Die Rote Hilfe will sich erneuern

Ein Traditionsverein frischt auf

Nach den Protesten gegen ein mögliches Verbot der Roten Hilfe will die linke Solidaritätsorganisation neue Mitglieder werben, etwa unter Klimaaktivisten oder Seenotrettern.

Wenn Politiker, Polizeigewerkschafter, Extremismusforscher, Verfassungsschützer oder Journalisten die Gefahren des »Linksextremismus« beschwören, geht es oft um die Rote Hilfe (RH). Der 1975 gegründete Verein ist eine der ältesten und größten linken Organisationen in der Bundesrepublik. Seit Anfang der neunziger Jahre existiert er in seiner derzeitigen strömungsübergreifenden Form. Die RH dürfte die einzige linke Organisation sein, deren Mitgliederzahl seit mehr als 20 Jahren wächst. 

Als Verein mit Satzung, Bundes­vorstand und Geschäftsstelle ist die Rote Hilfe für die Behörden leichter zu greifen als kurzlebige Grüppchen oder amorphe Szenen.

Seit 2017 widmet der Verfassungsschutz dem »linksextremistischen Aktionsfeld Antirepression«, das die Rote Hilfe bearbeitet, größere Aufmerksamkeit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wirft der RH in seinem jüngsten Bericht vor, bei Strafverfahren oder Gefängnisaufenthalten »juristische, finanzielle und soziale Unterstützung« zu leisten: »Durch diesen Rückhalt in der Szene könnten sich potentielle Straftäter in ihrem Tatentschluss bestärkt fühlen.« Den Inlandsgeheimdients stört vor allem, dass der Verein dazu auffordere, »grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten zu verweigern«. 

Im April vergangenen Jahres forderte Armin Schuster, der Obmann der CDU im Innenausschuss des Bundestags, das Bundesinnenministerium (BMI) solle die Möglichkeit eines Verbotsverfahrens gegen den Verein prüfen. Ende 2018 ­berichteten Focus und Taz unter Berufung auf anonyme Quellen im BMI, dass dort ein Verbot der RH erwogen werde. Das BMI bestätigte die Berichte nicht. »Zu etwaigen Verbotsüberle­gungen äußert sich das BMI generell nicht, unabhängig davon, ob hierzu im Einzelfall überhaupt Anlass besteht«, sagte ein Sprecher des Ministeriums.

Von Attac über die Interventionistische Linke, die DKP und die Linkspartei bis zu den Jugendverbänden von SPD und Grünen protestierten diverse Organisationen gegen ein mögliches Ver­bot des Vereins. Mehr als 1 000 Menschen traten der RH nach dem Erscheinen der Berichte über ein mögliches Verbotsverfahren gegen den Verein bei. Mittlerweile zählt die Organisation mehr als 10 000 Mitglieder. 

Die RH reagiert mit einer Kampagne auf die Kriminalisierungsversuche und wirbt um neue Mitglieder. Dem dürfte die Annahme zugrunde liegen, dass nur breite gesellschaftliche Unterstützung, hohe Mitgliederzahlen und die Solidarität anderer Organisationen einen gewissen Schutz gegen ein Verbot bieten.

Die Kampagne »Solidarität verbindet« solle den Verein »ansprechbarer machen und unsere Forderungen und Inhalte auch in politischen Kreisen zur Diskussion stellen, in denen wir bisher noch nicht oder kaum vertreten sind«, sagte Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der RH. Mit den Initiativen für Seenotrettung im Mittelmeer und der Klimabewegung sind neue, im Verständnis der RH linke politische Strömungen entstanden, deren Mitglieder von staatlicher Repression bedroht sind. Diese haben allerdings häufig keinen Bezug zum traditionellen linken Milieu, für das die RH steht, oder stehen diesem gar distanziert gegenüber. 

 

Auf Plakaten und einer Internetseite präsentiert die RH ihre Arbeit in einem Stil, der im Vergleich mit dem sonst häufig eher altbackenen Layout von RH-Publikationen geradezu frisch ­erscheint. Die Kampagne soll den Behauptungen der Behörden, auf die sich die Berichterstattung über die RH meist stützt, eigene Informationen entgegensetzen. Durch eine bessere Werbung für Veranstaltungen der Ortsgruppen der RH soll Interessierten der Zugang zu der Organisation erleichtert werden.

Dass die RH seit 2017 zum zentralen Feindbild im Bereich des »Linksextremismus« wurde, hat mehrere Ursachen. Es gibt schlicht kaum andere große linke Organisationen, denen man ein Mindestmaß an Radikalität unterstellen kann. Als kontinuierlich arbeitender eingetragener Verein mit Satzung, Bundesvorstand, Geschäftsstelle und Mitgliedsbeiträgen ist die RH für die Behörden zudem viel leichter zu greifen als kurzlebige Grüppchen oder amorphe Szenen.

AfD-Abgeordnete in Kommunen, Ländern und im Bund versuchen, linke Politikerinnen und Politiker mit Verweis auf deren Mitgliedschaft in der RH als »linksextrem« zu denunzieren. Nachdem sich Ralf Christoffers, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im brandenburgischen Landtag, im März vergangenen Jahres für eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ausgesprochen hatte, wies der dortige AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz auf die RH-Mitgliedschaft Isabelle Vandrés hin, einer Landtagsabgeordneten der Linkspartei. Christoffers, so Kalbitz, solle »nicht von seinem eigenen Extremismusproblem auf andere schließen, sondern erst einmal für eine saubere Abgrenzung vom Extremismus in den eigenen ultraroten Reihen sorgen«. 

In Nordrhein-Westfalen forderte die AfD-Landtagsfraktion die Landesregierung im Februar in einem Antrag dazu auf, »auf Landesebene die Möglichkeit eines rechtssicheren Verbots der in Nordrhein-Westfalen ansässigen Orts- und Regionalgruppen (der RH, Anm. d. Red.) zu prüfen, und – wo möglich – herbeizuführen«.

Gefährlich werden könnten der RH Entwicklungen in der Sicherheitspolitik. Rechtsstaatliche Garantien und Mindeststandards im Polizeirecht und in der Strafverfolgung werden in jüngster Zeit geschleift, wie etwa die Grundrechtseingriffe zeigen, die mit den seit Mai vergangenen Jahres verabschiedeten neuen Polizeigesetzen in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen einhergingen. Dass die RH das Grundrecht von Angeklagten verteidigt, ihre juristische Verfolgung durch Aussageverweigerung ­gegenüber Polizei und Justiz möglichst effektiv zu behindern, erscheint da geradezu staatsfeindlich.

Der enorme Mitgliederzuwachs und die Öffnung für bislang kaum mit ihr in Verbindung stehende Gruppen sind eine Herausforderung für die RH. Kontroverse Diskussionen innerhalb des Vereins, etwa die Debatte über den Umgang mit der DDR-Geschichte, werden mittlerweile von einer größeren linken Öffentlichkeit verfolgt, die sich auch einmischt. Mit solchen Kontroversen umzugehen, dürfte die RH in nächster Zeit einige Mühe kosten. Vor allem aber muss der Verein sich darauf einstellen, dass die Verteidigung der eigenen Existenz in den kommenden Jahren ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit bleiben wird.