Die Paranoia der Hauptfigur Xhafer in dem Film »Exil«

Toxische Zwischen­menschlichkeit

In dem Spielfilm »Exil« von Regisseur Visar Morina treiben fremdenfeindliche Kollegen die Hauptfigur Xhafer in die Paranoia.

Der Regisseur Visar Morina erzählte in seinem Debütfilm »Babai« (albanisch: Vater) von 2015 aus der Per­spektive des Sohnes von der Suche ­eines Kosovo-Albaners nach Asyl und einem Neuanfang. Der Film ging auf Kindheitserlebnisse Morinas zurück, der 1979 in Priština geboren wurde und mit 14 Jahren nach Deutschland kam. In seinem neuen Film »Exil« erzählt er ebenfalls mit Anleihen an der eigenen Biographie die Geschichte eines Mannes aus dem Kosovo, der sich in der bürgerlichen Mittelschicht Deutschlands eingerichtet hat und bemerken muss, dass er nicht so etabliert ist, wie er dachte.

Xhafer (Mišel Matičević) ist in ­einem pharmazeutischen Unternehmen angestellt. Schon einige Jahre arbeitet er mit denselben Kollegen. Auf den ersten Blick scheinen die Verhältnisse bei der Arbeit von Routinen geprägt zu sein, wie es eben so ist, wenn nach einer gewissen Zeit der Arbeitsplatz das halbe Privatleben prägt. Man plant gemeinsame Unternehmungen mit dem Team und tauscht sich über die Familien aus. Daheim hat Xhafers Frau Nora (Sandra Hüller) gerade das dritte Kind bekommen. Sie schmeißt den Haushalt und schreibt an ihrer Doktor­arbeit, wenn die Oma mal Zeit hat, ein paar Stunden die Kinder zu ­betreuen.

Regisseur Visar Morina lässt Mišel Matičević und Sandra Hüller im steten Wechsel von Erregung und Erschöpfung entgegengesetzte körperliche Extremzustände darstellen, um sich Bild für Bild der psychischen Labilität der Charaktere zu nähern.

Schon die Eröffnungsszene deutet spannungsgeladen an, dass in diesem harmlos anmutenden Setting nicht alles glatt läuft: Xhafer geht nach Feierabend auf dem Heimweg durch eine Eigenheimsiedlung. Sein in sich versunkener Blick und sein schweißnasses Profil sind in Großaufnahme zu sehen, während Garagen, Hecken und Häuser an ihm vorbei­gleiten. Das laute Ticken eines Rasen­sprengers weist auf die herrschende schwüle Hitze, aber auch auf Xhafers innere Anspannung hin. In seinem Vorgarten liegt Spielzeug herum und an seinem Eingangstor hängt eine tote Ratte. Dem Frieden der Wohnsiedlung ist nicht zu trauen.

Hier beginnt die düstere Veranschaulichung subjektiver Wahrnehmung von Fremdenfeindlichkeit, die das Thema des Films ist. Schon der erste Anblick der Ratte löst bei ­Xhafer Paranoia aus. Weil er als Kosovo-Albaner in Deutschland un­angenehme Dinge wie falsches Aussprechen oder gar Vergessen seines Namens gewohnt ist, und auch weil er die gutgemeinte Frage, ob er Schweinefleisch äße, einzuordnen weiß, wähnt er sich abgehärtet. Selbst gegen die Fremdenfeindlichkeit der Schwiegermutter hat er sich mit Sarkasmus gewappnet. Er hat zu ertragen gelernt, täglich aufs Neue daran erinnert zu werden, dass er anders ist. Doch die Ratte nimmt er persönlich.

Vor Frau und Kindern hält er den Vorfall geheim, der Tag war schließlich lang.

Am nächsten Morgen bemerkt Xhafer im Büro, dass ein Meeting in einen anderen Raum verlegt worden ist. Er war nicht im E-Mail-Verteiler und kommt zu spät zu seinem eigenen Vortrag. An Ratten erforscht sein Unternehmen einen neuen Impfstoff, er sollte den Zwischenstand präsentieren. Xhafer beginnt, Indi­zien für ein Komplott gegen sich zu sammeln, und schießt sich bald auf seinen Kollegen Urs (Rainer Bock) ein, den er nun hinter dem Rattenanschlag vermutet.

