Tel Aviv bereitet sich auf den Euro­vision Song Contest vor

Ein bisschen Frieden

Von Tal Leder

Der diesjährige Eurovision Song Contests findet nach 20 Jahren wieder in Israel statt. Tausende Fans werden zum Austragungsort nach Tel Aviv kommen. Die Stadt empfiehlt sich damit für neue Großprojekte.

Der 64. Eurovision Song Contest (ESC) wird 2019 in Israel stattfinden. Nach dem Sieg von Netta Barzilai im vergangenen Jahr wird der Wettbewerb vom 14. bis 18. Mai in Tel Aviv ausgetragen. Netta hatte nach dem Sieg zwar »nächstes Jahr in Jerusalem« ins Mikrophon gebrüllt, allerdings wurden schon bald seitens der Regierung Bedenken laut, ob der »bunte ESC« am Shabbat in der heiligen Hauptstadt stattfinden sollte. Am Ende wurde entschieden, die größte Musikveranstaltung der Welt – unter dem Motto »Wage zu träumen« – in Tel Aviv zu präsentieren.

Zum dritten Mal, nach 1979 und 1999, findet der Schlagerwettbewerb in Israel statt. Auch 1980 wäre Israel den Regularien entsprechend Austragungsort geworden, hatte jedoch zugunsten der zweitplatzierten Niederlande auf die Ausrichtung verzichtet. Die israelische Rundfunk- und Fernsehbehörde hatte sich schlicht außerstande gesehen, den Wettbewerb zum zweiten Mal in Folge auszurichten. Da die niederländische Rundfunkanstalt die Veranstaltung dann auf den 19. April legte, der 1980 mit dem israelischen Gedenktag Jom haSikaron zusammenfiel, blieb Israel dem Wettbewerb in Den Haag am Ende fern.

In diesem Jahr sieht sich Tel Aviv dem erwarteten Ansturm von partyliebenden Popmusikfans gewachsen und bereitet sich in Zusammenarbeit mit dem Tourismusministerium logistisch vor.

»Unseren Planungen laufen rund um die Uhr«, erzählt Lior Singer von der Stadtbehörde Tel Aviv. Der 38jährige, der auch die Interessen der LGBT-Community vertritt, ist vom Erfolg der Veranstaltung überzeugt: »Die Hauptvorbereitungen wurden der Firma ›Tel Aviv Global & Tourism‹ unter der Leitung von Eytan Schwartz übertragen, die mit verschiedenen Ministerien in Israel zusammenarbeiten.« Bürgermeister Ron Huldai gründete die PR-Agentur 2012, um den Tourismus in der Stadt zu fördern.

»Das ganze Land freut sich auf die Eurovision. Das ist immer so, denn dann glauben wir kurz, nicht im Nahen Osten zu sein, sondern dass Deutschland und Benelux unsere Nachbarstaaten sind.«

Eine Zeltstadt im Hayarkon-Park wurde organisiert, um genügend Schlafplätze bereit stellen zu können. Schwartz sieht in der Austragung des ESC eine Chance zu zeigen, dass Tel Aviv große Projekte bewältigen kann. Er hofft, dass die Küstenstadt in Zukunft wichtige Konferenzen, große Kulturfestivals und Sportveranstaltungen anziehen wird. Mit einer Investition von sieben Millionen US-Dollar in die Organisation des Song Contests sei man auf dem besten Weg.

»Durch die Eurovision wollen wir zeigen, dass die Stadt eine Botschaft an die Welt sendet, dass sie große internationale Veranstaltungen ausrichten kann«, sagte Schwartz der israelischen Tageszeitung Haaretz. »In diesem Wettbewerb hat sich Tel Aviv noch nicht bewährt. Dies ist die größte Veranstaltung, die es hier jemals gab. Während unserer Planung entwickelten wir Kräfte, die es uns ermöglichen, mehr als nur Gastgeber zu sein.«

Kritik übten die Veranstalter am Verhalten von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, dessen Gängelung der Medien die Ausrichtung des Song Contests ernsthaft gefährdete. Nach einem von Netanyahu initiierten Gesetzentwurf sollte die Nachrichtenabteilung des mit dem Contest beauftragten Senders Kan (hebräisch für »hier«) aus der Anstalt ausgegliedert werden. Hintergrund dürfte die in zunehmend dem Maße regierungskritische Position des Senders sein. Die Rundfunkanstalt hätte dann über keine tagesaktuellen Informationsangebote mehr verfügt, was den Ausschluss des Senders aus der European Broadcasting Union (EBU) und damit das Aus für die Ausrichtung des Eurovision Song Contest 2019 bedeutet hätte.

Zudem weigerte sich Netanyahu zunächst, die Finanzierung der Veranstaltung zu bewilligen. Der übertragende Sender solle selbst für die Kosten aufkommen und nötigenfalls einen Kredit aufnehmen. Im Oktober 2018 wurde schließlich eine Einigung erzielt und der Staat erklärte sich bereit, die Kosten zu tragen.

