Die Ermittlungen im Fall der ­ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia bringen die Regierung Maltas in Bedrängnis

Kriminelle im Kabinett

Im Fall des Mordes an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia machen die Ermittlungen nach langer Stagnation nun Fort­schritte. Zwei ehemalige Minister werden verdächtigt, in den Fall involviert zu sein, und einer der reichsten Geschäftsmänner des Landes ist angeklagt, den Mord in Auftrag gegeben zu haben.

Man könnte es den Sturm auf die ­Castille nennen: Am Montag drangen etwa 30 wütende Menschen in den Amtssitz des maltesischen Ministerpräsidenten, Joseph Muscat, ein. Das sandfarbene Palais auf einem Hügel über dem ­Hafen von Valletta heißt ­Castille. Die Demonstrantinnen und Demonstranten setzten sich auf den Boden, schlugen Trommeln und riefen »Mafia« und »Kriminelle«. Eben dafür halten sie und viele andere auf der Insel den 45jährigen Muscat. Noch im Mai war dessen sozialdemokratische Partit Laburista (PL) so beliebt gewesen, dass sie bei den Wahlen zum Europaparlament 53 Prozent der Stimmen erhielt – den besten Wert einer Partei in der ganzen EU.

Doch von dieser Beliebtheit ist nicht viel mehr übrig, seit im November zwei Männer verhaftet wurden, die höchstwahrscheinlich den Mord an Maltas berühmtester Investigativjournalistin, Daphne Caruana Galizia, ­organisiert hatten. So wie es aussieht, war daran mindestens ein Minister Muscats beteiligt, nämlich sein inzwischen zurückgetretener Stabschef Keith Schembri.

Galizia war im Oktober 2017 mit einer Autobombe ermordet worden. Die Journalistin hatte zu korrupten Verbindungen zwischen der Regierung und der Geschäftswelt des kleinsten EU-Landes recherchiert und sich damit viele Feinde gemacht.

Der kleine Inselstaat, der nicht einmal so viele Bürgerinnen und Bürger hat wie Nürnberg, ist seither in Aufruhr. Ministerpräsident Muscat kann sich nur noch schwer bewacht öffentlich bewegen; ob er am EU-Gipfel Mitte ­Dezember in Brüssel teilnehmen kann, ist fraglich. Fast jeden Abend fordern Demonstrierende in Valletta Muscats Rücktritt. Den hatte er Ende November zwar in Aussicht gestellt, jedoch erst für den 18. Januar 2020.

Die Schwester der ermordeten Journalistin, Corinne Vella, glaubt, er habe das getan, um sich selbst und Schembri vor den Mordermittlungen zu schützen. Sie findet es »unerträglich«, dass Muscat weiter im Amt bleibt. »Bis zu seinem Rücktritt wird Daphnes Familie alle Rechtsmittel ausschöpfen, um ­sicherzustellen, dass Muscat als möglicher Verdächtiger nicht weiter an den Ermittlungs- und Strafverfahren beteiligt ist – außer als möglicher Verdäch­­tiger«, sagte sie der Taz.

Am 14. November dieses Jahres verhaftete die Polizei in Malta einen ­Taxifahrer namens Melvin Theuma unter dem Vorwurf der Geldwäsche. Er schlug der Justiz einen Deal vor: Straffreiheit gegen die Namen der Hintermänner, die den Mord an Galizia in Auftrag gegeben hatten.

Im Dezember 2017 hatte die Staatsanwaltschaft drei des Mordes Verdächtige angeklagt: Die Brüder Alfred und George Degiorgio sowie Vincent Muscat. Die maltesischen Staatsangehörigen mit langen Vorstrafenregistern sollen die Bombe gebaut und gelegt haben. Sie hatten 2017 vor Gericht auf nicht schuldig plädiert und sitzen weiterhin in Untersuchungshaft. Bislang gab es keine Anhaltspunkte, wer sie beauftragt hatte – Daphne Galizias Familie glaubte jedoch von Anfang an, dass korrupte Minister verantwortlich seien.

Melvin Theuma nannte der Polizei den Namen eines bekannten Geschäftsmanns: Yorgen Fenech. Ihn verhaftete die Küstenwache daraufhin Ende November auf seiner Yacht. Auch er bot sich als Kronzeuge an – und ­belastete den inzwischen ebenfalls zurückgetretenen Tourismusminister Konrad Mizzi als Auftraggeber des Mordes. Der Name des Kabinettschefs Keith Schembri fiel mehrfach in Telefongesprächen zwischen Theuma und Fenech. Zudem gibt es Fotos, die Treffen zwischen Schembri und Theuma im Regierungssitz Castille zeigen. Der Hunderte Millionen Euro reiche Unternehmer Fenech hatte 2013 die Konzession erhalten, auf Malta ein Gaskraftwerk zu bauen. Galizia hatte acht Monate vor ihrem Tod über eine Firma in ­Dubai namens 17 Black Limited geschrieben, die Verbindungen zu maltesischen Politikern habe. Finanzermittler fanden später heraus, dass 17 Black ­Limited Fenech gehört.

