Wassermangel in Indien

Auf dem Trockenen

In Indien wird das Wasser knapp: Schon heute leiden Millionen Menschen unter extremen Trinkwassermangel. Der Klimawandel macht die Lage noch schlimmer.

Auf den morschen Stegen eines ehemaligen Binnenhafens sitzen Angler in dicke Jacken gehüllt. Die Wasseroberfläche unter ihnen wirkt schneeweiß, die Brücken über ihren Köpfen grau, während die Apartmenthochhäuser im Hintergrund ein unerreichbarer Traum bleiben. Die Angler sitzen am Fluss Yamuna in Indiens Hauptstadt New Delhi. Unter den weißen Schaumkronen ist das Wasser pechschwarz – der Sauerstoffgehalt geht gegen null. Der wohl einzige Fisch, der hier an den Haken gehen kann, ist der Magur, eine in Asien beheimatete Art des Froschwelses. Dank eines zusätzlichen Atmungsorgans kann er eine Zeit lang sogar an Land überleben.

Hier beißen nur noch wenige Fischsorten an. Angler am Fluss Yamuna in Okhla in Delhi

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Gilbert Kolonko

Wenn der Yamuna hier an der Okhla-Schleuse durch die Metropole mit 20 Millionen Einwohnern geflossen ist, hat er 80 Prozent des Schmutzes aufgenommen, der ihn so dreckig macht. Da der Hauptfluss der Stadt als Trinkwasserquelle wegfällt, verwundert es nicht, dass Delhi zu den 21 indischen Städten gehört, denen einer Studie des regierungsnahen Thinktanks Niti Aayog zufolge im kommenden Jahr das Grundwasser ausgehen wird. Die Studie prognostiziert, dass 40 Prozent der indischen Bevölkerung im Jahr 2030 keinen Zugang zu Trinkwasser mehr haben werden. »Schon jetzt kommen 75 Prozent des Wassers für Delhi über Kanäle aus den benachbarten Bundesstaaten«, sagt Avinash Kumar, einer der Direktoren der NGO Wateraid. »Doch die Nachbarn wollen das kostbare Gut nicht weiter herschenken«, fügt er hinzu.


Bedrohte Feuchtgebiete

Ein Bauer am nördlichen Stadtrand Delhis weist auf Folgeprobleme hin, die der Wassermangel bereitet: »Weil das saubere Wasser unseres Kanals für den steigenden Bedarf der Großstädter umgeleitet wurde, müssen wir unsere Felder nun mit Industrieabwäs­sern sprengen.« Die Stimme des drahtigen 50jährigen wird hart: »Mir soll es recht sein. Die Erträge sind gestiegen, seitdem wir das ›nährstoffreiche‹ Wasser benutzen. Mein eigenes Gemüse esse ich natürlich nicht.« Die dichter herangenahten Hochhäuser der wachsenden Metropole und der schwarze Rauch zweier naher Ziegelsteinfabriken helfen zu erklären, warum der Bauer wenig Mitleid mit seinen Kunden hat: weil sie kein Interesse für Menschen wie ihn aufbringen.

Es wird eng am Hugli. Hindus beim Ritual Puja im verdreckten Fluss in Kolkata

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Gilbert Kolonko

Knapp 1.500 Kilometer südöstlich von Delhi liegt Kolkata, besser bekannt als Kalkutta, die Hauptstadt des Bundesstaats Westbengalen. Täglich werden 750.000 Millionen Liter Abwässer der Metropole in die östlich gelegenen Feuchtgebiete geleitet. Dort erklärt der Fischer Sujut Mandal in einem grünen Labyrinth aus Teichen und Kanälen: »Hier fließt das ungereinigte Abwasser entlang. Alle 21 Tage lassen wir es zur Vorreinigung in einen Teil unserer Teiche. Das dort schon vorgereinigte Wasser lassen wir in die Fischteiche laufen.« Mit Hilfe von Bodenbakterien, Makroalgen, Pflanzenbakterien und Pflanzen wird das Abwasser zu Fischfutter zersetzt. Dann zeigt Mandal in nördliche Richtung auf eine Wand von Hochhäusern: »Von der Gegend Salt Lake drängen die Wohnsiedlungen immer mehr in die Feuchtgebiete. Windige Geschäfts­leute bieten den Fischern enorme Geld­beträge für deren Land. Viele Fischer verkaufen.«

Feuchtgebiete schrumpfen

Obwohl die 125 Quadratkilometer großen Feuchtgebiete gemäß dem sogenannten Ramsar-Abkommen, dem 1975 in Kraft getretenen internationalen Übereinkommen über Feuchtgebiete, 2002 unter Schutz gestellt wurden, baut und plant auch die bengalische Regierung weitere Straßen durch dieses Biotop. Dabei sind die Feuchtgebiete auch für die Reinigung der Luft Kolkatas bedeutend und halten die Temperaturen moderat. Das scheint die Regierung ebensowenig zu interessieren.