Die logistische Versorgung der vielen anreisenden Fans und Delega­tionen der teilnehmenden Länder wird die größte Herausforderung für Tel Aviv sein. »In den letzten Jahren entstanden in der ›Weißen Stadt‹ immer mehr Unterkünfte, da der Tourismus dort Rekordzahlen schreibt«, sagt Moran Michaeli vom Tourismusministerium. »Die Eurovision wird im Mai ausgetragen, wenn die Saison beginnt, und alleine für diese Veranstaltung werden mehr als 10 000 Besucher erwartet.« Schätzungen zufolge könnten es sogar bis zu 20 000 ESC-Begeisterte sein.

»Was die Schlafunterkünfte betrifft, weisen wir darauf hin, bei ausgebuchten Hotels auch Internet-Plattformen wie Airbnb zu nutzen«, sagt Michaeli. Doch es gibt kaum noch Zimmer und auch die Preise sind extrem hoch, was viele Besucher dazu zwingen wird, auf dem Campingplatz unweit des Wettbewerbsorts zu übernachten. Eine Woche vor ESC-Beginn soll das Gelände eröffnet werden und dann sechs Wochen in Betrieb sein. So kann der Campingplatz noch einen Monat später von den Besuchern genutzt werden, die zahlreich zur »Tel Aviv Pride« – der jährlichen LGBT-Parade – vom 9. bis 15. Juni anreisen.

Das ESC-Halbfinale sowie das Finale am 18. Mai werden in der Expo Tel Aviv stattfinden. Im Vergleich zum Eurovision-Standard fällt die Halle mit 10 000 Plätzen relativ klein aus. Durch die große Bühne bleiben 7 300 Sitze übrig, von denen 3 000 den Delegationen und Mitgliedern der EBU vorbehalten sind.
Derzeit sorgen vor allem die überteuerten Eintrittspreise des Wett­bewerbs für schlechte Stimmung. Sie liegen deutlich höher als beim Wettbewerb 2018 in Lissabon. Mussten die Fans in Portugal noch zwischen 35 und 299 Euro bezahlen, so liegen die Preise in Tel Aviv zwischen 280 und 490 Euro.

Doch die Stadt will eine ähnlich gute Vorstellung präsentieren wie bei den vorangegangenen Shows in Jerusalem. Moderieren wird das international bekannte Model Bar Refaeli, die darauf hofft, dass Israel mit dem Beitrag des Sängers Kobi Marimi seinen Titel verteidigt. Doch wie vor 40 Jahren, als das Gastgeberland zum zweiten Mal in Folge gewann, könnte Israel bei einem erneuten Sieg schnell überfordert sein. Dass dem Fernsehsender Kan 2020 eine weitere ESC-Veranstaltung finanziert wird, ist unwahrscheinlich.

Unterdessen ruft die weltweit agierende Organisation BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) zu Protesten gegen die Veranstaltung in Israel auf. Künstler aus den teilnehmenden Ländern wurden aufgefordert, den ESC zu boykottieren. Erst kürzlich erhielt der Aufruf Unterstützung von britischen Prominenten, darunter die Modedesignerin Vivienne Westwood, die Schauspielerin Julie Christie sowie der Musiker Peter Gabriel. Sie gehörten zu den 50 Unterzeichnern eines Briefes an die britische Zeitung The Guardian, in der die BBC aufgefordert wurde, auf die Verlegung des Gesangswettbewerbs in ein anderes Land zu drängen.

Bisher hat sich aber noch kein Teilnehmer von der Veranstaltung zurückgezogen. Deutschland schickt das Duo »S!sters« mit dem Song »Sister« ins Rennen. Mit Alessandro Mah­moud aus Italien und Bilal Hassani aus Frankreich nehmen zwei arabischstämmige Sänger teil. Vor allem Hassanis Auftritt, der mit seinem Lied »Roi« als Favorit gilt, sorgte für viel Aufsehen. Der Sohn marrokanischstämmiger Einwanderer, der offen homosexuell lebt, wurde in konservativ-muslimischen Kreisen angefeindet und mit dem Tod bedroht. Doch der selbstbewusste Musiker antwortete darauf: »Ich freue mich in Tel Aviv dabei zu sein, denn mein Traum wurde wahr: Ich repräsentiere Frankreich beim Eurovision Song Contest.«

Sollte es dennoch zu Demonstrationen während des ESC kommen, so verkündete ein Sprecher des israelischen Außenministeriums, Maßnahmen dagegen vorzubereiten. Auch die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln stellt für das ohnehin überlastete Transportwesen eine Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass von Freitagnachmittag bis zum Samstagabend, wenn das Finale stattfindet, wegen des Shabbats keine öffentlichen Verkehrsmittel in Betrieb sind. »Wir haben deshalb für den gesamten Wettbewerb Shuttles or­ganisiert, die zwischen Tel Aviv Expo und dem Euro Village – dem wichtigsten Unterhaltungszentrum an der Strandpromenade – fahren«, berichtet Singer. Er erzählt, dass viele Israelis vor den Bildschirmen eifrig dabei sind und oft mit selbst gemachten Stimmzetteln ihren eigenen Favoriten küren. Das ganze Land freut sich auf die Eurovision. Das ist immer so, denn dann glauben wir kurz, nicht im Nahen Osten zu sein, sondern dass Deutschland und Benelux unsere Nachbarstaaten sind.«