»Modebilder« von Diana Weis

Der Kritiker trug Schwarz

Blogger und Influencer haben die Deutung der Mode übernommen und inszenieren sich als die eigentlichen Stars der Branche. Die Kulturwissenschaftlerin Diana Weis untersucht, wie das Internet die Mode verändert hat.

Modetrends, die mit Begriffen wie »Y2K«, »Cottagecore« oder »E-Girl« umschrieben werden, werden außerhalb der Gruppe junger, stil- und internetaffiner Konsumenten kaum wahrgenommen. Wenn man auf digitalen Verkaufsplattformen für gebrauchte Kleidung nach ihnen sucht, findet man sie jedoch ebenso wie auf Instagram oder auf Modeblogs. Unter dem Hashtag #cottagecore etwa versammeln sich die vorwiegend weiblichen Anhänger eines romantischen, mädchenhaften Looks. Zarte Frauen in weißen Flatterblusen, die barfüßig über Wiesen laufen, sind typisch für diese Variante des Landhausstils für Jugendliche.

Teenager lassen sich von Bildern auf sozialen Medien wie Instagram oder Tumblr, auf denen Stilrichtungen kultiviert und nicht selten erst hervorgebracht werden, allerdings nicht nur beeinflussen, sondern prägen diese Trends auch aktiv. Auf den digitalen Umschlagplätzen zir­kulieren längst nicht nur professionelle Modefotografien, sondern massenweise semiprofessionelle und private Aufnahmen.

Weis konstatiert, dass Mode in der digitalen Ära nicht mehr den Wandel der Zeiten widerspiegele und nicht mehr als chronologische Abfolge von Stilen verstanden werden könne, die in einem erkennbaren Zusammenhang mit sozialen, kulturellen und technologischen Veränderungen stehen.

In dem Band »Modebilder« unternimmt die Kulturwissenschaftlerin Diana Weis den Versuch, diese digitale Bilderflut einzuordnen. Weis konstatiert zutreffend, dass die Mode des 21. Jahrhunderts kaum Neuerungen hervorgebracht hat, sondern aus der Vergangenheit schöpft. Ein Spaziergang durch die angesagten Viertel einer Großstadt kann dies belegen: Auch wenn das Neunziger-Jahre-Revival mit seinen mom jeans noch nicht ganz abgeklungen ist, tragen Trendsetter bereits den Stil der Jahrtausendwende, bestehend aus Hüfthosen und Wickeljacken in Pastelltönen. Für diesen Stil steht das Kürzel »Y2K«, das ursprünglich den sogenannten Millennium-Fehler bezeichnete, der Ende der Neunziger für Aufregung in der IT-Welt gesorgt hatte. Auch die Mode des Jahrzehntwechsels von den Siebzigern auf die Achtziger mit gedeckten Tönen und Stufenschnitten bis hin zum unvergessenen »Voku­hila« gilt weiterhin als hip.

Weis führt die Retro-Ästhetik und das Verschwinden der Innovation in der Mode auf die Möglichkeit zurück, zu jeder Zeit virtuell auf Milliarden von Bildern aus dem vergangenen Jahrhundert zurückgreifen zu können. Mode spiegele in der digitalen Ära nicht mehr den Wandel der Zeiten wider und könne nicht mehr als chronologische Abfolge von Stilen verstanden werden, die in einem erkennbaren Zusammenhang mit ­sozialen, kulturellen und technologischen Veränderungen stehen.

Das Internet fungiert nicht nur als allumfassendes Bildarchiv, sondern hat auch einen neuen Berufsstand hervorgebracht: Blogger beziehungsweise Influencer wurden Ende der nuller Jahre zu den eigentlichen Stars der Modewelt. Weis erinnert an den Aufsatz »The Circus of Fashion«, den die Modekritikerin Suzy Menkes 2013 in der New York Times veröffentlichte. Menkes beschreibt darin die Ablösung des klassischen Modekritikers durch den Blogger. Statt dezenter dunkler Kleidung, die der Kritiker auf der Modenschau typischerweise trägt, kleiden sich Mode-Blogger bunt und plakativ, um aufzufallen.