1.600 Kilometer weiter südlich sind die Folgen solcher Politik bereits zu sehen. In der neun Millionen Einwohner zählenden Metropole Chennai im Bundesstaat Tamil Nadu (früher Madras) kommt das Wasser seit Juni mit dem Zug aus dem benachbarten Bundes­staat Kerala, weil die eigenen Wasserreserven aufgebraucht sind. Ein Grund für den Wassermangel ist auch, dass der Monsun in Chennai dieses Jahr erneut zu spät eintrifft.

Doch die Wasserkrise hat vorwiegend lokale Ursachen: Die sich ehemals über 200 Quadratkilometer erstreckenden Feuchtgebiete vor den Toren der Stadt besaßen 1980 noch eine Fläche von 186,3 Quadratkilometer. Mittlerweile sind sie auf nur noch 15 Prozent ihrer einstigen Größe geschrumpft, wie eine Studie des Care Earth Trust zeigt. Hauptgründe sind der Boom von IT-Unternehmen im Süden von Chennai und das Wachstum des Immobilienmarkts im Allgemeinen. So werden 35 Prozent des Wassers für die wachsende Bevölkerung Chennais vom 235 Kilometer entfernten See Veeranam herangepumpt. Zusätzlich wird in großem Maß Grundwasser ­abgezapft. Wegen der Verdichtung in der Metropole haben sich die Grundwasserreservoirs nicht wieder aufgefüllt und dürften in naher Zukunft komplett ausgetrocknet sein.

Heftiger Regen

»Die Regierung von Tamil Nadu braucht einen Wasserplan für den Bundesstaat und für Chennai«, sagt Avilash Roul vom Indian Institute of Technology (IIT) aus Chennai. »Chennai benötigt jeden Tag 1 200 Millionen Liter Wasser. Doch derzeit kann die Regierung nur 550 Millionen Liter liefern. Im Jahr 2030 wird Chennai sogar 2 100 Millionen Liter pro Tag benötigen.«

Ungefilterte Brühe. Aus den Fabriken im Industriegebiet Dada Nagar in Kanpur läuft das Abwasser über die Felder und dann direkt in den Fluss Pandu, der weiter in den Yamuna fließt und im Ganges endet.

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Dann erklärt Roul, warum die Regierung endlich ihre ­gesammelten Wasserdaten mit der Öffentlichkeit teilen müsse: »Viele verschiedene Organisationen versuchen, die Wasserkrise zu lösen. Im Kleinen die deutsche GIZ oder die holländische Regierung, die selbst einige Wasserprojekte ausführt. Auch das IIT versucht, seinen Teil zur Lösung beizutragen, obwohl es selbst Probleme hat und es auf seinem Campus nicht genug Wasser gibt. Doch damit diese Projekte nicht mit denen der großen Entwicklungsbanken kollidieren, braucht es einen Gesamtplan der Regierung.« Der jüngste nationale Wasserplan für Indien stammt aus dem Jahr 2012.

Während Anfang Juli in Chennai immer noch Wassermangel herrschte, stand 1 300 Kilometer nordwestlich der Großraum Mumbai mit seinen 80 Mil­lionen Einwohnern im ersten Monsunregen unter Wasser. Es kam zu Kurzschlüssen und Häuser stürzten ein, was mindestens 18 Menschenleben kostete. Die Überschwemmungen in Mumbai sind die Folge einer Kombination aus natürlichen und menschengemachten Ursachen.

Rettung mit Booten und Hubschraubern

»Der vorwiegend durch den Menschen verursachte Klimawandel macht alles noch schlimmer«, sagt die Umweltjournalistin Nidhi Jamwal aus Mumbai. Dann erklärt sie, dass die Metropole zum Teil auf ehemaligen Inseln erbaut worden sei und viele Wohngegenden unterhalb des Meeresspiegels lägen. »Während des Südwest-Monsuns zwischen Juni und September gehen 2 100 Millimeter Niederschläge auf Mumbai nieder, was in den tiefer liegenden Gegenden zu Überschwemmungen führt.« 2.100 Millimeter Niederschlagshöhe ent­sprechen 2.100 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Zum Vergleich: In Deutschland fallen im Jahr im Schnitt zwischen 500 und 1.000 Liter Niederschlag pro Quadratmeter.

