Die US-Wahlen erteilten Trumps autoritärem Populismus eine Absage

Die USA haben entschieden

Die US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler haben dem Trumpismus mehrheitlich eine Absage erteilt. Doch Donald Trump will sich mit der Niederlage ebenso wenig abfinden wie die Bewegung, die ihn überhaupt erst zum Präsidentschaftsanwärter gemacht hat.

Der hart erkämpfte Wahlsieg von Joseph Robinette Biden Jr. bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist vor allem eines: eine Absage an den Trumpismus. Mehr als 76 Millionen Stimmen haben Biden und Kamala Harris erhalten, gut vier Millionen mehr als Amtsinhaber Donald J. Trump und sein Vizepräsident Mike Pence. Kein Kandidat hat bisher bei einer US-amerikanischen Wahl so viele Stimmen auf sich vereinen können.

Zum dritten Mal seit 1945 wurde ein amtierender Präsident abgewählt. Die erfolgreiche Kampagne der Demokraten richtete sich vor allem gegen die illiberale Transformation unter Trumps Führung, die, wie Biden sich ausdrückte, die »Seele« der Vereinigten Staaten zu verändern drohte.

Präsident Trump hat die Institutionen der US-Demokratie in präzedenzloser Weise zu untergraben versucht – durch aggressive Regelbrüche, durch augenzwinkernde Unterstützung von white supremacists, durch die ständige Verbreitung von »alternativen Fakten«, also Desinformation, oder durch die Denunzierung von Journalistinnen und Journalisten als »Volksfeinde«.

Zuletzt erwartete Trump von seinem Justizminister und Generalstaatsanwalt William Barr, Biden und Obama für das »größte politische Verbrechen unseres Landes« anzuklagen, und versprach, sie nach seinem Wahlsieg verhaften zu lassen. Die Institutionen und ihr System der checks and balances hatten in einem kaum erwarteten Maß Mühe, dem Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der USA aus dem Zentrum der politischen Macht heraus standzuhalten.

Diesen Angriff unterstütze freilich nie eine gesellschaftliche Mehrheit, sondern eine lautstarke und gewichtige Minderheit – in der Wahl machte sie etwa 47 Prozent der Wahlbeteiligten aus. Eine überwältigende Absage an Trumps autoritären Populismus, wie sie in den Umfragen vor der Wahl möglich erschien, blieb aus. Mehr als 71 Millionen Wahlberechtigte stimmten für ihn – so viele wie noch nie für einen Republikaner und über acht Millionen mehr als bei Trumps Sieg 2016. Da aber im US-amerikanischen Wahlsystem der Präsident nicht direkt, sondern vom Electoral College gewählt wird und dessen Mitglieder in fast allen Bundesstaaten nach dem Prinzip winner takes all bestimmt werden, entschieden am Ende wenige Bezirke in und um Ballungszentren den Wahlausgang – etwa Wayne County (in und um Detroit) für Michigan, die Städte Philadelphia und Pittsburgh für Pennsylvania oder Atlanta für Georgia.

Die Demographie der jeweiligen Wählerschaft änderte sich kaum im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2016. Trump gewann einige Wählerinnen und Wähler mit einem Einkommen von mehr als 100 000 US-Dollar hinzu – auch dank üppiger Steuergeschenke für Wohlhabende und einer aggressiven Deregulierungspolitik für Unternehmen –, während er bei ärmeren Schichten prozentual leicht verlor. Trotz Trumps desaströsen Umgangs mit der Covid-19-Pandemie blieben seine Verluste bei der älteren Wählerschaft gering. Nur bei Wählerinnen und Wählern unter 30 Jahren gab es eine deutliche Verschiebung zu Biden und Harris. Der Anteil an Frauen, die gegen Trump stimmten, stieg leicht im Vergleich zur Wahl 2016, während ihn weiterhin vier von fünf weißen Männern mit geringer Bildung wählten.

Biden und Harris bekamen deutlich mehr Stimmen von Schwarzen als Hillary Clinton, doch auch Trump legte in dieser Gruppe zu, wenn man die absoluten Zahlen zugrunde legt. Trump gewann bei der kubanisch- und venezolanisch-amerikanischen Wählerschaft, wobei in großen Teilen des Landes noch deutlich mehr US-Bürgerinnen und -Bürger mit lateinamerikanischem Hintergrund für Biden und Harris stimmten als für Clinton vor vier Jahren. Geringe Verschiebungen gaben so den Ausschlag – und der Umstand, dass die enorme Mobilisierung von Trumps Wählerschaft von den Demokraten noch übertroffen wurde.

Das Wahlergebnis zeigt die starke Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft. Was mit der »Tea Party«-Bewegung in Reaktion auf die Präsidentschaft Barack Obamas und dessen ­angestrebte Gesundheitsreform begann, nahm im Trumpismus die Form einer gesellschaftlich fest etablierten populistisch-autoritären Revolte an, die ideologisch mit demokratischen Grundsätzen gebrochen hat.