Der Siegeszug der Mode-Blogger in der digitalen Ära war unvermeidlich, und mit ihm ergaben sich neue Geschäftsmodelle. Durch die neuen Modebotschaftern und ihre Handybilder änderte sich, so Weis, allerdings auch die Mode selbst. Das Augenmerk liegt nun nicht mehr auf Details und Raffinesse, die noch die bürgerliche Mode des 20. Jahrhunderts ausgezeichnet hatten. Stattdessen dominiert das Gebot der catchiness – die Bilder der Entwürfe sollen schließlich angeklickt werden.

Kann man angesichts dieser Entwicklungen von einer »Demokratisierung der Mode« sprechen und davon, dass die Mode ihre Funktion als »Darstellungsfeld einer klassengebundenen Distinktion« weitgehend eingebüßt hat? Populäre Stile, die den Zeitgeist prägen, betrachtet Weis als Ergebnis »vielfältiger sozialer Aushandlungsprozesse«. Wahr ist, dass Reality-TV-Stars wie Kim Kardashian, die eher das proletarische Milieu begeistern, heutzutage bei großen Modenschauen in der ersten Reihe sitzen. Eine Barbourjacke, vormals Symbol der upper class, kann sich mittlerweile nahezu jeder gebraucht zum erschwinglichen Preis im Internet bestellen. Prominente kombinieren mit ironischem Gestus edle und trashige Kleidung. Aber heißt das auch, dass Mode im neuen Jahrtausend nicht mehr den sozialen Status ihrer Träger und Konsumenten repräsentiert?

Eine solche Schlussfolgerung greift zu kurz, ignoriert sie doch die Determiniertheit des persönlichen Geschmacks und die Subtilität, mit der Klassenunterschiede demons­triert werden. Der Geschmack des Menschen ist, wie der Soziologe ­Pierre Bourdieu in seinem Werk »Die feinen Unterschiede« gezeigt hat, das Ergebnis klassengebundener Sozialisation. Das kulturelle Kapital ist eng mit dem ökonomischen Kapital verknüpft. Auch wenn heutzutage Blogger und Modeenthusiasten feine Anzughosen mit derben Militär­stiefeln kombinieren und so hergebrachte semantische Systeme ins Wanken bringen, heißt das nicht, dass sie es vollkommen willkürlich tun. Die Codes, nach denen verschiedene Kleidungsstücke zu je aktuellen Looks zusammengefügt werden, sind mitnichten jedem zugänglich und verständlich.

Zwar verdienen Influencer wie Caroline Daur Millionen und stehen im Rampenlicht einer vormals exklusiven Modebranche, obwohl sie Kleidung tragen, die nicht die Haute Couture, sondern eher den Geschmack der Massen repräsentiert. Doch spricht ihre Tätigkeit für einst exklusive Designer eher für eine Entwicklung, die man als Popularisierung des Stils bekannter Modehäuser des 20. Jahrhunderts beschreiben könnte, als für eine Aufhebung klassengebundener Distinktion. Die meisten Menschen, die einer von Bourdieu so genannten populären ­Ästhetik anhängen, genießen nicht den luxuriösen Lebensstil einer urbanen Mode-Bloggerin.

Solange die soziale Herkunft also über den Aufstieg eines Menschen in der Gesellschaft bestimmt, werden Ästhetik und Mode der Distinktion dienen – wenngleich die Unterschiede heutzutage nicht mehr ganz so klar zu benennen sind wie noch im vorigen oder gar im vorvergangenen Jahrhundert. Auch wenn Weis die Bedeutung von sozialer Herkunft unterschätzt und die Möglichkeiten individueller Selbststilisierung überschätzt, birgt der kurzweilige Essay einige treffende Beobachtungen und amüsante Anekdoten über die Wechselwirkung von digitalen ­Modebildern und zeitgenössischer Kultur.

Diana Weis: Modebilder. Digitale Bild­kulturen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020, 80 Seiten, 10 Euro