Erdgas und Solarkraft in der ­israelischen Energiepolitik

Sonne, Erdgas und eine lange Leitung

Der Erfolg des fortschrittlichen Solarkraftwerks Ashalim in der Wüste Negev droht dem günstigen Erdgas zum Opfer zu fallen, das vor der Küste Israels gefunden wurde. Der Streit um Gasvorkommen könnte zudem die Konflikte mit der Türkei und dem Libanon verschärfen.

Es ist ein beeindruckender Anblick: ein etwa 250 Meter hoher Turm mitten in der Wüste Negev in Südisrael, dessen helles Leuchten schon von Weitem zu sehen ist. Der Solarturm steht nicht aus ästhetischen Gründen an dieser Stelle. Das Licht der in dieser heißen Wüstenregion kräftig strahlenden Sonne wird von über 50 000 Spiegeln gebündelt, die zusammen eine Fläche von 3 000 Qua­dratkilometern bedecken; das entspricht etwa 400 Fußballfeldern. Computer­gesteuert werden die Spiegel automatisch dem Sonnenstand nachgeführt. In dem gleißend hell strahlenden Absorber an der Spitze des Turm erhitzen die Sonnenstrahlen Wasser auf eine Tem­peratur von bis zu 600 Grad Celsius. Am Fuß des Turms wird damit Elektri­zität produziert.

Zwischen Israel und dem Libanon gibt es einen Disput um ein Gasfeld, bei dem der Verlauf der Seegrenze beider Länder umstritten ist.

Der erste israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion wollte bekanntlich die »Wüste zum Blühen« bringen und träumte von der Erschließung des Negev. »Ich denke, David Ben-Gurion dreht sich im Grab herum, aber vor Freude«, sagte Eran Doron, der Vorsitzende des zuständigen Regionalrats von Ramat Hanegev, dem israelischen Newsportal Israel21c vor zwei Jahren. Allein der Turm soll nach Betreiberangaben 121 Megawatt an elektrischer Energie produzieren – ungefähr zwei Prozent des gesamten israelischen Elektrizitätsbedarfs – und könnte etwa 110 000 Haushalte versorgen. »Das ist ein game changer, erstmals wird diese bewährte Technik in Israel eingesetzt«, sagte Didi Paz dem Portal. Er ist Präsident des Privatunternehmens Negev Energy, das die gigantische Anlage mit Beteiligung des US-amerikanischen Konzerns General Electric und des französischen Unternehmens Alstom für über eine halbe Milliarde Euro gebaut hat. Eran Gartner, Präsident des Betreiberkonsortiums Megalim, relativiert diese hohen Investitionen. »Der zweite Solarturm wird etwas günstiger werden, der dritte noch deutlich günstiger und so weiter«, sagte er der Times of Israel.

Der besondere Clou liegt darin, dass die Anlage durch ein Speichersystem, das auf geschmolzenem Salz basiert, auch bei Bewölkung oder nach Sonnenuntergang Strom produzieren kann – bis zu 18 Stunden am Tag. Neben dem Turm umfasst das Kraftwerk zwei weitere Komponenten: ein riesiges Feld mit relativ konventionellen photovoltaischen Solarpanelen und ein Parabolrinnenkraftwerk, in dem speziell geformte Kollektoren die Sonnenenergie in einem flüssigen Speichermedium aufnehmen.
Sind solche kombinierten Solarkraftwerke die Zukunft? Lösen sie womöglich die Energieprobleme der Menschheit? Zumindest erscheinen sie in einem Land wie Israel, das bislang kaum über eigene Rohstoffe, aber viel Sonnenschein verfügte, als smarteste Lösung der Energiegewinnung.

 

Shahar Dolev, Mitgründer und Forschungs­direktor der Nichtregierungsorganisation Israel Energy Forum (IEF), ist wegen der hohen Investitionskosten allerdings skeptisch: »Der Solarturm wird sich nur sehr langsam rentieren.« Mittlerweile bereuten die Verantwortlichen sogar, sich für den Bau der Anlage entschieden zu haben, sagte Dolev im ­Gespräch mit der Jungle World. »Es gibt zudem Kritik, dass er zu hell strahlt und dass Wildtiere von dem Kraftwerk beeinträchtigt werden.« Dolev zufolge werde man in Israel »höchstwahrscheinlich keinen zweiten Turm dieser Art bauen«.

Fossile Gegenwart. Das Kraftwerk Reading am Nordrand Tel Avivs.

Bild:
André Anchuelo

Der gesamte Kraftwerkkomplex in Ashalim soll im Endzustand bis zu 300 Megawatt produzieren und so dazu beitragen, das ehrgeizige Ziel von zehn Prozent Stromanteil aus erneu­erbaren Energien bis 2020 zu erreichen, zu dem sich die israelische Regierung bereits in den nuller Jahren entschieden hatte. Das Problem dabei: Mittlerweile wurden in israelischen Hoheitsgewässern im Mittelmeer riesige Erdgasvorkommen gefunden – das war für Dolev der wirkliche game changer. Mit dem Gas kann beim derzeitigen Stand der Technik deutlich günstigerer Strom produziert werden.

