In der »Querdenken«-Bewegung versucht man sich an plakativen Aktions­formen

Traurige Coronazombies

Die Gewaltbereitschaft von Anhängern der »Querdenken«-Bewegung wächst. Auch provokante Aktionsformen werden propagiert und praktiziert, die durch Übertreibung Aufsehen erregen sollen.

»Ich werde mir die entsprechenden Dinge besorgen, und dann ist Schluss damit. Das garantiere ich. Und ich werde mit einem Riesenrumms auf mich aufmerksam machen«, sagte ein Mann Ende Oktober am Rande einer Demo der Initiative »Querdenken« in Köln. Der Satz ist in einem Video zu hören, das er per Livestream auf seinem Youtube-­Kanal teilte. Er wurde vorläufig festgenommen, der Staatsschutz ermittelt. Dass solche Drohungen ernst genommen werden müssen, war spätestens durch den Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin am 25. Oktober deutlich geworden. Am selben Tag explodierte in der wenige Kilometer entfernten Invalidenstraße ein selbstgebauter Sprengsatz. Dort fand die Polizei ein Bekennerschreiben, in dem einem Bericht des Spiegel zufolge unter anderem die sofortige Einstellung aller pandemiebedingten Einschränkungen gefordert wurde.

»Wir beobachten, dass der Regelbruch und die Gewaltbereitschaft zunehmen«, sagte der Berliner Innensenator An­dreas Geisel (SPD) nach dem Brandanschlag auf das RKI. Deutlicher noch ­äußerte sich der thüringische Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer nach der »Querdenken«-Demonstra­tion in Leipzig am 7. November: »Wir sind an einem Punkt, an dem wir prüfen müssen, ob die Bewegung nicht mehr nur durch Rechtsextremisten beeinflusst wird, sondern in Gänze verfassungsfeindlich ist.« Hunderte Neonazis hatten bei der Leipziger Demons­tration Journalisten und Polizeibeamte angegriffen (Frieden, Freiheit, Faschismus).

Mehr als ein halbes Jahr nach den ersten sogenannten Hygienedemonstra­tionen haben sich unter dem Namen »Querdenken« unterschiedliche Strömungen zusammengefunden, darunter neben Reichsbürgern, Neonazis und anderen offen rechtsextremen Kräften auch Esoteriker und Impfgegner. Mag es für den Kampf gegen eine vermeintliche »Coronadiktatur« noch verschiedene Motive geben, so zeigt die Verbreitung von Verharmlosungen des Nationalsozialismus, antisemitischer Symbolik und Verschwörungsmythen, wer die Bewegung dominiert.

Mitte November trat im hessischen Wiesbaden eine Gruppe in Maler­anzügen auf, die Parolen wie »Verratet eure Nachbarschaft« und »Verzichtet auf jede Zeugung« rief.

Über Strategie und Taktik wird dort derzeit diskutiert. Ein Teil der Bewegung befürwortet nun spektakuläre Aktionsformen. Diese skizzierte der Journalist Stefan Korinth Ende September im Online-Magazin Multipolar, das nach eigenen Angaben »ausschließlich leserfinanziert« ist und in den vergangenen Monaten zahlreiche Beiträge veröffentlichte, die vor »Irreführung« in Sachen Covid-19 und »medialer Gleichschaltung« warnen. Auf der Website werden unter anderem Beiträge der einschlägigen Verschwörungsplattform KenFM sowie der deutschsprachigen Internetseite des staatlichen russischen Fernsehsenders RT verlinkt.

Korinth zufolge brauche es bei den Protesten gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung »beeindruckende Bilder und plakative Botschaften«, denn »um in der großen Breite wirksam zu werden, dürfen die Proteste nicht die Maßnahmen kritisieren – das ist es, was alle erwarten –, sondern sie müssen die Maßnahmen ekstatisch bejahen«. Gezielte Überspitzung soll als Mittel der Propaganda genutzt werden – die »Forderungen müssen viel härter sein, absurd härter«. Diese Strategie nennt Korinth »schwarze Wahrheiten«, die Proteste sollen eine »Horrorversion der nahen Zukunft« zeigen. So sollen »Querdenker« Masken beim Essen und im Bett fordern, für härtere Auflagen klagen und »monoton wie eine Armee trauriger Coronazombies« durch die Stadt marschieren. »Über Bilder, Symbole und Botschaften müssen die Querdenker die Kontrolle gewinnen«, so Korinth.

In mehreren Städten fanden in den vergangenen Wochen bereits Aktionen statt, die wirkten, als wollten sie Korinths Forderungen in die Tat umsetzen. Im Rahmen einer Kundgebung gegen die Maßnahmen der Schweizer Regierung zur Pandemiebekämpfung zogen Ende Oktober rund ein Dutzend Demonstrierende in weißen Maleranzügen und mit Masken durch das Zentrum der Landeshauptstadt Bern. »Maskenpflicht ein Leben lang« und »Impfgegner entrechten« forderte dazu eine monotone Computerstimme aus einem Lautsprecher. Eine ähnliche Aktion fand am selben Tag in Köln statt. Auf einem Video aus Oberhausen von Anfang November, das Personen in weißen Anzügen zeigt, die Armbinden mit Aufdrucken wie »Sklave 5 167« tragen, ist eine Computerstimme zu hören, die »Spahn, erhöre uns« ruft. Bei einer Kundgebung im baden-württembergischen Ravensburg riefen die Teilnehmenden »Unterwerft euch«, in Aachen »Lockdown für immer«. Mitte November trat in Wiesbaden eine Gruppe in Maleranzügen auf, die Berichten des dortigen Lokalmagazins Sensor zufolge Parolen wie »Verratet eure Nachbarschaft« und »Verzichtet auf jede Zeugung« rief. In Leipzig protestierten eine Woche nach der »Querdenken«-Demonstration etwa ein Dutzend ­Personen mit weißen Masken.

Die Teilnehmenden bezeichnen die Aktionen, die sie mit Videobeiträgen im Internet dokumentieren, wahlweise als »Kunstprojekte« oder »Spaziergänge«. Manchmal finden diese im Rahmen größerer Kundgebungen statt, oft sind es eigenständige Aktionen. Fast alle Vi­de­os tragen den Titel »Schwarze Wahr­heiten«.

Korinth zufolge zielen derartige Aktionen auf die Berichterstattung etablierter Medien. Weil die Journalisten kaum »selbst inhaltlich in die Tiefe« gingen, könnten sie nur über das Geschehen vor Ort berichten: »Und das wären ausschließlich Symbole, Bilder und Botschaften, die von den Demonstranten definiert werden.« Ohne es zu wollen, würden die Medien so die Inhalte der Protestierenden transportieren, meint Korinth. Er ist ein vehementer Kritiker der westlichen Ukraine-Berichterstattung, schrieb für das radikalliberale Magazin Novo Argumente und dem gern von Verschwörungen raunenden Blog Rubikon, aber auch für den Evangelischen Pressedienst. Zu »Querdenken« zähle er sich nicht, sein Artikel sei als öffentlicher Diskussionsanstoß gedacht, sagte er auf Anfrage der Jungle World. Seine Vorschläge richten sich allerdings explizit an die »Querdenken«-Bewegung.

Dort fanden sie offenbar einen gewissen Anklang, doch dürften Korinth und seine Anhänger die mediale Wirkung überschätzen. Die inhaltliche Überspitzung ist oft plump, die Kostümierung nicht sonderlich originell.