Als er seiner Frau anvertraut, dass er sich wegen seiner Herkunft gemobbt fühlt, relativiert sie seinen Verdacht. Sie sagt, dass sie seine Zweifel eher nachvollziehen könnte, wenn er beispielsweise arabisch aussähe. Das beruhigt Xhafer freilich nicht; er beginnt vielmehr, den Konflikt ins Private hineinzutragen, Fremdenfeindlichkeit auch bei seiner Frau zu suchen. Während Xhafer sich immer tiefer in seine Paranoia verrennt, entwickelt sich »Exil« zu einem traurigen Panorama der Menschen aus seinem nahen Umfeld, beginnend bei seiner Frau. »Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass sie dich nicht leiden können, weil du einfach nur ein Arschloch bist?« knallt sie ihm in einer Szene vor den Latz.

Objektiv betrachtet stimmt das auch. Xhafer ist ein Arschloch, eines unter vielen. In Visar Morinas Film sind alle unglücklich. Er lässt in solchen Bemerkungen eine Gesellschaft voll von Enttäuschungen und Feindseligkeiten aufscheinen, eine toxische Zwischenmenschlichkeit bar jeden Einfühlungsvermögens, ein Miteinander egozentrischer, selbstmitleidiger Gestalten: Xhafer, seine Frau, seine Kollegen.

Keiner bemerkt des anderen Vereinsamung, Verzweiflung, Über­forderung.

Morina relativiert den Antislawismus in Deutschland nicht, den er selbst erlebt hat. Dieser ist ihm nur die vertrauteste aller Diskriminierungsformen in einer Welt, in der es sehr vielen aus unterschiedlichen Gründen mehr oder weniger gleich schlecht geht. Fremdenfeindlichkeit scheint Morina für eine Art Symptom von gesellschaftlichem Versagen bei der Mitmenschlichkeit zu halten. Denn in »Exil« gibt es so etwas wie Moral nicht, keine Guten oder Bösen; nur Figuren, die zu gleichen Teilen mitleiderregend und ver­achtenswert sind und alle gegen alle ihr kleines bisschen Macht ausagieren. Der Film lässt spüren, wie bedrückend es ist, in einer solchen Gesellschaft zu leben.

In einem Wort könnte man Morinas Kino physisch nennen. Gemeinsam mit Kameramann Matteo Cocco hat Morina eine Ästhetik entwickelt, die Körper als Material begreift und ganz betont Bilder körperlicher Erfahrung zur Vermittlung psychischer Be­lastung nutzt. Mit schwitzenden Leibern in unerträglich scheinender Sommerglut verbildlicht Morina das gesellschaftliche Klima, in dem bei seinen Figuren jene Neurosen und Psychosen gedeihen, die in gegenseitige Gängeleien münden. Auch sonst werden Körper oft inszeniert, sei es beim hitzigen Streit, beim kühlen Bad, beim verschwitztem Sex oder dem apathischen Milchabpumpen: Morina lässt Mišel Matičević und Sandra Hüller in stetem Wechsel von Erregung und Erschöpfung entgegengesetzte körperliche Extremzustände darstellen, um sich Bild für Bild der psychischen Labilität der Charaktere zu nähern.

In »Exil« ist es ständig dunkel. Morina entwirft düstere, beklemmende Räume für das Ehepaar; der einzig beleuchtete Ort ist das Kinderzimmer, das Xhafer zum Refugium wird. Mit fortschreitender Paranoia wird es Sinnbild für seine Scham, sein Trauma, aber auch seine Regression und die ewige Beschwichtigung durch seine Frau. Bei der Arbeit sind spärlich beleuchtete Gänge oft Orte der Auseinandersetzung. Der Arbeitsplatz ist in Fluren, Toiletten oder der Kantine als Grenzraum zwischen Öffentlichem und Privatem dargestellt. Hier vermengen sich Karrierebestrebungen, persönliche Abneigungen und eine Vielzahl profes­sio­neller und privater Motivationen zu einer kollektiven Belastung, der sich jeder Einzelne ausgesetzt sieht und aussetzen muss. Ironischer­weise besteht die Arbeit von Xhafer und seinen Kollegen darin, an Me­dikamenten zu forschen. Vielleicht ist das die große Metapher des Films: Wenn der Leib gesund ist, heißt das nicht automatisch, dass die Seele es auch ist.

Exil (BEL/D/RKS 2020). Buch und Regie: ­Visar Morina. Darsteller: Mišel Matičević, Sandra Hüller, Rainer Bock