Allerdings beruht die Stärke des Trumpismus nicht ausschließlich auf einer fanatischen Basis. Er gründet auf einer Koalition aus der traditionell republikanisch wählenden Landbevölkerung, fundamentalistischen Christinnen und Christen, deren Hoffnungen auf die Ernennung erzkonservativer Bundesrichterinnen und -richter Trump erfüllte, aus Wählerschichten, die auf immer weiter gehende Steuererleichterungen und wirtschaftliche Deregulierung schielen, bis hin zu frustrierten weißen Industriearbeiterinnen und -arbeitern, die in den vergangenen Jahrzehnten einen sozialen Abstieg hinnehmen mussten. Jene ökonomisch abgehängten und bildungsfernen Schichten bleiben ein Nährboden für den Trumpismus, obwohl Trumps Wirtschaftspolitik die gravierenden sozialen Differenzen der Gesellschaft eher noch vergrößerte. Trumps Basis applaudiert ihm nicht trotz, sondern vielfach wegen seiner die politischen Normen sprengenden ständigen Lügen, seines narzisstischen Rowdytums und seines sexistischen Machogehabes. Er erscheint ihnen als autoritärer Rebell, der das »wahre Amerika« gegen eine Verschwörung »des Establishments« und »der Globalisten« verteidigt. Michael Caputo etwa, den Trump im Frühjahr 2020 zum Sprecher des Gesundheitsministeriums ernannte, bezeichnete den Milliardär und Philanthropen George Soros als einen Drahtzieher der Coronakrise. Seine »politische Agenda« erfordere »eine Pandemie«. Soros sei »das echte Virus hinter allem«. Aufgrund der Stellung, die Trump inzwischen in der republikanischen Partei hat, wird er voraussichtlich auch künftig das Sprachrohr derjenigen bleiben, die sich in eine Zeit vor der Bürgerrechtsbewegung und der Globalisierung zurücksehnen.

Noch nie in der US-amerikanischen Geschichte wurde der demokratische Ablauf einer Präsidentschaftswahl dermaßen in Frage gestellt.

Trumps aggressive Rhetorik befeuert nicht nur Rassismus und Diskriminierungen im Alltag – sie kokettiert auch mit militantem Rechtsextremismus. Er bekundete Sympathie für Rechtsextreme wie die Proud Boys und den wegen des Erschießens von zwei Demonstranten in Kenosha, Wisconsin, angeklagten Kyle Rittenhouse. Es hat durchaus seine Gründe, wie einige Anhängerinnen und Anhänger Anspielungen in Trumps Reden und Twitter-Nachrichten verstehen. Manche haben Synagogen angegriffen und vorige Woche am Rande einer Veranstaltung Trumps in Grand Rapids, Michigan, einen jüdischen Friedhof geschändet.

Die republikanischen Partei hat sich Trump weitestgehend unterworfen – die »Grand Old Party« ist nun die Trump-Partei: Sie wird bestimmt von der Familie Trump, einer zum Trumpismus übergelaufenen alten Garde von rechten Republikanern wie Newt Gingrich oder Rudy Giuliani und hochideologisierten Newcomern, von denen manche an den Qanon-Verschwörungsmythos glauben – wie die im Bundesstaat Georgia frisch in den Kongress gewählte Marjorie Taylor Greene. Nur vereinzelt gratulierten prominente Republikaner Biden zu seinem Wahlsieg, darunter der ehemalige US-Präsident George W. Bush. In der Partei spielen sie jedoch kaum mehr eine Rolle.

Neben den Republikanern propagieren seit langem die Meinungsmacher des Nachrichtensenders Fox News die postfaktische Welt des Trumpismus. Der Moderator Tucker Carlson beschrieb in den Wochen vor der Wahl diese als eine Schicksalswahl gegen den »Kommunismus«, sein Kollege Sean Hannity als einen existentiellen Kampf gegen ein »radikal extrem sozialistisches Programm« Bidens.

Noch während der Auszählung behauptete Trump, die Wahlen seien gefälscht (bisher ist nicht ein einziger Fall bekannt, in dem eigentlich ungültige Stimmen mitgezählt worden wären), und insistierte, er habe die Wahl »mit großem Vorsprung« gewonnen. Einflussreiche Republikaner wie die Senatoren Lindsey Graham und Ted Cruz oder Giuliani, der Anwalt Trumps und ehemalige Bürgermeister New Yorks, witterten ebenfalls »Wahlbetrug«. Gingrich, ein ehemaliger Sprecher des Repräsentantenhauses, erklärte die ganze Wahl für »korrupt« und forderte die Verhaftung von Wahlhelferinnen und -helfern – er sprach von einer »echten, tiefen Krise, in der es ums Überleben geht«. Auf Fox News sagte Mark Levin, es sei ein Verstoß gegen die Verfassung, jede Stimme zu zählen, und reihte sich in eine »Widerstandsbewegung« gegen Bidens »Wahlbetrug« ein. Noch nie in der Geschichte der USA wurde der demokratische Ablauf einer Präsidentschaftswahl dermaßen in Frage gestellt.

Trumps ehemaliger Stabschef im Weißen Haus, Mick Mulvaney, deutete bereits an, der Präsident wolle 2024 wieder zur Wahl antreten. Dessen Sohn Donald Trump Jr., der bereits für den »totalen Krieg« gegen die Demokraten und das Wahlergebnis warb, steht wie seine Schwester Ivanka ebenfalls bereit, den Kampf fortzuführen.

Doch zunächst hat, trotz zahlreicher Widrigkeiten und voraussichtlich mit einem von den Republikanern beherrschten Senat, ab Januar eine Regierung unter Biden und Harris die Chance, die US-amerikanische Demokratie wieder zu stabilisieren. Die nationale wie die globale Bedeutung dieses Unterfangens kann nicht überschätzt werden.