In der Arbeiterstadt Youngstown gewinnen die Republikaner die Mehrheit

Nicht alle jubeln mit

Nach dem Wahlsieg Joe Bidens kam es vielerorts zu spontanen Feiern. Doch in den entscheidenden »swing states« fiel die Mehrheit für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten knapp aus, in Ohio kam sie nicht zustande.

Als am Samstag die großen US-Fernsehsender den seit Tagen von vielen sehnsüchtig erwarteten race call, den errechneten Wahlsieg Joe Bidens im entscheidenden swing state Pennsylvania, verkündeten, gab es in New York City, Atlanta, Pittsburgh, San Francisco und zahlreichen weiteren Städten spontanen Jubel von Passanten, Hupkonzerte von Autofahrern und Töpfeklappern von den Balkonen. Erleichterung und Freude mischten sich bei spontanen Partys in hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Vierteln, bei Tanzeinlagen in Latino-Vierteln, bei den aus Fenstern von Bürohochhäusern winkenden white professionals sowie bei Spontandemonstrationen.

Im Washington Square Park im Süden Manhattans kamen am Abend mehr als 1 000 vor allem junge Menschen zusammen. Trompeten und Soundsysteme, Protestschilder und US-Fahnen und vor allem viel Alkohol und Partystimmung prägten das Bild. Die Hostel-Mitarbeiterin Taylor kam mit ihrer Freundin Gabby. Sie hätten sich »mit Biden abgefunden«, obwohl sie lieber den linken Demokraten Bernie Sanders zum Präsidenten hätten – »wie viele hier«, sagt Taylor im Gespräch mit der Jungle World. »Biden sollte sich progressiven Ideen öffnen, ich will mindestens den Einstieg in eine allgemeine Krankenversicherung.« Ähnlich äußert sich Gabby: »Viele Menschen im Land sind verzweifelt. Ich hoffe, Biden hört auf Bernie«, denn schließlich sei man das »das einzige westliche Industrieland ohne allgemeine Krankenversicherung«.
Doch nicht die linken Wählerinnen und Wähler in New York City waren ausschlaggebend für die Wahlniederlage des US-Präsidenten Donald Trump. Entscheidend war, dass Joe Biden in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin – sowie vermutlich auch Georgia und Arizona – gerade genug Wählerinnen und Wählern von Trump zurückzugewinnen konnte.

Nicht hingegen in Ohio. Die alte Arbeiterstadt Youngstown beispielsweise, Hauptstadt von Mahoning County, wo noch vor 40 Jahren meilenweit Stahlwerke den Mahoning River säumten, war lange eine Hochburg der Demokraten. 2016 gewann Hillary Clinton dort nur noch eine knappe Mehrheit der Stimmen. Der Landkreis und die Stadt haben eine lange Gewerkschaftstradition.
Ken Sharillo hat sie miterlebt. Er erinnerte sich an die Monate ohne Arbeit, als das Autowerk im nördlich angrenzenden Lordstown in Trumbull County zu wenig Aufträge hatte, und an Streiks. »Lordstown war ein closed shop, ohne Mitglied der Gewerkschaft United Auto Workers zu sein, bekam man keine Arbeit«, erzählte er im Gespräch mit der Jungle World. Die Stahlwerke schlossen bereits in den achtziger Jahren, die Fabrik von General Motors voriges Jahr – ein weiterer schwerer Schlag für die Region. Viele zogen weg, um in Autofabriken im Süden oder im Nordwesten von Ohio oder in Detroit zu arbeiten.

Jahrzehntelang gab es einen Deal: Die Demokraten beschützten die Arbeiter, die Gewerkschaften sorgten dafür, dass die Arbeiter für die Demokraten stimmten. Bei General Motors habe es Arbeiter mit reaktionären Ansichten »schon immer« gegeben, sagt Sharillo. Viele habe der Konzern aus dem ländlichen West Virginia angeworben. »Hillbillies« nennt der 64jährige sie. Doch gab es in der Fabrik wie in anderen Industriebetrieben in der Region immer neue Entlassungsschübe, die Schließung war nur das Ende einer anhaltenden Deindustrialisierung in der Region.

In den sechziger Jahren lebten mehr als 160 000 Menschen in Youngstown, inzwischen ist die Einwohnerzahl um fast zwei Drittel gesunken. Im Stadtzentrum gibt es Parkplätze, wo einst Gebäude standen. Letztere riss man ab, weil niemand mehr darin wohnte und die Besitzer sie verfallen ließen – so wie in vielen anderen Städten und Gemeinden in dem besonders stark von Deindustrialisierung geprägten Teil der USA, der als der »Rostgürtel« ­bekannt ist.

Im Wahlkampf 2016 versprach Trump, Arbeitsplätze zu erhalten und zurückzubringen. Die Gewerkschaften stellten fest, dass oft die Hälfte ihrer Mitglieder für Trump stimmten – nicht nur in Youngstown. »Es war das, was sie hören wollten«, sagt Sharillo. Er fühle sich »mittlerweile wie ein Fremder in der eigenen Heimat«. »Die Leute haben sich geändert, ich nicht«, meint der Mann, der sich als »fortschrittlicher Demokrat« bezeichnet. Die Arbeitsplätze sind zwar nicht zurückgekommen, doch die Stimmen für Trump sind geblieben in Mahoning County – es sind jetzt sogar noch ein paar mehr. Trump hat im Landkreis 2020 die Mehrheit der Stimmen gewonnen.