Der letzte linke Kleingärtner ­besucht die große Stadt

Ökos rühren Beton an

Krauts und Rüben Von Roland Röder

Der letzte linke Kleingärtner, Teil 60

hilde
Hilde, ein Huhn aus dem Stall des letzten linken Kleingärtners, hat es auf die Website der Veranstalter von »Agrarwende anpacken« geschafft

 

 

Wenn ich mir den Regen anschaue, der seit Tagen in großer Menge auf den Boden trifft, wirkt der Blick zurück wie ein Blick in eine andere Welt, insbesondere wenn ich mich an die Trockenperiode vom Frühjahr 2018 bis zum Spätsommer 2019 erinnere. Glück gehabt, dass das lebensbringende Nass mittlerweile wieder seinen Weg zu mir findet. Denn ohne Wasser ist alles nichts. Wer religiös ist, kann sich am Glauben daran erfreuen, dass der Grund für den Regen darin liegt, selbst genügend Stoßgebete abgesetzt zu haben und erhört worden zu sein. Die anderen können gerne daran glauben, dass mein Wirken den entscheidenden Impuls für mehr Regen gegeben hat. Das würde meiner Bedeutung entsprechen.

 

So wie der Regen auf dem Weg zu mir ist, bin ich auf dem Weg nach Berlin zur Grünen Woche und zur Ökodemonstration »Agrarwende anpacken«, die am Samstag am Brandenburger Tor beginnt. Wie der Regen auf ausgedörrten Boden trifft und ihn langsam wieder zum Leben erweckt, so treffe ich als der letzte linke Kleingärtner auf eine Stadt mit unfassbar vielen wichtigen Leuten. Egal in welchem Milieu, egal in welchem politischen oder veganen Biotop, ich kenne keinen Ort auf der Erde – und ich bin schließlich für die Ernährung der Menschheit zuständig –, an dem so viele wichtige Leute unterwegs sind. Berlin ist eine Art Metropolenzoo der Wichtigkeiten und das 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Alle sind wichtig, alle sind super, alle sind cool. Wenn ich nur daran denke, beginne ich, schon wieder von der Rückreise zu träumen, obwohl ich die Hinreise noch gar nicht angetreten habe.

Wenn die nächste Ausgabe der Jungle World erscheint, werde ich schon wieder zurück in meinem safe space sein. Da, wo die Hühner glücklich sind und die Menschen mal so oder so und auch mal nervig – aber eben nie so wichtig wie in Berlin. Metropolenjunkies allerlei Geschlechts nennen es meist abschätzig Provinz oder Land.

Ich aber sage euch: Fühlt euch mal nur nicht so sicher. Wenn ihr weiter die Nase so hoch haltet, könnten wir »vom Land« ja mal anfangen, Mautgebühren für eure Autos, eure Züge und eure Flugzeuge zu verlangen. Dann, wenn ihr aus eurem Großstadtzoo in die »unberührte Natur« fliehen wollt; mal mit Kindern, mal ohne sie. Jedenfalls kann ich nach meiner Rückkehr wieder monatelang davon zehren, über meine wichtige Tätigkeit hinaus auch endlich mal ein Wochenende lang wichtige Menschen getroffen zu haben. Ich ziehe den Hut vor ihnen und verneige mich aber doch nur vor meinen Hühnern. Die haben es verdient.

Apropos Ökodemo: Die Ökos halten es mit der Tradition und bleiben sich treu. So wie der Teufel das Weihwasser meidet, so meiden sie eine tiefergehende politische Analyse der politischen und ökonomischen Zustände. Da brauche ich mir im Kostümverleih kein Prophetengewand auszuleihen, um vorherzusagen, dass bei der Demonstration für eine Agrarwende wieder allerhand geschimpft, moralisiert und appelliert werden wird, so als könnte man den Kapitalismus mit Moral und Zeigefingerpädagogik bezwingen oder gar mit gerechtem Einkaufen. Das ist hilfreich für den inneren Romantikhaushalt und die je eigene Heile-Welt-Balance, für mehr aber nicht. Auch bei der zehnten Ausgabe von »Wir haben es satt« werden fast nur Ökos am Rednerpult stehen. Manche Organisa­tionen scheinen ein Rederecht auf Lebenszeit gepachtet zu haben.

Da zerfällt schon bei der ersten Inaugenscheinnahme der Rednerliste der verlautbarte Anspruch auf Vielfalt. »Vielfalt ernährt die Welt«, heißt es zu Recht in der Ökoszene. Zumindest könnte die Vielfalt das. Und auch sonst haben die Ökos durchaus viel Richtiges im Repertoire, wenn nur nicht fast durchgehend das Politische fehlen würde. Die zehnte Ausgabe der Demonstration ist erneut das Gegenteil von Vielfalt, die Monotonie ist politisch gewollt. Vielleicht ist es die historische Vollendung eines Spruchs aus der Gründungszeit der grünen Partei vor 40 Jahren: »Die Grünen sind weder links noch rechts, sondern vorn.« Wenn man keine Standpunkte haben will und sich, weil es dafür keine Wahlkampfkostenerstattung gibt, um eine Analyse des Gesamtzusammenhangs herumdrückt, die auf Überwindung der Verhältnisse zielt, bleiben am Ende nur Volk und Nation als Fixpunkte. Nur der Bezug auf sie erlaubt es einem, vorne zu sein und demnächst Kanzler oder Kanzlerin zu stellen.

So haben denn die Ökos mal wieder ganz traditionell all ihren ­Ökomut zusammengenommen, ihre Reihen fest mit Ökobeton geschlossen und einen unökologischen Redebeitrag des letzten linken Kleingärtners abgelehnt. Da ist selbst in meinem Hühnerstall tausendfach mehr frische Luft als im stickigen Milieu der freundlichen Ökos.

Nur mit einem haben sie nicht gerechnet: Hilde, ein Huhn aus meinem Stall, hat es auf die Website der Veranstalter geschafft, entweder mit Raffinesse oder mit Charme. Jedenfalls hat es ihnen ein regelrechtes Ei ins Nest gelegt mit einer Aussage, die die Ökos sonst nirgendwo treffen: »›Wir brauchen die Agrarwende, und ein neues Wirtschaftssystem, weil wir Bio-Hühner in eurem Kapitalismus nach 14 Monaten im Kochtopf landen, da wir dann zu wenige Eier legen.‹ Hilde, das Huhn (1,5 Jahre), Aktion 3. Welt Saar e. V.« Alleine dafür könnte ich Hilde knuddeln. Gut gemacht.