Stolpersteine in Mallorca für die Opfer der Franco-Diktatur

Holpriges Gedenken

Die offizielle Erinnerungspolitik in Spanien setzt sich noch immer zögerlich mit dem Bürgerkrieg und der Franco-Zeit auseinander. In verschiedenen Städten Mallorcas erinnern seit einigen Monaten sogenannte Stolpersteine des deutschen Künstlers Gunter Demnig an Opfer der Diktatur. Und sie verweisen auf die europäische Dimension des Faschismus.

»Liebe Maria, dies sind die letzten Worte, die du von mir erhältst. Gerade wurde die Todesstrafe über mich verhängt. Ich schlief fest. In wenigen Stunden werde ich erschossen.« Mit diesen Worten beginnt der letzte Brief von Antoni Mateu Ferrer an seine Frau Maria Llobera. Wenige Stunden später, in der Nacht des 24. Februar 1937, war der ­republikanische Bürgermeister der mallorquinischen Kleinstadt Inca tot, ­erschossen von Schergen des Generals Francisco Franco an der Friedhofsmauer von Palma.

Ferrers ehemaliges Wohnhaus im Carrer de Jesús 40 liegt mitten in Inca, in einer kleinen Seitenstraße in der Nachbarschaft eines anonymen Platzes mit Ecken voller Müll, der eine Tief­garage deckelt. Neben einem nüchternen Eckhaus steht das alte sandsteinfar­bene Stadthaus mit grünen hölzernen Fensterläden, zwei Stufen führen in ein Architekturbüro. Auf dem schmalen ­Bürgersteig ist eine glänzende Messingtafel in den Fußweg eingelassen, umgeben von grauen Natursteinen, ­deren Putz sichtlich noch relativ frisch ist. Auf der rund zehn mal zehn Zentimeter großen Tafel ist auf Katalanisch eingraviert: »Hier wohnte der Bürgermeister Antoni Mateu Ferrer, geboren 1901, festgenommen 20. 7. 1936, inhaftiert in Can Mir, ermordet am 24. 2. 1937 in Palma.«

An der Friedhofsmauer von Palma ließ Franco viele Menschen erschießen. Der bronzene Stuhl erinnert an Emili Darder, den Bürgermeister von Palma, der zu geschwächt war, um bei der Exekution zu stehen.

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Tabuisierte Geschichte

80 Jahre nach Ferrers Ermordung sitzt seine Enkelin Maria Antònia Mateu auf den Stufen des ehemaligen Hauses ­ihres Großvaters. Sie trägt graue Turnschuhe, Jeans und eine dunkelblaue Daunenjacke, weißes Haar umrahmt ihr Gesicht. Sie sei traurig, dass sie ihren Großvater nie kennenlernen konnte, sagt sie. In den vergangenen Jahren habe sie zu seiner Geschichte, seiner Haltung und seinem Charakter jedoch eine enge Bindung aufgebaut.

»Als sie meinen Großvater ermordeten, war er 37 Jahre alt, sein Sohn Bernat, mein Vater, war fünf. Lange Zeit wusste ich nichts über meinen Großvater«, sagt sie. Es hätten Schweigen und Angst in Francos Spanien geherrscht, so sei es auch in ihrer Familie gewesen. Gegenwart und Vergangenheit der Diktatur seien Tabuthemen gewesen. Ihr Vater habe mit seinen Kindern nicht über das gesprochen, was passiert war. »Ich glaube, er hatte Angst. Ich begann erst sehr spät, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen.« Ihr Vater sei fast 80 Jahre alt gewesen, als er begonnen habe, offener zu sprechen.

Zu der Zeit erschien das erste Buch über seinen Vater Antoni Mateu Ferrer, den ermordeten republikanischen Bürgermeister. Es gab eine öffentliche Ehrung, veranstaltet vom damaligen Bürgermeister, der einer rechten Partei angehörte. »Absurderweise gab genau diese Tatsache meinem Vater die Ruhe, der Zeremonie beizuwohnen«, sagt Maria Antònia Mateu.

Der »Remembrance Stone« des deutschen Künstlers Gunter Demnig für den ermordeten Bürgermeister von Inca.