Durch den Klimawandel konzentriert sich der Regen Jamwal zufolge auf noch weniger Tage im Jahr als früher. »Dieses Jahr kam der Monsun 15 Tage zu spät, dafür gingen am 1. Juli gemäß der Messstation im Stadtteil Santa Cruz innerhalb von 24 Stunden 375,2 Milliliter Regen auf die Metropole nieder. Nach zwei weiteren Tagen war knapp die Hälfte der während der gesamten Monsunperiode üblichen Niederschlagsmenge erreicht.«

Klimawissenschaftler sagen voraus, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren verstärken werde. »Dazu kommt, dass Mumbai immer noch kein funktionierendes Abwassersystem hat, worauf Bürgerorganisation seit Ewigkeiten hinweisen. Und dass das Regenwasser wegen der dichten Bebauung nicht mehr in der Erde versickern kann, trägt seinen Teil bei. Mumbais Außenbezirke sind, wie ­Teile der Feuchtgebiete, gleichfalls zugebaut. Früher konnte das Wasser ­dahin ­ablaufen«, so Jamwal. So mussten Ende Juli knapp 1.000 Passagiere mit Booten und Hubschraubern ge­rettet werden, weil ihr Zug vor Mumbai von ­Fluten eingeschlossen worden war.

Sparen statt verbinden

Auch die Ufer der vier Flüsse der Metropole sind Jamwal zufolge überbaut, was zu Problemen führe: »Solange die Rolle der Flüsse bei den Überschwemmungen nicht berücksichtigt wird, wird es noch schlimmer werden.«

Der Hauptfluss von Mumbai, der Mithi, ist dann der schmutzigste des ganzen Bundesstaats Maharashtra. Während Mumbai unter Wasser stand, brach etwa 100 Kilometer entfernt mit dem ersten Regen der 308 Meter breite Ratnagiri-Damm, mindestens 19 Menschen wurden getötet.

Bald womöglich verschwunden. Die Feuchtgebiete Kolkatas sind bedroht.

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Gilbert Kolonko

Um die Wasserkrise anzugehen, plant die Regierung des vor kurzem wiedergewählten Premierministers Narendra Modi das Projekt »Verbindungsfluss« (interlinking river). Dafür sollen 3 000 zusätzliche Staudämme und neue, die 30 großen Flüsse Indiens miteinander verbindende Kanäle mit 15 000 Kilometern Länge entstehen, um auch die Großstädte mit Wasser zu versorgen. Ähnliche Pläne gab es bereits früher, doch 1999 lehnte die National Commission for Water Resource Development ein solches Projekt nach eingehender Prüfung ab, da die Auswirkungen auf Natur und Umwelt nicht absehbar ­seien. Nun befürwortet Mukesh Ambani diese Pläne. Er ist Vorstandsvorsitzender des Konzerns Reliance Industries Limited, des größten Privatunternehmens Indiens, das von Modi in den vergan­genen Jahren mit einer Reihe von Staats­aufträgen bedacht wurde.

Restlichen Feuchtgebiete in Gefahr

»Dass natürliche Flüsse in ein künstliches Netzwerk verwandelt werden können, heißt nicht, dass man einfach Wasser von A nach B transportieren kann, wie es mit Containern getan wird. Flüsse sind nicht einfach Dinge, in denen Wasser fließt, sie sind ein Teil der Dynamik der Umwelt, die sie umgibt. Die derart groß angelegte Umleitung der Flüsse wird Teilen Indiens das bescheren, was dem Aralsee widerfahren ist«, kritisiert Gopal Krishna von der NGO Toxic Watch das Vorhaben. Die Folge wäre also Austrocknung. Die Befürworter des Fluss­umleitungprojekts behaupten, es würde Indien viel mehr kosten, das Projekt nicht in Angriff zu nehmen.

Krishna und auch dem ­South Asia Network of Dams, Rivers and People (SANDRP) zufolge muss man vielmehr andere Kosten berücksichtigen: So komme nicht nur die mangelnde Speicherung des Regenwassers in den indischen Fluss­einzugsgebieten, was in der Folge zur Austrocknung der Grundwasserre­servoirs in den Städten beiträgt, Indien teuer zu stehen. Auch die Vernachlässigung der Wartung von Entwässerungs­systemen in landwirtschaftlichen Gebieten, die Verschmutzung der indischen Süßwassersysteme und die exportorientierte, wasserintensive und ­indirekt vom Staat subventionierte Zuckerindustrie verschärfen viele Probleme.

Ein weiterer Blick nach Chennai zeigt, dass nicht einmal aus der derzeitigen Krise etwas gelernt wurde. Detaillierte Pläne, die Metropole ohne großen Aufwand durch das Speichern von Regenwasser zu versorgen, liegen seit 20 Jahren in den Schubladen – bis auf ein paar Vorzeigeprojekte ist nicht viel passiert. Dafür hat die Regierung den Bau eines weiteren Hafens im Norden von Chennai genehmigt. Bau und Leitung des Hafens liegen in den Händen einer Privatfirma. Umweltexperten warnen, das Projekt zerstöre Teile der restlichen Feuchtgebiete, begünstige damit Überschwemmungen in der Regenzeit und könne zudem die Existenzgrundlage von bis zu 30.000 Fischern vernichten.