Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll ausgebaut werden

Gerangel der Grenzschützer

Derzeit debattiert das EU-Parlament über einen Gesetz­entwurf mit dem Ziel, die EU-Grenzschutzagentur Frontex auszubauen. Kritisiert wird der Entwurf nicht nur von Menschenrechtlern, sondern auch von der europäischen Rechten, die nationalstaatliche Kompetenzen nicht an die suprastaatliche Agentur abgeben will.

Seit im Spätsommer 2015 viele Flüchtlinge nach Europa fliehen und somit den Kriegen und dem Elend in ihren Herkunftsländern entkommen konnten, mobilisiert die europäische Rechte für die Schließung der EU-Außengrenzen. Waren es im Jahr 2015 nur Ungarn und Polen, die vehement die Schließung der Grenzen forderten und diese auch vollzogen, so herrscht mittlerweile in fast allen Mitgliedsstaaten Einigkeit, dass die EU-Außengrenzen abgeschottet bleiben sollen.

Derzeit debattiert das Europäische Parlament über einen Gesetzentwurf, der bereits auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Salzburg im September 2018 vorgestellt wurde. Es geht in erster Linie darum, die EU-Grenzschutzagentur Frontex auszubauen – obwohl dem jüngsten Bericht von Frontex zufolge seit 2015 jedes Jahr weniger Menschen auf irregulärem Weg in die EU gekommen sind. So seien im vergangenen Jahr 150 114 Migrantinnen und Migranten »illegal« in die EU eingereist, über ein Viertel weniger als 2017, als bereits weniger Menschen als im Jahr zuvor gekommen waren. Für die wenigen Flüchtlinge, die es noch nach Europa schaffen, ist eine gerechte und gleichmäßige Verteilung auf die EU-Staaten nicht in Sicht. In den Ländern mit EU-Außengrenzen werden sie oft gezwungen, in menschenunwürdigen Unterkünften zu leben, wie beispielsweise auf den griechischen Inseln. Eine Weiterreise in ein anderes EU-Land wird ihnen untersagt.

Besonders problematisch ist, dass Frontex keiner wirksamen parla­men­tarischen Kontrolle unterliegt.

Der Gesetzentwurf soll noch vor den Europawahlen Ende Mai verabschiedet werden. Bestand die Aufgabe von Frontex bislang darin, den Schutz der EU-Außengrenzen zu koordinieren und Lageeinschätzungen für die Mitgliedsstaaten zu erstellen sowie Grenzschutzpolizisten auszubilden, soll Frontex nun eine selbständig agierende EU-Grenzschutzpolizei mit weitreichenden Befugnissen werden. Kern des Vorhabens ist die Vergrößerung des Mitarbeiterstabs von Frontex von derzeit 1 300 auf 10 000 bis 2027. Die EU-Kommission wollte diese Personalstärke ursprünglich bereits bis 2020 erreichen. Der Etat der im Jahr 2004 gegründeten EU-Agentur stieg seither kontinuierlich und betrug 2017 302 Millionen Euro. Für die Jahre 2019 und 2020 sollen Frontex Mittel in Höhe von 1,3 Milliarden zur Verfügung stehen, für die Jahre 2021 bis 2027 über elf Milliarden Euro. Die Agentur soll unter anderem eigene Fahrzeuge, Schiffe, Hubschrauber und Flugzeuge erhalten.

Zudem ist eine erhebliche Erweiterung der Befugnisse geplant. Frontex soll in Zukunft eigenständig Grenzen sichern und in den EU-Mitgliedsstaaten selbständig tätig werden sowie hoheitliche Aufgaben übernehmen können, die bislang nur den Staaten selbst vorbehalten sind. Mitarbeiter von Frontex sollen künftig an den EU-Außengrenzen Ausweise kontrollieren und somit darüber entscheiden, ob eine Einreise in die EU gestattet wird. Die Grenzschutzagentur soll illegale Einwanderer identifizieren, Ausreisedokumente organisieren und sogar Abschiebungen vornehmen. Zu diesem Zweck kann Frontex temporäre Zweigstellen in EU-Mitgliedsstaaten eröffnen. Letztlich soll die Agentur auch gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten auf deren jeweiligen Territorien tätig werden dürfen und damit supranationale Interventionsrechte erhalten. Auch Nicht-EU-Staaten sollen von Frontex bei Abschiebungen unterstützt werden. Das könnte bedeuten, dass Mitarbeiter einer EU-Agentur die vielfach kritisierte libysche Grenzschutzpolizei bei Abschiebungen aus Libyen unterstützen. Vor zwei Jahren sprach das Auswärtige Amt, auf einen Bericht der deutschen Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey Bezug nehmend, von »KZ-ähnlichen Verhältnissen« in ­libyschen Gefängnissen für Flüchtlinge.

Kritiker befürchten zudem, dass das Gesetzesvorhaben die private Seenotrettung von Flüchtlingen weiter ­erschweren und sogenannte push backs legalisieren, die Zurückweisung von Flüchtlingen auf hoher See oder an Landgrenzen, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, Asyl zu beantragen. Im Dezember 2018 belegten über 130 Videos der Gruppe »Border Violence Monitoring« solche illegalen push backs an der EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Bosnien. Auch im Mittelmeer wurden solche Zurückweisungen dokumentiert.

Besonders problematisch ist, dass Frontex keiner wirksamen parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Die Überprüfung der Einhaltung von Menschenrechten obliegt dem Frontex Consultative Forum, dem unter anderem Vertreter von Kirchen, des ­UNHCR, des European Asylum Support Office und von Amnesty International angehören – jedoch keine Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Selten haben Medienvertreter die Möglichkeit, über die Zentrale von Frontex in Warschau zu berichten, oder bekommen Interviews gewährt. Über die Arbeitsweise von Frontex ist wenig bekannt.

Was dem Gesetzentwurf noch im Weg stehen könnte, ist die europäische Rechte, deren Vertreter auf keinen Fall Befugnisse an das verhasste »EU-Regime« abgeben möchten. Vergangene Woche hetzte die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán in einer Plakatkampagne gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und George Soros, denen sie vorwarf, die illegale Migration nach Ungarn fördern zu wollen. Statt der EU-Kommission die Verantwortung für die Migrationspolitik zu übertragen, müsse man »ein gesondertes Gremium schaffen, in dem ausschließlich nur die Innenminister der Schengen-Zone vertreten sind«, sagte Orbán am Wochenende der Welt am Sonntag.

So kann es gut sein, dass Europaabgeordnete von Orbáns Partei Fidesz den Gesetzentwurf ablehnen. Auch Italiens Regierung wird sich kaum mit dem Gedanken anfreunden können, dass Frontex mit quasi-hoheitsrechtlichen Befugnissen in Italien eigenständig tätig werden soll.