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Ihr Großvater wurde 1932 zum Bürgermeister von Inca ernannt. Als Humanist war er der Überzeugung, dass man durch Bildung alles erreichen könne. Er gründete eine öffentliche Bibliothek, eine Oberschule, ein Orchester, führte kostenfreie medizinische Behandlung für Arme und Programme zur Erwachsenenbildung ein. »Wenn mein Großvater überlebt hätte,« sagt Maria Antònia, »hätte ihn die Franco-Zeit umgebracht. Er liebte die Kultur, war Repub­likaner von ganzem Herzen – er hätte die Zeit der Unterdrückung alles Menschlichen nicht überstanden.«

Am 18. Juli 1936 fuhr Antoni Mateu Ferrer in den Norden der Insel, nach Port de Pollença, um ein paar Tage am Strand zu verbringen. Am selben Tag putschte das Militär in Marokko gegen die Zweite Spanische Republik. Kurz darauf erhielt General Franco Unterstützung von Adolf Hitler, der als deutscher Reichskanzler binnen weniger Tage Flugzeuge zum Transport der aufständischen Truppen aufs spanische Festland schickte. Ferrer ahnte, dass er festgenommen werden würde. Die Möglichkeit, gemeinsam mit zwei ­sozialistischen Abgeordneten nach Menorca zu fliehen, lehnte er ab. Am 21. Juli 1936 wurde er festgenommen und in Inca inhaftiert. Wenige Tage später wurde er auf den Frachter »Rey Jaime I« überführt, der im Hafen von Palma lag und von den Putschisten zum Gefängnis umfunktioniert worden war.

An der Friedhofsmauer von Palma erinnert eine Gedenktafel an Opfer der Franco-Diktatur.

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Maria Antònia Mateu deutet auf ein altes Schwarz-Weiß-Foto, das den Frachter mit jubelnden Menschen an Bord zeigt. Davor steht ihr Großvater im Frack. »Auf dem Bild sieht man ihn als Bürgermeister von Inca, wie er das Schiff willkommen heißt. Neben ihm ist der Bürgermeister von Manacor, der ebenfalls später erschossen wurde.« Antoni Mateu Ferrer führte in der ­Gefangenschaft auf winzigen Schnipseln Papier ein stichwortartiges Tagebuch: »Freitag, 14. August. Erstickend. Flugzeuge – Bomben. Hoffnung. Männer stapeln sich.« Er schrieb von den unerträglichen Zuständen im Schiffsrumpf, von glühender Augusthitze unter Deck und fehlendem Sauerstoff, während draußen im Hafen die Bomben detonierten.

Stein um Stein

In Inca sind der Name und die Geschichte des republikanischen Bürgermeisters Ferrer heutzutage präsent. Ein zentraler Platz wurde nach ihm benannt. Seit Dezember 2018 befindet sich vor der Tür seines ehemaligen Wohnhauses im Carrer de Jesús die Messingtafel, ein sogenannter Stolperstein des deutschen Künstlers Gunter Demnig. Seine Stolpersteine, die an von den Nationalsozialisten Verfolgte, Verschleppte und Ermordete erinnern, sind mittlerweile nicht nur in deutschen Städten, sondern auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern zu finden. Unter dem Namen »Remembrance Stones« hat Demnig zum ersten Mal Opfer in sein Kunstprojekt aufgenommen, die nicht von deutschen Nationalsozialisten ermordet wurden. 20 Stolpersteine wurden auf Mallorca verlegt, alle für Angehörige der Zweiten Spanischen Republik, gegen die Franco und seine Anhänger putschten, um nach einem drei Jahre andauernden blutigen Bürgerkrieg ein Regime zu etablieren, das sich bis zum Tod des Diktators 1975 hielt. Dass diese ersten Stolpersteine politischen Funktionsträgern gewidmet sind, hat einen Grund. Sie sollen deutlich machen, dass die Morde unter Franco politisch motiviert waren. Und sie sind ein erster Schritt zu einer neuen Form der Erinnerungspolitik in Spanien, der auf Mallorca gemacht wird: Sie stellen eine Verbindung her zum europäischen Faschismus. »Es gibt Beispiele, in denen wir Steine für Brüder verlegen, von denen der eine von den deutschen Nationalsozialisten ermordet wurde und der andere von Franco-Anhängern«, sagt Anna Warda, die mit ­Demnig zusammenarbeitet.

