Bei der Verteilung eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 konkurrieren die Staaten

Global verkaufen, national impfen

Das Projekt Covax soll weltweit eine gerechte Verteilung von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 sicherstellen. Doch gegen den Impfnationalismus gibt es keine Immunisierung.

Auf einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 hofft man weltweit, denn er ist die ­Bedingung für ein Leben ohne lockdown, ohne das massenhafte und ­isolierte Sterben auf Intensivstationen und in Pflegeheimen. Ungeachtet jüngster Erfolgsmeldungen ist noch unklar, wann ein wirksames Vakzin produziert werden kann. Gleichwohl stellt sich schon seit dem Beginn der Pandemie auch die Frage nach dessen Verteilung.

Während wohlhabende Staaten mit starker eigener Pharmaindustrie wie Deutschland bereits mit konkreten Planungen für Impfungen begonnen ­haben, können sich arme Länder und Schwellenstaaten dies nicht leisten. Die International Air Transport Association (IATA) bezeichnete die zukünftige weltweite Verteilung des Impfstoffs als die größte logistische Aufgabe aller Zeiten. Neben dem Mangel an Transportflugzeugen sei auch die voraussichtlich notwendige ununterbrochene Kühlung eines Impfstoffs während des Transports auf bis zu minus 80 Grad Celsius ein großes Problem. Angesichts dieser schon für industrialisierte Staaten erheblichen Schwierigkeiten ist es offensichtlich, dass armen Staaten die Mittel und die Infrastruktur fehlen, um in absehbarer Zeit einen bedeutenden Teil ihrer Bevölkerung zu impfen. Ihnen drohen als Folge der Gesundheits­krise weitere Verarmung und wirtschaftlicher Abstieg.

Deutschland konkurrierte ungeachtet des Bekenntnisses zum Verteil­system Covax sowohl allein als auch im Verbund mit der EU mit anderen Staaten und sicherte sich so Optionen für viele Millionen Impfdosen.

Um auch jenen Staaten Impfstoffe zukommen zu lassen, die sie sich nicht leisten können, wurde unter Federführung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und unter dem Motto »No one is safe until everyone is safe« (Niemand ist sicher, bis jeder sicher ist) ein globales Projekt namens Covax organisiert. Dem Konzept der public-private partner­ship folgend, nehmen daran mehr als 170 Staaten, zahlreiche große Pharmafirmen und private Geldgeber wie die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung teil. Mehr als 18 Milliarden US-Dollar sollen schon zugesagt worden sein.

Vorbild für das Projekt und ebenfalls an Covax beteiligt ist eine im Jahr 2000 von der WHO und dem Kinderhilfswerk der Vereinten ­Nationen (Unicef) gegründete Plattform namens Gavi, über die seit Jahrzehnten in Koop­eration mit ­nationalen ­Regierungen und Pharmafirmen weltweit Impf­programme organisiert werden. Die WHO schätzt, dass in diesem Rahmen bisher etwa 326 Milli­onen Kinder geimpft und so 5,5 Millionen Todesfälle verhindert wurden.

Die Idee ist, staatliche und privatwirtschaftliche Mittel für eine globale ­Anstrengung bisher nicht gekannten Ausmaßes zu bündeln: die schnelle Impfung von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gegen Sars-CoV-2 und damit die Eindämmung und schließlich die Beendigung der Pandemie. Die WHO plant, mit dem ihr zur Verfügung gestellten Geld zwei Milliarden Impfdosen zu kaufen, zu verteilen und zu verabreichen. Der Impfnationalismus soll zurückgedrängt werden, arme Länder sollen nichts für die Impfungen bezahlen müssen.

Auch die deutsche Bundesregierung hat sich im August Covax angeschlossen. »Impfstoffe gegen Covid-19 müssen globale öffentliche Güter sein, die für alle Länder zugänglich und bezahlbar sind. Deutschland ist deswegen der Impfstoffplattform Covax beigetreten, die sich für die faire Verteilung zukünftiger Impfstoffe einsetzt«, heißt es dazu auf der Website des Auswärtigen Amts.

Das Werben um die Unterstützung reicher Länder in den Veröffentlichungen der WHO klingt weniger idealistisch. Dort werden die Vorteile der Kampagne nüchterner dargestellt: Erhöhung der Chancen auf einen Impfstoff auch für die eigene Bevölkerung, nied­rigere Preise durch die Abnahme großer Mengen, Mitentscheidung über die Verteilung im Rahmen der von der WHO bestimmten Regeln und Vermeidung von wiederholt aufflammenden regionalen oder lokalen Ausbrüchen durch weltweite Immunisierung. Covax wirke wie eine Impfstoffversicherung, falls die eigene Pharmaindustrie, soweit es sie überhaupt gibt, scheitere.

Wenig idealistisch ist auch die Politik der Bundesregierung – vielmehr zeigt sich in ihr unverblümt die nationalstaatliche Konkurrenz. Um die Einflussnahme der USA auf die deutsche ­Firma Curevac zu verhindern, beteiligte sich der deutsche Staat an dieser; die Bundesregierung leitete eine Vorfinanzierung der Impfstoffentwicklung mit 252 Millionen Euro in die Wege. Zudem konkurrierte Deutschland ungeachtet des Bekenntnisses zu Covax sowohl allein als auch im Verbund mit der EU mit anderen Staaten und sicherte sich so Optionen für viele Millionen zukünftiger Impfdosen.

