Zu Gast bei den rechtsextremen Berliner »Dienstagsgesprächen«

Immer wieder dienstags

Im »Dienstagsgespräch« des Berliner Rechtsextremen Hans-Ulrich Pieper trat der AfD-Politiker Wolfgang Gedeon vor NPD-Prominenz auf. Den ehemaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt begrüßte er mit Handschlag.

Es dürfte das letzte Mal gewesen sein, dass Wolfgang Gedeon vor einem Neonazi sprach, der seine Sympathie für »Combat 18« öffentlich auf seiner ­Jacke zeigen konnte. Nur neun Tage nachdem der AfD-Politiker am 14. Januar beim rechtsextremen »Dienstagsgespräch« in Berlin aufgetreten war, wurde das Terrornetzwerk verboten. Der Ein­ladung zum Vortrag folgte neben einem ehemaligen Berliner Partei­kollegen Gedeons insbesondere Prominenz der NPD. Als Ort des Treffens diente die ­»Tiroler Stube« des Restaurants »Löwenbräu« nahe dem Gendarmenmarkt.

Seit 1991 organisiert der Rechtsextreme Hans-Ulrich Pieper in Berlin die »Dienstagsgespräche«, die konservative und extreme Rechte zusammenbringen und auch Militärangehörige, Wissenschaftler und »Führungskräfte aus der Wirtschaft« ansprechen sollen.

Auf seiner Website führt Pieper eine Liste seiner angeblichen bisherigen Referenten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft auf. Neben Jörg Haider (FPÖ), Egon Bahr (SPD) und dem Schauspieler Harald Juhnke finden sich dort auch der Geschichtsrevisionst Ernst Nolte und Verursacher von Antisemitismus­skandalen wie Jürgen Möllemann (FDP), Martin Hohmann (AfD, ehemals CDU) und der ehemalige KSK-Kommandeur Reinhard Günzel. Die antisemitische Schlagseite der Dienstags­gespräche war in den vergangenen Jahren unübersehbar. Im Juli 2018 referierte der als »Volkslehrer« auftretende rechtsextreme Youtuber Nikolai Nerling, der auf seinem Kanal antisemitische Propaganda verbreitet. Im Oktober 2019 ließ Pieper den Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub auf­treten, der seit den frühen Neunzigern zu den führenden Vertretern der Holocaustleugnerszene zählt.

Wie antifaschistische Recherchen belegen, sind Berliner Aktivisten der NPD-Kampagne »Schutzzone« am ­Ablauf der Dienstagsgespräche direkt beteiligt und weisen Interessierten etwa den Weg zu den mittlerweile nicht mehr öffentlich bekanntgegebenen Veranstaltungsorten. Trotz dieser Geheimhaltungsversuche fanden rund 100 Gegendemonstrantinnen und -demonstranten den Weg zu Gedeons Auftrittsort, dem Gasthof »Löwenbräu« am Gendarmenmarkt, und wandten sich inbesondere gegen dessen Betreiber. In den vergangenen Jahren hatte Pieper nach Protesten mehrfach die Lokalität für das Dienstagsgespräch wechseln müssen, vor fünf Jahren hatte etwa die »Filmbühne am Steinplatz« in Charlottenburg als Veranstaltungsort gedient (Jungle World 2/2014). ­Beteiligte der NPD-Kampagne waren Beobachtern zufolge auch im »Löwenbräu« für die Sicherheit verantwortlich. Aus ihrem Umfeld soll der auf der Veranstaltung anwesende Träger ­einer Jacke mit der Aufschrift »C18« und dem Emblem der nun verbotenen rechtsterroristischen Organisation stammen.

