Das neue Album der Idles

Punks, die keine sein wollen

Die britischen Idles sind die »woke« Version einer Rockband.

Mal ehrlich: Was ist eigentlich noch Punk? Ein bisschen antibürger­licher Habitus, eine Frisur wie Sascha Lobo – oder 1977 und sonst nichts? Jahrelang stritten sich Bands und Fans um das begehrte Label, aber heutige Gruppen wollen ­damit nichts mehr zu tun haben. »Zum letzten Mal: Wir sind keine verdammte Punkband«, insistierte Joe Talbot, der Sänger der bri­tischen Band Idles, bei einer Show in Manchester im traditionsreichen »The Ritz«, das heutzutage kapitalistisch korrekt »O2 Ritz« heißt. Das war 2018, Idles hatten gerade ihr zweites Album »Joy as an Act of Resistance« veröffentlicht, das ähnlich erfolgreich war wie das Debüt »Brutalism« von 2017. Die 2009 gegründete Band spielte ausverkaufte Konzerte auf Welttourneen, eröffnete für die Foo Fighters, war später bei den Brit Awards 2019 für den Titel »Best Breakthrough Act« nominiert. Ziemlich unpunkig, das Ganze, oder?

Was Idles schon immer besonders gemacht hat, ist, dass sie Schicksale nicht ausschließlich auf individuelle Ursachen zurückführen und sich damit von der ewig gleichen introspektiven, unpolitischen Befindlichkeitslyrik abheben.

Die jüngst erschienene Platte »Ultra Mono« ist anders. Zum Glück, möchte man sagen, denn beide Vorgängeralben haben ihren Ursprung zu weiten Teilen in persönliche Tragödien Talbots. Der Veröffentlichung von »Brutalism« ging der Tod seiner Mutter voraus, die er seit seinem 16. Lebensjahr pflegte. Sie starb, während die Band das Album schrieb. Er verewigte sie in Form einer Fotografie auf dem Cover. Das Album ist geprägt von individueller Trauer, aber auch von Wut auf die Verhältnisse. »My mother worked 17 hours seven days a week«, heißt es in »Mother«. 2018 folgte der nächste Schicksalsschlag und das nächste Album: »Joy as an Act of Resistance« ist beeinflusst von einer Fehlgeburt. Talbots verstorbene Tochter besingt er furchteinflößend niedergeschlagen im Song »June«. Besingt, wohlgemerkt, denn sonst ist sein Markenzeichen das bewusst schräge, kläffende, manchmal mit dem Wahnsinn flirtende Brüllen.

Idles traten schon zu dieser Zeit überaus woke auf, was sicher erheblich zu ihrem Erfolg nicht nur in Großbritannien beigetragen hat. Talbot sinnierte fröhlich darüber, wie er »Homophobe in Särge« steckt (»Colossus«), oder sprach in seinen Texten an, wie alltäglicher Sexismus zu Vergewaltigungen führen kann (»Mother«). Live verwandelte er sich vom lauten, behaarten, tätowierten Biest oft in einen sensiblen Prediger, der nicht nur bestimmt, was Punk ist und was nicht, sondern auch sein Publikum über toxische Männlichkeit aufklärt oder mit Gitarrist und Zahnarzt Mark Bowen knutscht. In einer Zeit, in der immer wieder Fälle bekannt werden, in denen mal mehr, mal weniger prominente männliche Rockmusiker sexuelle Gewalt und Belästigung gegen Fans ausgeübt haben, darf diese explizite Thematisierung geradezu als rebellisch gelten. Markieren Idles das offizielle Ende des alten Rockstar-Images?

Der britische Guardian bezeichnete eine Szene, in der Talbot 2019 beim ausverkauften Glastonbury Festival vor Hunderttausenden Menschen und während einer weltweiten Übertragung plötzlich zu weinen begann, als »Moment, in denen ihr Status als nächste große britische Rockband bestätigt wurde«. Die Menge war keinesfalls irritiert, sondern jubelte. ­Eigenen Aussagen zufolge soll eine Therapie dazu geführt haben, dass er sich intensiver mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzte und zu dem Schluss kam, dass die Männlichkeit abgeschafft gehöre.