Wie das Online-Magazin Vox berichtete, wird darüber diskutiert, was für eine Verteilung des Impfstoffs gerecht wäre. Eine Position habe sich demnach nicht durchgesetzt, jene, die dafür plädierte, dass die in den ersten Monaten nur für einen geringen Teil der Weltbevölkerung ausreichenden Impfdosen nach Bedarf, das heißt zuerst an die am stärksten betroffenen Staaten, verteilt werden sollten. Stattdessen soll es eine Art Quotenregelung geben. Jeder Staat soll prozentual auf die Bevölkerung bezogen die gleiche Anzahl von Impf­dosen erhalten – egal wie schwer er von der Pandemie betroffen ist und über welche wirtschaftlichen Ressourcen zu deren Bewältigung er verfügt.

In den Arbeitsgruppen der WHO kursierten Vorschläge, wonach jeder Staat zunächst Impfstoffe für drei Prozent seiner Bevölkerung bekommen könnte, danach in einer zweiten Runde für fünf Prozent, bis in allen beteiligten Ländern 20 Prozent der Einwohner ­geimpft seien. Wie die nationale Verteilung erfolgt, ob also beispielsweise ­Risikogruppen oder Günstlinge des jeweiligen Herrschers zuerst geimpft werden, bliebe den jeweiligen Regierungen dann wohl selbst überlassen. Kri­tiker dieses Verteilungsschemas vergleichen die Situation mit der in einer Notaufnahme – dort könne das Personal ja auch nicht unabhängig von der Schwere der Erkrankung allen gleich viel Zeit widmen. Es liege auf der Hand, dass es sinnvoller sei, Ressourcen nach Bedarf zu verteilen.

Der Anspruch, den Impfstoff weltweit gerecht zu verteilen, ist aus humanitärer Sicht zu begrüßen, aber selbstverständlich handeln die an Covax Beteiligten dennoch nicht uneigennützig. China hat sich im Oktober Covax angeschlossen und strebt eine Führungs­rolle in der WHO an. In den USA herrscht Uneinigkeit über die richtige Strategie. Präsident Donald Trump bezeichnete seit dem Beginn der Pandemie die WHO als »von China unterwandert«, seither bezahlen die USA ihre Mitgliedsbeiträge nicht mehr und haben ihren Austritt aus der WHO angekündigt. Davon kann China profitieren. Dass Joe Biden nach seiner Amtseinführung im Januar hinsichtlich der WHO eine andere Strategie verfolgen wird, ist anzunehmen; die BBC zitierte ihn im Juli mit der Aussage, er werde den diplomatischen Schaden reparieren, den der Rückzug der USA aus der WHO inmitten der Coronakrise angerichtet habe.

Im Rennen um die Entwicklung eines Impfstoffs scheint die Kooperation der deutschen Firma Biontech mit dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer zu führen. Jedenfalls verkündeten die beiden Unternehmen am 9. November, der von ihnen entwickelte Impfstoff sei an mehr als 44 000 Menschen erfolgreich getestet worden und habe dabei eine Schutzwirkung von 90 Prozent gezeigt. Bislang handelt es sich nur um eine Pressemeldung, nachprüfbare, wissenschaftlichen Standards entsprechende Veröffentlichungen stehen noch aus. Es wäre für die beteiligten Firmen jedoch ein großer wirtschaftlicher Erfolg, den ersten Covid-19-Impfstoff auf den Markt zu bringen. Covax wäre dann auf diesen angewiesen, würde ihn also zumindest eine Zeitlang in der größtmöglichen verfügbaren Menge kaufen und seine weltweite Verteilung übernehmen.

Zu vermuten ist, dass sich die Bundesregierung einen ökonomischen wie auch einen Prestigegewinn erhofft, sollte eine deutsche Firma unter den ersten sein, die einen wirksamen Impfstoff herstellen kann. Die Stabilisierung der nationalen Wirtschaft mittels eines Impfstoffs, bevor andere einen solchen haben, wäre ein Wettbewerbsvorteil, die Ausfuhr des Impfstoffs könnte den internationalen Einfluss Deutschlands vergrößern und dessen Image als innovative Exportnation stärken.

Für die Immunisierung einer Person ist nach bisher vorliegenden Informa­tionen die Gabe von zwei Dosen des neuen Impfstoffs erforderlich. Die EU-Kommission hat mit Biontech und ­Pfizer bereits den Erwerb von 300 Millionen Impfdosen vertraglich vereinbart. Für Deutschland sollen 100 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, teilte Gesundheitsminister Jens Spahn mit. Wie er sich die weitere Verteilung vorstellt, verriet er bereits vor einigen Wochen dem Spiegel: Falls nach der Immunisierung der deutschen Bevölkerung noch Impfdosen übrig seien, könnten diese Chargen an andere Länder verkauft werden. Mehr Altruismus ist in Zeiten einer Pandemie anscheinend nicht zu erwarten.