Mahnmal für die Opfer des Franquismus nahe der Militärfestung Illetes.

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Bodo Marks

Die spanischen Faschisten eroberten Mallorca schon früh, sie erhielten direkte Unterstützung aus Italien und Deutschland. Italienische Bomber flogen von Mallorca aus Angriffe auf Barcelona und Valencia, die deutsche Legion Condor bezog im Norden der Insel Stellung. Bis 2010 ­erinnerte ein deutscher Gedenkstein auf dem Gelände des Militärflug­hafens in Port de Pollença an die Luftwaffeneinheit der Wehrmacht, die ab 1936 die Putschisten auf der Mittelmeerinsel unterstützte.

»Der Putsch wäre ohne die Unterstützung der faschistischen Regime in Europa zu jener Zeit nicht möglich ­gewesen, das hat man viele Jahre versucht zu verdecken. Aber sie war der Grund dafür, dass Franco den Krieg gewinnen konnte,« sagt Jesús Jurado. Der Vizepräsident der balearischen Autonomieregierung sitzt im Amts­zimmer des Regierungspalasts in Palma. Auch vor dem imposanten Bau aus dem 19. Jahrhundert liegen seit vergangenem Winter zwei Stolpersteine, einer vor dem Eingang, der andere an der Stirnseite des Gebäudes auf der zentralen Plaça de Cort. Gemeinsam mit der Organisation Memoria de Mallorca hat Jurado die Verlegung der Stolpersteine auf Mallorca initiiert. Es handele sich um »Erinnerungskultur in der Mitte der Gesellschaft«, sagt er. »Sie dezentralisieren das Gedenken, platzieren Namen und Herkunft der Opfer dort, wo sie arbeiteten und wohnten, benennen ihren Todestag und ihre Mörder. Das ist eine einfache, direkte und verständliche Art, ihre Geschichte für jedermann sichtbar zu machen.« Sie seien nicht besser, aber einfacher zugänglich als Museen und Gedenkorte, zu denen man sich eigens aufmachen müsse.

Die Achse Franco-Hitler

Eine Zusammenarbeit mit den deutschen Institutionen auf Mallorca liege nahe, aber die gebe es nicht, bedauert Jurado. Doch zumindest in Palma blieben immer wieder deutsche Touristen vor den Stolpersteinen stehen. »Die ideologische Achse Franco-Hitler-Mussolini ist offensichtlich. Wir sind daher besonders froh, dass das Projekt der Stolpersteine die Beziehung zweier ­dieser Regime deutlich macht, deren Ideologie und Methodologie sehr ähnlich waren.«

Antoni Mateu Ferrer war eines der 20 Opfer dieser Ideologie auf Mallorca, derer mittlerweile an verschiedenen Orten der Insel mit einem Stolperstein gedacht wird. Weitere Projekte sollen folgen. Und es gibt die Hoffnung, dass diese Art des Gedenkens auch in der nach wie vor in diesen Fragen sehr uneinigen spanischen Gesellschaft ein größeres kritisches Bewusstsein für die Vergangenheit schafft, die bislang nicht richtig aufgearbeitet wurde.

»Einer der Gründe, warum mein Großvater zum Tode verurteilt wurde, war ein Dokument, das man in seinem Büro gefunden hatte«, erzählt Maria Antònia Mateu auf den Stufen des alten Hauses in Inca. Es sei dem Kriegsgericht als Beweis vorgelegt worden, dass der Bürgermeister in einen geplanten kommunistischen Aufstand gegen Franco verwickelt sei. »Man hatte es ihm untergeschoben. In einem Abschiedsbrief an seine Kollegen machte er sie dafür verantwortlich. In unserer Familie wussten wir immer, dass es einer von ihnen gewesen war. Aus Angst wurde geschwiegen. Ich kannte den Sohn des Mannes, der ihn denunziert hatte. ­Immer wenn ich ihn in Inca traf, wühlte es alles in mir auf.«

Der Fall wurde nie untersucht, ­Antoni Mateu Ferrer bis heute nicht rehabilitiert.