Fotos von der Veranstaltung zeigen außerdem, wie der Referent Gedeon und das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Kay Nerstheimer (damals AfD) den langjährigen NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt mit Handschlag ­begrüßen. Auch der Berliner Landesvorsitzende der NPD, Andreas Käfer, sowie dessen Vorgänger, Uwe Meenen, besuchten wie schon in der Vergangenheit das Dienstagsgespräch. Meenen hatte sich im Juli vergangenen Jahres an der antisemitischen al-Quds-­Demonstration in Berlin beteiligt. Nerstheimer, der auf Fotos im Gespräch mit Gedeon zu sehen ist, wurde vom Bundesschiedsgericht der AfD wenige Tage nach Gedeons Vortrag aus der Partei ausgeschlossen; das bestätigte der Pressesprecher der Berliner AfD, Ronald Gläser, der Jungle World. Der Berliner Landesvorstand hatte 2016 ein Ausschlussverfahren gegen Nerstheimer eingeleitet. Er hatte zuvor Schwarze als »Bimbos« und Homosexuelle als »degenerierte Spezies« bezeichnet. Für letztgenannte Äußerung war er wegen Volksverhetzung verurteilt worden.

Gedeons Vortrag trug den Titel »Ich, die AfD und der Antisemitismus«, er stellte darin seine gleichnamige Schrift aus dem Jahr 2018 vor. In dieser verteidigt Gedeon seine Annahme, bei den antisemitischen »Protokollen der Weisen von Zion« handele es sich nicht um eine Fälschung, und bezeichnet die Shoah als »Zivilreligion«, da der Mord an sechs Millionen Jüdinnen und ­Juden für ihn nicht überprüfbar sei und an seine Existenz nur geglaubt werden könne. In Dialogform erklärt Gedeon auf über 200 Seiten das Welt­geschehen mit dem Einfluss »zionistischer Lobbygruppen«. Von Flucht­bewegungen nach Europa, die der US-amerikanische jüdische Unternehmer George Soros als »König der internationalen Schlepperbanden« dirigiere, über den politischen Abstieg Martin Schulz’ oder Sigmar Gabriels, die auf kritische Äußerungen über Israel zurückzuführen seien, bis zur Einrichtung von Antisemitismusbeauftragten in Deutschland: Stets wittert Gedeon »versteckte zionistische Einmischung in die deutsche Politik«.

Ähnliche Passagen aus Gedeons Schriften hatten bereits im Sommer 2016 einen Konflikt über Antisemitismus in der baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion ausgelöst. Nachdem unter deren Mitgliedern ­keine Zweidrittelmehrheit für den Ausschluss Gedeons zustande gekommen war, spaltete sich die Fraktion für kurze Zeit, ehe Gedeon sie verließ. Der Zusammenarbeit tat das keinen Abbruch: Im Herbst 2017 wurde Gedeon in den »Arbeitskreis Europa« der Fraktion aufgenommen, im Dezember stellte er gemeinsam mit Landtagskollegen ­Anträge beim Bundesparteitag. Im vergangenen Jahr sprach sich die Mehrheit der Fraktionsmitglieder für die Wiederaufnahme Gedeons aus und verpasste die notwendige Zweidrittelmehrheit nur knapp. Parteiausschlussverfahren, die vor allem der Bundes­vorstand vorantrieb, scheiterten wiederholt. Für Aufsehen sorgte Gedeons ­Klage gegen den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster; Gedeon wollte diesm untersagen ihn »Holocaustleugner« zu nennen. Eine Kammer des Berliner Landgerichts wies die Klage im Januar 2018 ab. Die Relativierung der Opferzahlen der Shoah in Gedeons Schriften, die selbst dessen Anwältin in der Verhandlung einräumte, könne als Leugnung bezeichnet werden.

Für das Dienstagsgespräch am 4. Februar war zunächst der umstrittene ­Politologe Werner J. Patzelt angekündigt, der bis zum vergangenen Jahr an der TU Dresden lehrte. 2016 hatte Patzelt in einem Gutachten den Texten Gedeons explizit sekundären Antisemitismus attestiert. Angekündigt worden war Patzelts Vortrag unter dem Titel »Wer gefährdet unsere Demokratie?«. Aus einem E-Mail-Austausch, den Patzelt der Jungle World vorlegte, geht hervor, dass der Politologe seine Zusage zurückzog, nachdem er von einem Dritten auf die Veranstaltung mit Gedeon hingewiesen worden war. Ersatz konnte Pieper schnell organisieren: Der ehemalige AfD-Politiker Nerst­heimer soll dann gemeinsam mit dem Youtuber Nerling über »Patriotenver­folgung« referieren.