Der Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine wird immer härter geführt

Mit harten Bandagen

Stimmenkauf, Korruptionsskandale, rechte Gewalt: Gut zwei Wochen vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl wird der Wahlkampf immer härter geführt.

Für den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko war es ein Wahlkampfauftritt wie jeder andere – bis etwa 100 teils vermummte Schläger den Platz betraten. In der südöstlich von Kiew gelegenen Provinzhauptstadt Tscherkassy sprach der ukrainische Oligarch, der seit über vier Jahren Staatsoberhaupt ist, am Samstag über die Notwendigkeit, angesichts des Kriegs in der Ostukraine den Kurs zu halten – mit ihm an der Staatsspitze.

Die Polizei veröffentlichte ein kurzes Video der folgenden Straßenschlacht. 20 Polizisten seien danach im Krankenhaus behandelt worden. Als der Präsident mit seiner Autokolonne davonfuhr, stürmten die Militanten die leere Bühne. Einige trugen die Uniform der »Nationalen Miliz«, der organisierten Bürgerwehr der rechtsextremen Asow-Bewegung.

Poroschenko kämpft um seine Wiederwahl. Die Bevölkerung ist desillusioniert und lehnt ihn mehrheitlich ab. Bei Umfragen liegt er Kopf an Kopf mit seiner alten Rivalin, der Oligarchin Juljia Tymoschenko. Aber beide werden überflügelt von dem Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj, der noch nie ein politisches Amt bekleidet hat, jedoch mit über 25 Prozent der Wählerstimmen die Umfragen anführt.

Ende Februar hatte ein Korruptionsskandal den Präsidenten diskreditiert. Sein alter Geschäftspartner Oleh Gladkowskij, stellvertretender Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, soll gemeinsam mit seinem Sohn Millionen aus dem Rüstungshaushalt unterschlagen haben. Die gut belegten Vorwürfe trafen den Präsidenten empfindlich, denn die Wiederaufrüstung war eine der wenigen Leistungen seiner Amtszeit. Im Wahlkampf präsentiert er sich als der verlässliche Oberkommandant, der die Ukraine schützen kann.

Am Vormittag hatten mehrere Tausend Asow-Anhänger mitten in Kiew gegen die Regierung protestiert. Auch hier war es zu Kämpfen mit der Polizei gekommen.

»Gestern sind wir auf den Maidan gegangen. Heute sind wir zum Präsidentenpalast gegangen«, rief in Tscherkassy der Neonazi Dmitri Koharchuk wütend ins Mikrophon. Eine Frage richtete er an den in seinem Autokorso fliehenden Präsidenten: »Warum hat Gladkowskij noch seine Hände?« Er spielte damit auf einen bekannten Ausspruch des Präsidenten an, der einmal versprochen hatte, er werde jedem die Hände abhacken, der sich am Rüstungsbudget vergreift.

Mit Poroschenko und Tymoschenko stehen sich zwei bitter verfeindete ­Politik-Veteranen gegenüber, die mit allen schmutzigen Tricks der ukrainischen Demokratie vertraut sind. Politik zu betreiben, kostet viel Geld, und der politische Prozess wird bestimmt von konkurrierenden Oligarchenclans und politischen Maschinerien, die in der Lage sind, Millionen zu investieren und über wichtige Ressourcen wie Fernsehsender verfügen.

Die rechtsextreme Asow-Bewegung hat damit zwei Wochen vor Wahlbeginn dem Präsidenten den Kampf angesagt. Sie stellte ihm ein öffentliches Ultimatum: Sieben Tage habe er Zeit, um Gladkowskij ins Gefängnis zu bringen.

Der Skandal ist Ausdruck der kleptokratischen Politik, die auch fünf Jahre nach dem Maidan-Umsturz das Land fest in seinem Griff hält. Dass sich daran wenig geändert hat und in den vergangenen Jahren kein hochrangiges Regierungsmitglied wegen Korruption verurteilt wurde, ist einer der Hauptgründe für Poroschenkos Unbeliebtheit. In einer Umfrage gaben 69 Prozent der Befragten an, kein Vertrauen in den Präsidenten zu haben.

Bei der Präsidentschaftswahl spielt die Partei der Asow-Bewegung keine Rolle. Ihr Führer, der Neonazi Andreij Biletskij, ist gar nicht erst angetreten. Doch die Bewegung kann Tausende gewaltbereiter Männer auf die Straße bringen. Am 31. März wollen sie, wie zivilgesellschaftliche Gruppen auch, als Wahlbeobachter zur Stelle sein.

Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow verurteilte die Gewalt des Wochenendes, brachte aber gleichzeitig zum Ausdruck, dass sie einem berechtigten Anliegen entspringe. »Ich bitte die echten Patrioten, an das Land zu denken und eine Spirale des Hasses und des Chaos zu vermeiden, die unser Land so sehr zerstört hat wie die Korruption, gegen die sie zu Recht pro­testieren«, schrieb er in einer Stellung­nahme.

Awakow kontrolliert Polizei und Nationalgarde, die den Ablauf der Wahlen überwachen werden. Er hat sich längst vom Lager des Präsidenten gelöst und sucht offenbar die Nähe zu anderen politischen Kräften. Die Asow-Bewegung ist mit dem Innenministerium verbandelt. Agitiert sie gegen den Präsidenten, um einem seiner Gegner zum Sieg zu verhelfen?

Der Inlandsgeheimdienst SBU, der dem Präsidenten untersteht, soll ebenfalls mit Rechtsextremen kooperieren. Das behaupten zumindest ukrainische Journalisten – und der Innenminister selbst. Sie wollen belegt haben, dass der Inlandsgeheimdienst die Störung einer Kundgebung der Präsidentschaftskandidatin Julija Tymoschenko in Kiew im Februar durch Neonazis der Gruppierung S14 organisiert habe.

Verbindungen zwischen ultranationalistischen Verbänden und den Sicherheitsbehörden sind seit dem Maidan-Umsturz fast institutionalisiert und einer der Gründe für die »fast totale Straffreiheit«, mit der gewalttätige Nationalisten agieren können, wie es 2018 mehrere prominente internationale Menschenrechtsorganisationen in einem offenen Brief an die ukrainische Regierung ausdrückten. Bisher traf die rechtsextreme Gewalt allerdings neben den Unterstützern des Separatismus vor allem linke, feministische und LGBT-Aktivisten sowie im vorigen Jahr oft Roma. Nun sind die Ultranationalisten Teil eines Wahlkampfs, der mit allen Mitteln ausgefochten wird.

Mit Poroschenko und Tymoschenko stehen sich zwei bitter verfeindete ­Politik-Veteranen gegenüber, die mit allen schmutzigen Tricks der ukrainischen Demokratie vertraut sind. Politik zu betreiben, kostet viel Geld, und der politische Prozess wird bestimmt von konkurrierenden Oligarchenclans und politischen Maschinerien, die in der Lage sind, Millionen zu investieren und über wichtige Ressourcen wie Fernsehsender verfügen. So ist der Wahlkampf zwar von echter Konkurrenz geprägt, wirklich demokratisch ist er aber nicht.

Beide Lager werfen einander bereits jetzt vor, systematischen Wahlbetrug vorzubereiten. Nachdem die Polizei Wahlbüros von Poroschenkos Partei durchsucht hatte, sagte Innenminister Awakow Ende Februar, es gebe Hinweise auf ein gigantisches Betrugssystem, dass 200 000 bezahlte Wahlwerber mobilisieren und bis zu sechs Millionen Wähler erreichen soll. Sogleich schlug der dem Präsidenten unterstehende Inlandsgeheimdienst zurück und warf dem Lager Tymoschenkos ebenfalls die Einrichtung eines Pyramidensystems vor.
 

 

Poroschenko hat als amtierender Präsident den Vorteil, über die Ressourcen des Staats zu verfügen. Er veranlasste nicht nur eine einmalige Bonuszahlung in Höhe von 80 Euro an die bitterarmen ukrainischen Rentner, sondern soll auch loyale Regionalregierungen ermuntert haben, Geld aus Sonderfonds an mögliche Wählerinnen und Wähler zu verteilen.

Um zumindest seinen kleinen Unterstützerkreis bei Laune zu halten, stützt sich Poroschenko – seinem Wahlspruch  »Armee, Sprache, Glaube« folgend – auf nationalistische Identitätsfragen wie die Schaffung einer unabhängigen Ukrainischen Orthodoxen Kirche oder die sprachliche Ukrainisierung des öffentlichen Raums. Vor allem aber präsentiert er sich als Garant für die Sicherheit der Nation und versucht seine Konkurrenten mit Instabilität und Unsicherheit in Verbindung zu bringen.

Das hat ihn wohl auch für seine westlichen Unterstützer attraktiv gemacht, die Poroschenko trotz allem offenbar als zumindest bekanntes Übel favorisieren. »Was ich nicht mag, ist die Stille des Westens, während im ganzen Land versucht wird, die Wahlen durch Bestechungsnetze zu manipulieren«, kritisierte der Parlamentsabgeordnete Serhij Leschtschenko, der dem liberalen Reformlager zugerechnet wird, im Februar auf seiner Facebook-Seite. Offenbar verwendeten »einige westliche Freunde der Ukraine« zweierlei Maß. Es wäre ein »ernster Fehler des Westens«, wenn er einen »korrupten, aber bekannten Kandidaten« unterstützen würde statt wirklich fairer Wahlen.

