Small Talk mit Miro Dittrich von der Amadeu-Antonio-Stiftung über das Online-Monitoring von Rechtsextremen

»Es gibt in Deutschland keine Internet-Antifa«

Small Talk Von Martin Brandt

Am Donnerstag vergangener Woche stellte die Amadeu-Antonio-Stiftung die Ergebnisse ihres zweijährigen Monitorings zur sogenannten Online-Radikalisierung von Rechtsextremisten und Rechtsterroristen vor. Die Jungle World hat mit Miro Dittrich gesprochen. Er ist Experte für Online-Monitoring und einer der Autoren der ­Broschüre.

Was haben Sie untersucht?
Wir sind zum einen der Frage nachgegangen, wie es gelingt, dass Menschen an Sachen glauben, die weit von der Realität entfernt und leicht zu widerlegen sind. Mit welchen Strategien wird diese alternative Realität aufgebaut und aufrechterhalten? Zum anderen haben wir uns angeschaut, wie unterschiedlich die sozialen Plattformen genutzt werden und welche Funktionen sie erfüllen.

Was sind derzeit die beliebtesten Plattformen?
Die Plattform, die gerade am meisten boomt, ist der Messenger-Dienst Telegram. Der ist bei Rechtsextremisten beliebt, weil dort nichts gelöscht wird. Man kann dort zum Genozid aufrufen, den Holocaust leugnen und Bombenanleitungen teilen. Außerdem sehen wir, dass sich die Leute in spezifische communities und privatere Kanäle zurückziehen. Youtube ist weiterhin eine der wichtigsten Radikalisierungsplattformen gerade für junge Menschen. Auf ­Instagram sehen wir immer mehr verfassungsfeindliche Inhalte.

Vor einigen Monaten haben Hacker umfangreiche Datensätze des Naziforums »Iron March« veröffentlicht, in dem sich rechtsterroristische Gruppen wie die Atomwaffendivision gründeten. Wie viele deutschsprachige Account-Inhaber konnte man identifizieren?
Bisher konnte man circa 20 klar identifizieren, obwohl einige ihr Herkunftsland mit VPN verschleierten. Wahrscheinlich sind es aber mehr. Allgemein haben Foren an Bedeutung verloren. Ich sehe aber, dass es eine deutsche community gibt, die sehr nah am terroristischen Milieu wie der Atomwaffendivision dran ist und deren Aktionen sehr genau verfolgt.

Sollten sich Antifaschisten online stärker engagieren?
Ja – es gibt in Deutschland keine Internet-Antifa. In den USA hat man verstanden, dass Rechtsextreme viel Zeit online verbringen. Wenn es darum geht, Strukturen zu identifizieren und Bedrohungen aufzudecken, wird in den USA sehr viel von antifaschistischen Gruppen wie »Unicorn Riot« gemacht. Vor kurzem hat sich beispielsweise jemand noch vor dem FBI in die Terrorgruppe The Base eingeschleust. In Deutschland gibt es nur sehr wenige Leute und Gruppen, die sich damit beschäftigen. Einerseits gibt es nicht so den richtigen Zugang, andererseits wurde es einfach verschlafen. Auch haben wir in Deutschland eine gewisse Technikfeindlichkeit. So redet man lieber über die »Datenkrake Facebook«, anstatt sich damit auseinanderzusetzen, wie dort Faschisten Propaganda und Rekrutierung betreiben. Sehr vereinfacht kann man sagen, dass Linke das Internet zur Unterhaltung nutzen, während Rechte darin Politik betreiben.

Was tun die deutschen Behörden?
Sie haben das Phänomen ganz klar verschlafen. Der Zusammenhang von Rechtsterrorismus und Online-Radikalisierung ist komplex und dynamisch. Man muss nicht nur die Akteure und Plattformen kennen, die gerade in sind, sondern auch die Sprache, die über Codierungen und Memes läuft. Man braucht Experten, die sowohl den Rechtsextremismus als auch die Online-Welt verstehen, und davon gibt es derzeit nur sehr wenige. Im Gegensatz dazu sehen wir in den USA, dass das FBI seit kurzem gegen sehr viele Leute aus dem rechtsextremen Online-Milieu vorgeht und sie festnimmt.

Sind die US-amerikanischen Behörden besser aufgestellt?
Die sind ziemlich gut aufgestellt. Das liegt auch daran, dass eine Karriere beim FBI sehr angesehen ist, dort wollen viele qualifizierte Leute arbeiten. Das ist beim BKA und beim Verfassungsschutz nicht so. Die neuesten Verhaftungen im Zusammenhang mit der Terrorgruppe The Base zeigen, dass vor zwei Wochen ein Massenmord verhindert wurde. Die Mitglieder hatten bereits geladene Waffen, mit denen sie zu einer Demonstration fahren wollten, wurden jedoch festgenommen. Es ist also durchaus möglich, in diesen Online-Räumen zu sein. Dafür braucht man keine neuen Tools, die die Privatsphäre aushöhlen. Die meisten dieser Zugänge sind vollkommen öffentlich, man muss nur über das Wissen verfügen, an welchen Orten und mit welchen Methoden rechte Radikalisierung stattfindet.