Zunächst begrüßten Umweltschützer die Gasfunde sogar, weil sie das Erdgas als weniger schmutzige Alternative zu Öl und Kohle bewerteten. Viele Besucher der israelischen Metropole Tel Aviv kennen beispielsweise den markanten Turm des Kraftwerks Reading im Norden der Stadt. 2006 musste es nach Klagen wegen der starken Luftverschmutzung durch den verwendeten Energieträger Öl zeitweilig stillgelegt werden, ehe es auf Erdgas umgestellt wurde. Ähnlich lief es in den meisten Kraftwerken, die entlang der israelischen Mittelmeerküste Bevölkerung und Industrie mit Strom versorgen. Damals allerdings importierte Israel etwa 40 Prozent seines Ergasverbrauchs aus Ägypten – eine Quelle, die im Laufe der Zeit immer unsicherer wurde, weil islamistische Milizen wiederholt die über die Sinai-Halbinsel führende Pipeline angegriffen hatten, ehe Ägypten 2012 den Vertrag kündigte. Erst kürzlich einigten sich die Regierungen beider Länder auf eine Entschädigungszahlung in Höhe von 500 Millionen Dollar für die ausgebliebenen Lieferungen an Is­rael.

Wegen der Unwägbarkeiten beim Import und der Vorteile gegenüber Öl und Kohle betrieb beispielsweise auch das IEF eine Kampagne, das eigene Gas nicht zu exportieren, sondern lediglich für den israelischen Bedarf zu verwenden und es im Übrigen für künftige Generationen aufzusparen. Doch Israel tendiert klar dazu, das israelische Erdgas in großem Umfang zu exportieren.

 

Dem IEF dagegen wäre es mittlerweile am liebsten, das Erdgas aus dem Mittelmeer – angesichts der Erderwärmung und einer dringend nötigen schnelleren Reduzierung der CO2-Emissionen – gar nicht zu fördern. Doch angesichts des enormen Wachstums der israelischen Bevölkerung werde man mit neuen Solarkraftwerken höchstens den zusätzlichen Bedarf decken können, fürchtet Dolev. Ihm zufolge gibt es aber noch ein weiteres Problem mit großen, zentralen Kraftwerken und Terminals, wie sie vor allem bei der Nutzung von Erdgas zur Stromproduktion nötig sind: Sicherheit. »Solche Anlagen lassen sich relativ leicht lahmlegen, sie stellen ein hohes Risiko dar.«
Zudem drohen die gesamten Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer mittlerweile neue zwischenstaatliche Konflikte heraufzubeschwören. Anfang August trafen sich die Energie­minister Zyperns, Griechenlands und Israels und bekräftigten ihren Plan, bis 2025 Israels Mittelmeergas durch die sogenannte Eastmed-Pipeline über Zypern, Kreta und das griechische Festland bis nach Italien zu leiten. »Das wird eine der wichtigsten Unterwasser-Pipelines der Welt sein«, sagte Israels Staatspräsident Reuven Rivlin im Februar. Die Pipeline würde über 2 000 Kilometer lang und ihr Bau sehr aufwendig und teuer werden. Eine Möglichkeit wäre, dass auch Ägypten sich daran beteiligt, hieß es seitens der Energieminister Israels, Zyperns und Griechenlands. Es hat die größten Erdgasvorkommen in der Region, der Export nach Europa wäre auch für Ägypten die einträglichste Option.

Auf der Gegenseite steht die Türkei. Eine Pipeline über türkisches Territorium wäre weniger lang, doch unter Machthaber Recep Tayyip Erdoğan sind die türkisch-israelischen Beziehungen erkaltet. Im Juli warnte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Zypern, dessen Nordteil seit 1974 türkisch besetzt ist, auch nur den »kleinsten Schritt im östlichen Mittelmeer« zu unternehmen. »Falls sie es wagen, werden sie die angemessene Antwort bekommen, wie schon in der Vergangenheit«, drohte er. Derweil sucht die Türkei westlich von Zypern selbst nach Gasvorkommen.

Zwischen Israel und dem Libanon gibt es zudem einen Disput um ein Gasfeld, bei dem der Verlauf der Seegrenze beider Länder umstritten ist. Geplante ­Gespräche zur Beilegung des Konflikts wurden verschoben, Israels Energie­minister Yuval Steinitz warf der islamistischen Hizbollah, die an der libanesischen Regierung beteiligt ist, vor, die Gespräche zu torpedieren. Im Fall einer israelisch-libanesischen Einigung könnte freilich am Ende auch die proiranische Miliz finanziell profitieren.