 

Im Dezember 2015 tauchten geleakte E-Mails auf, aus denen hervorging, dass zwei Briefkastenfirmen in Panama, die Konrad Mizzi und Keith Schembri gehörten, bis zu zwei Millionen US-Dollar von 17 Black Limited bekommen ­haben – wofür, blieb unklar. Schembri, Mizzi und Fenech stritten die Geld­geschäfte damals ab.

Doch schon vor der Wahl 2013 hatten sich Schembri, Mizzi und Muscat für den Bau des Gaskraftwerks auf Malta eingesetzt, an dem Siemens als Konstrukteur und Miteigentümer beteiligt ist. »Muscat wurde damals mit zwei Versprechen gewählt: geringere Stromrechnungen und saubere Luft«, sagt Galizias Schwester Corinne Vella. »Er wollte, dass das Gaskraftwerk gebaut wird – und er wollte davon wohl nicht nur in Form von Wählerstimmen pro­fitieren.«

Viele auf Malta, allen voran die Familie der Ermordeten, sind bestürzt angesichts der sich verdichtenden Indizien auf ein tödliches Komplott, das vom halben Kabinett und einem zwielichtigen Geschäftsmann geschmiedet wurde. Galizias Angehörige fordern, Europol müsse das Geldwäschenetzwerk zerschlagen, das die Verdächtigen aufgebaut haben. Überdies müsse geklärt werden, weshalb Muscat Schembri und Mizzi drei Jahre lang gedeckt hat. Bliebe die derzeitige Situation ohne Konsequenzen, »wird es fatale Folgen für die Demokratie in Malta haben«, heißt es in einer Erklärung der Familie.

Bei einer Anhörung in der vergangenen Woche belastete der Taxifahrer Theuma den mittlerweile angeklagten Yorgen Fenech schwer. Dieser habe ihm einen Umschlag mit 150 000 Euro Bargeld gegeben. »Sag ihnen, sie sollen das durchziehen, ich will Daphne töten«, habe Fenech gesagt. Immer mehr Indizien sprechen zudem dafür, dass Fenech den Mord zusammen mit Schembri geplant hat. Der Unternehmer erklärte am Freitag vergangener Woche vor Gericht sogar, regelmäßige Hinweise zum Stand der Ermittlungen vom früheren Stabschef Schembri erhalten zu haben.

Schembri ist wegen des Verdachts zwar zurückgetreten, weist aber alle Schuld von sich. Die Polizei hat sein Haus durchsucht, er ist in Gewahrsam und wird in dem Fall als Verdächtiger geführt.

In der vergangenen Woche besuchte eine Delegation des EU-Parlaments die Insel. Sven Giegold, deutscher EU-Abgeordneter der Grünen, forderte ­danach, Muscat vom EU-Gipfel auszuladen. Die Kommission müsse ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel sieben gegen Malta prüfen. Damit kann ­einem Staat bei Verstößen gegen EU-Grundrechte das Stimmrecht entzogen werden. »Wenn von der Leyen jetzt nicht handelt, hat sie ab sofort ein Glaubwürdigkeitsproblem«, sagte Giegold mit Bezug auf die neue EU-Kommissionspräsidentin.

Die NGO Reporter ohne Grenzen (ROG) hat derweil in Frankreich gemeinsam mit den Hinterbliebenen Galizias Strafanzeige erstattet. Die Anzeige wirft Fenech sowie den ehemaligen Ministern Schembri und Mizzi Beihilfe zum Mord sowie Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit vor. Fenech habe die beiden Politiker mit Gewinnen aus seinem Vermögen in Frankreich bestochen, um den Zuschlag für das Gaskraftwerk zu erhalten – und die Mörder der Investigativjournalistin bezahlt. »Die Ermordung einer Journalistin in der Europäischen Union darf nicht ungestraft bleiben«, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. »Die Ermittlungen in Malta haben viel zu lange die entscheidenden Fragen zu diesem abstoßenden Verbrechen ausgespart.«

Papst Franziskus störte all das offenbar nicht: Am Wochenende empfing er Muscat zu einer »strikt privaten« Audienz im Vatikan. Zuvor hatten 22 maltesische Akademiker in einem Brief an den Papst gefordert, Muscat nicht zu empfangen; der Brief blieb jedoch folgenlos. Journalisten waren bei der ­Audienz – anders als sonst üblich – nicht zugelassen.