Die kleine parlamentarische Reformkoalition hat das Lager des Präsidenten mittlerweile verlassen und unterstützt die Kandidatur des ehemaligen Verteidigungsministers Anatolij Hryzenko. Insgesamt spielen die Reformer bei der Wahl jedoch kaum eine Rolle, weil sie keine mächtigen und finanzkräftigen Unterstützer haben.

Die ukrainische Regierung versucht unterdessen, Ängste zu schüren, um Poroschenko als alternativlos erscheinen zu lassen. Die russischen Geheimdienste würden Hunderte Millionen US-Dollar investieren, um mit verdeckten Aktionen den Wahlkampf zu manipulieren, warnte Yehor Bozhok vom ukrainischen Auslandsgeheimdienst. Das Ziel der Russen sei es, um jeden Preis Poroschenko abzusetzen. Außerdem gebe es »Fragen hinsichtlich der Loyalität anderer Kandidaten«.

Es ist fraglich, ob solche Bedrohungsszenarien ausreichen, um die Wählerschaft oder auch die westlichen Geldgeber bei der Stange zu halten. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts Ende Februar, die zum Abbruch Dutzender Verfahren gegen korrupte Regierungsbeamte führte, steigerte die Frustration des Westens. Wenn der ukrainische Staat nicht zumindest Anstalten macht, die kleptokratischen Strukturen einzudämmen, ist das Kreditprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) gefährdet – und damit die Stabilität der Ukraine.

Die US-amerikanische Botschafterin Marie Yovanovitch sagte Anfang März, »die einmalige Gelegenheit für echte Veränderungen, die sich vor fünf Jahren eröffnete«, sei bisher nicht genutzt worden. Auch die Einschüchterung unabhängiger Journalisten durch die Staatsgewalt müsse endlich aufhören.

Die Korruption ist, vielleicht sogar mehr noch als der Krieg, ein Grund für fast alle Probleme der ukrainischen Gesellschaft: für die anhaltende wirtschaftliche Unterentwicklung, die fehlenden Investitionen aus dem Ausland, die Rechtsunsicherheit angesichts korrupter Gerichte und Ermittlungsbehörden. Und Präsident Poroschenko ist eher Teil des Problems als der Lösung.

Sowohl die westlichen Unterstützer als auch die ukrainische Bevölkerung beschäftigt deshalb gerade vor allem eine Frage: Was ist von Wolodymyr Selenskyj zu erwarten? Der mögliche Aufstieg Selenskyjs, der in der Fernsehserie »Diener des Volkes« einen naiven, aber wohlmeinenden Präsidenten spielt, vom Komiker zum ukrainischen Staatsoberhaupt ist Ergebnis der tiefen Verachtung für die etablierten Politiker und Politikerinnen.

Hinter Selenskyjs Kandidatur steht der Oligarch Ihor Kolomojsky, dessen Fernsehsender Selenskyj erst zum Star und dann zum Politiker gemacht hat. Kolomojskyj hat sich mit Poroschenko überworfen und sucht offenbar einen Weg, wieder politischen Einfluss zu gewinnen.

Mittlerweile scheinen ausreichend viele Wählerinnen und Wähler – vor allem jüngere – in Selenskyj eine Alternative zu den seit Jahren in das korrupte System verstrickten Kandidaten Poroschenko und Tymoschenko zu sehen. Während diese sich gegenseitig anfeinden, tourt Selenskyj mit seiner Comedy-Truppe durchs Land, geht kritischen Journalisten aus dem Weg und pflegt sein Saubermann-Image. Da er kaum mit Skandalen belastet ist, kann er überzeugender als viele seiner Rivalen versprechen, nach der Wahl endlich gegen die Korruption vorzugehen. Unter anderem fordert er, die Immunität der Parlamentsabgeordneten abzuschaffen. Berichten zufolge traf Selenskyj sich mit zahlreichen Vertretern der EU und der USA, die mitunter an seiner Unerfahrenheit und seinem vagen Programm verzweifelten. Auch mit der Weltbank und dem IWF tauschte er sich aus und bekannte sich brav zur Fortführung der von diesen Institutionen geforderten Wirtschafts- und Rechtsreformen.

Ob sich Selenskyjs Popularität in einen Wahlerfolg wird übertragen lassen, muss sich allerdings erst noch zeigen. Anders als seine Konkurrenten verfügt er über keine große nationale Organisation und keine Machtnetzwerke. So ist zwei Wochen vor dem ersten Wahlgang noch alles offen und der Wahlkampf tritt gerade erst in seine heiße Phase ein. Die Stichwahl soll erst im April stattfinden – dann sind es nur noch wenige Monate bis zur Parlamentswahl im Oktober.