Was Idles schon immer besonders gemacht hat, ist, dass sie Schicksale nicht ausschließlich auf individuelle Ursachen zurückführen und sich damit von der ewig gleichen intro­spektiven, unpolitischen Befindlichkeitslyrik abheben, mit der so viele, nicht nur Rockbands, nach wie vor arbeiten. Zwar hat »Ultra Mono« ein wenig von der authentischen Tragik der beiden Vorgänger eingebüßt, dafür nimmt das Album geradezu klassenbewusst die Gesellschaft als Produzentin diverser Tragödien in den Blick, etwa in »Carcinogenic«: »Den Mindestlohn verdienen, während dein Chef eine Gehaltserhöhung bekommt und durch seine brandneuen Zähne hindurch lügt, ist krebserregend.« Die Schilderungen der ­Umstände, gegen die zu rebellieren wäre, werden konkreter. Offen bleiben hingegen die Aufrufe, wie genau das zu tun sei: »Das ist der Sound der zahlenmäßigen Überlegenheit«, heißt es, wohl an den berühmten Song »The Sound of the Suburbs« der Members erinnernd, in »Grounds«. Am Ende verlagert Talbots Poesie die Bringschuld oft wieder auf das Ich: »I am I, unify.«

Diese Mischung aus wokeness und proletarischem Habitus gefällt nicht jedem. Jason Williamson von den Sleaford Mods warf Idles vor, eine angeeignete Arbeiterkultur zu kommerzialisieren, und resümierte angesichts von Fotos der Bandmitglieder auf dem roten Teppich der Brit Awards, sie seien nun »so beschissen wie der Brexit«. Solche Vorwürfe scheinen Joe Talbot nicht zu kratzen: Warum sollte man die größtmögliche Aufmerksamkeit nicht nutzen, wenn man die Massen erreichen will? Und was ist mehr Punk, als die zu ärgern, die sich für die besseren Punks halten?

Trotz der Popularität klingen Idles auf dem dritten Album kratzbürstig. In denselben Interviews, in denen sich Talbot der Einordnung seiner Band als »Punk« oder »Post-Punk« erwehrt, betont er gern, die Musik solle klingen wie eine »Maschine«, nennt unter anderem die krachigen Kanadier Metz (Quietschende Ketten - Jungle World 32/2019) als Einfluss. »Ultra Mono« baut dieses Prinzip weiter aus, klingt minimalistisch, mechanisch, roh, zuweilen regelrecht unzugänglich – und verzichtet beinahe gänzlich auf Verschnaufpausen. Die pandemiebedingte Auszeit scheint dieser Band nur noch mehr Energie verliehen zu haben. So bestätigte Talbot kürzlich, dass Idles bereits an einem vierten Album arbeiten.

Trotz all des Grolls auf Faschisten, Sexisten und Gesamttrauerspiele wie den »Brexit« bleiben Idles eine Band, bei der der Spaß am Widerstand nicht zu kurz kommen soll. Talbots Texte pendeln zwischen komplexen Sprachbildern und bewusster Idiotie (»Fee fee fi fi fo fo fum, I smell the blood of a million sons«). Für das Video zur aggressiv-positiven Gitarrenaerobic-Nummer »Mr. Motivator« wurden Fans gebeten, kurze Aufnahmen von sich beim Workout an die Band zu schicken. Das offizielle Musikvideo ist eine herrlich blöde Collage, zusammengeschnitten aus den Einsendungen.

Nur ab und zu schütteln Idles auf »Ultra Mono« die Ironie und das Angedeutete ab und konfrontieren den Hörer mit Mantras. Der Song »Ne touche pas moi« (Fass mich nicht an) ist als Kampfansage gegen sexistische Übergriffigkeit gedacht. Aber Talbots wiederholte Rufe nach »consent« und das Gebet »Dein Körper ist dein Körper und gehört niemandem außer dir« wirken im Vergleich zu der sonst klügeren und mehrdeutigen Lyrik dann doch ungewöhnlich flach.

Mit derlei Kritik wird man dieser Band aber nicht beikommen können, die ausgerechnet 2020 mehr denn je von allen Selbstzweifeln ­befreit scheint, jegliche Negativität der Welt einfach aufsaugt und in ­einen Wirbelsturm fieser Herzlichkeit verwandeln will. Es ist diese radikale, kämpferische Gefühligkeit, die die Band nicht nur zum Liebling ­hyperaufgeklärter Musikjournalisten macht, sondern unzweifelhaft ein höchst diverses Publikum anspricht, mit einem Sound, der in diesem Jahrzehnt eigentlich gar nicht mehr funktionieren sollte. Gerade weil Idles nie mit den Muskeln spielen, führt an ihnen kaum ein Weg vorbei. Und das ist am Ende doch ziemlich Punk, ob man das nun will oder nicht.

Idles: Ultra Mono (Partisan Records)