartei »Einiges Russland« demoliert und eine Rauchbombe hineingeworfen haben sollen. Den Verdächtigen habe er anhand seiner Augenbrauen wiedererkannt. Bei der Polizei habe er sich nicht gleich gemeldet, weil der Akku seines Handys leer gewesen sei. Danach sei er zu beschäftigt gewesen. Als weiteres Indiz für den Wahrheitsgehalt dieser fragwürdigen Aussage wertete die Staatsanwaltschaft eine Notiz des Zentrums für Extremismusbekämpfung, das den Beschuldigten als Mitglied der »Volksselbstverteidigung« führt.

In der antifaschistischen Szene ist die Gruppe nicht unumstritten. Aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich Strafermittlungen immer häufiger gezielt gegen der »Volksselbstverteidigung« nahestehende Personen richten. Miftachow bestreitet alle Vorwürfe und macht von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch.

In der Vergangenheit kam es vor, dass Vertreter von Polizeibehörden Mitgliedsausweise und sogar die Satzung einer antifaschistischen Gruppe selbst erstellt haben, um »Beweismittel« vorlegen zu können. Solche Mühe macht sich mittlerweile kaum einer mehr. Dafür gibt es andere Methoden, die sich als deutlich effek­tiver erwiesen haben. Weit über die Hälfte der Strafprozesse in Russland werden nach einer gesonderten Verfahrensweise abgehandelt. Die Strafprozessordnung sieht bei Delikten mit einem Höchststrafmaß bis zu zehn Jahren Haft eine spezielle Regelung vor, die ein Schuldeingeständnis voraussetzt und den Ermittlern die Arbeit enorm erleichtert, da sich die Beweisführung zum Tathergang dann erübrigt. Auf das Urteil selbst wirkt sich das in der Regel nicht aus. So lassen sich Angeklagte wohl weniger von naiver Hoffnung auf mildernde Umstände leiten als von Resignation und der Einsicht, dass sich der Aufwand nicht lohnt, den eine professionelle und kostspielige Verteidigung mit sich brächte.

In nicht wenigen Fällen sind die ersten Stunden nach der Festnahme ausschlaggebend, noch bevor sich die Staatsanwaltschaft einschaltet; also der Zeitraum, der dem Inlandsgeheimdienst FSB und anderen Polizeibehörden zur unkontrollierten Verfügung steht. Körperlich misshandelt wurde offenbar auch der Antifaschist Igor Schischkin. Andere Angeklagte im Terrorismusverfahren gegen das sogenannte Netzwerk in Pensa und Sankt Petersburg machten öffentlich, dass sie gefoltert worden waren, und versuchen, mit juristischen Mitteln gegen ihre Peiniger vorzugehen. Schischkin ließ sich auf einen Deal mit den Behörden ein und wurde im Januar in einem vorgezogenen Prozess zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.