Arme Länder fordern, Patente auf Covid-19-Impfstoffe auszusetzen

Die Lizenz zum Impfen

Die Pharmaindustrie soll eine Schlüsselrolle beim Kampf gegen die Covid-19-Pandemie einnehmen. Das Hauen und Stechen um Marktanteile hat begonnen.

»Patente töten« – unter diesem Titel veröffentlichten Organisationen wie zum Beispiel Medico international, die der Pharmaindustrie kritisch gegenüberstehen, einen Aufruf anlässlich der Debatte über den Zugang zu Covid-19-Impfstoffen. Sie erinnern daran, dass Millionen mit HIV Infizierter starben, weil sie wegen des Patentschutzes keinen Zugang zu Medikamenten erhielten. »Wir, die Unterzeichnenden, fordern daher von unseren Regierungen eine an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtete Politik, die Arzneimittel als globale öffentliche Güter behandelt und die Macht von Pharmaunternehmen im öffentlichen Interesse begrenzt«, heißt es in dem Aufruf.

Prinzipiell hat jeder Mitgliedstaat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Recht, in einer Notlage wie der Covid-19-Pandemie Hersteller zum Verzicht auf Patente zu zwingen und ohne deren Einwilligung Medizinprodukte in notwendiger Stückzahl herzustellen. Wegen des hohen Drucks der Pharmafirmen und der sie protegierenden Staaten in Westeuropa und Nordamerika wird dieses Recht jedoch nicht ausgeübt.

Die Unternehmen reagieren auf Forderungen nach gerechterer Verteilung eines Covid-19-Impfstoffs mit der werbewirksamen Behauptung, sie handelten wohltätig.

Während die WHO noch versucht, die Entwicklungen von Impfstoffen genauso wie die von Medikamenten zur Behandlung an Covid-19 Erkrankter zu koordinieren und eine breite Verteilung zu garantieren, verfolgen einige ihrer Mitgliedstaaten offenkundig andere Interessen (siehe Am Ende der Kühlkette).

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verkündete im Mai einerseits, Medikamente gegen Sars-CoV-2 müssten allen Menschen weltweit zugänglich sein, andererseits unternahm ihre Regierung bisher keine substantiellen Schritte zur Konkretisierung dieses Vorhabens. Stattdessen ignoriert sie sogar Forderungen nach einer Aufhebung oder zumindest Aussetzung des Patentschutzes. Deutschland gilt im weltweiten Vergleich als lukrativer Markt für Pharmaprodukte – nicht nur für deutsche Firmen. Vorteilhaft für Pharmafirmen ist die relativ gute finanzielle Ausstattung der Krankenkassen, eine etablierte Pharmalobby und damit zusammenhängend der fehlende politische Wille, öffentliche Interessen den Vorrang vor denen der Firmen zu geben.

Patente sichern pharmazeutischen Unternehmen ein Monopol auf die von ihnen entwickelten Wirkstoffe, üblicherweise für 20 Jahre. So lange müssen sie bei der Preisgestaltung also keine Konkurrenz fürchten. Billigere zusammensetzungsgleiche Präparate – sogenannte Generika – dürfen erst nach Ablauf dieses Zeitraums produziert werden. Außerdem gibt es Tricks, um den Ablauf des Patentschutzes zu verhindern oder zu verzögern. Eine nur geringfügige Änderung der chemischen Struktur des patentierten Wirkstoffs reicht bereits zum Beantragen eines neuen Patents aus. Das politische Interesse, solche Praktiken zu unterbinden und die Preise für Medikamente zu senken, ist wegen des Einflusses der Pharmaindustrie gering.

Ein Beispiel dafür, wie leicht sich auf dieser Grundlage Geld machen lässt, ist das in der EU seit 2014 zugelassene und gegen Hepatitis C sehr wirksame Medikament Sofosbuvir. Für eine Behandlung mit 28 Tabletten schätzte die medizinische Fachzeitschrift Arznei-Telegramm 2016 einen Preis von circa 16 000 Euro. Die öffentliche Empörung über die »1 000-Dollar-Pille« währte damals jedoch ebenso kurz, wie sie folgenlos blieb. Nach Schätzungen leben in der EU und in den Ländern des europäischen Wirtschaftsraumes aktuell 3,9 Millionen Menschen mit Hepatitis C. Der Hersteller Gilead Sciences verdiente von 2013 bis 2016 mehr als 35 Milliarden US-Dollar bei einer Gewinnmarge von 55 Prozent, wobei diese astronomischen Einnahmen den Hersteller nicht dazu bewogen, den Preis für das Mittel wesentlich zu senken. Warum auch? Schließlich ist die Möglichkeit gesetzlich geregelt, sich an den Krankenversicherten in Deutschland hemmungslos zu bereichern.

Eine Einheit des Covid-19-Impfstoffs von Pfizer und Biontech soll voraussichtlich 24 US-Dollar kosten. Pharmakonzerne rechtfertigen die hohe Preise mit den enormen Investitionskosten, die für die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen notwendig sind. Bei dieser Rechnung unterschlagen sie geflissentlich, dass sie dabei von umfangreichen öffentlichen Zuschüssen profitieren. Die Bundesregierung subventionierte die Arbeit von Biontech mit 375 Millionen Euro. Das US-amerikanische Unternehmen Moderna erhielt 483 Millionen US-Dollar Staatsbeihilfen und kündigte bereits an, auf Profite nicht verzichten zu wollen. Nach der erfolgreichen Testphase stieg der Aktienpreis des Unternehmens in den vergangenen Tagen deutlich an.

Immerhin erreichte die jahrelange Arbeit pharmakritischer Organisationen und unabhängiger Patienteninitiativen, dass die Pharmaindustrie inzwischen ein Image-Problem hat und sich für ihre hohen Gewinne rechtfertigen muss. Derzeit reagieren die Unternehmen auf Forderungen nach gerechterer Verteilung eines Covid-19­-Impfstoffs mit der werbewirksamen Behauptung, sie handelten wohltätig. Um ihre Gewinnmargen zu halten, verweisen sie auf sogenannte public-private partnerships mit finanzkräftigen Institutionen und Stiftungen – wie der von Melinda und Bill Gates. Jeder Mensch werde, so die Pharmafirmen, Zugang zu Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 erhalten. Die Hersteller spekulieren auf gute Geschäfte mit der WHO oder anderen internationalen Organisationen für die Versorgung armer Staaten. Gleichzeitig ist die Preisbildung im Einzelfall komplex und hängt bisweilen von schwer zu durchschauenden Kalkulationen ab – etwa die geringere Gewinnmarge bei der Belieferung armer Staaten. In Deutschland übernehmen die Krankenkassen diese Kosten aus den Beiträgen ihrer Versicherten, die zugunsten der Gewinne der Pharmabranche in den nächsten Jahren ansteigen dürften.

Exklusivverträge über Impfstofflieferungen und die Weigerung, auf ­Patentrechte zu verzichten, dienen der Gewinnsicherung und benachteiligen die Produktion bei den auf Generika spezialisierten indischen und südafrikanischen Unternehmen.

Bei der Entwicklung und Zulassung der Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus scheint sich ein ähnliches Muster wie bei vielen anderen in den vergangenen Jahren entwickelten Medikamenten zu zeigen. Zunächst forscht man mit direkter oder indirekter staatlicher Unterstützung, oft in Kooperation mit Universitäten, und testet am Menschen, anschließend verkauft man die erfolgreich auf den Markt gebrachten Medikamente an die Krankenversicherten zum höchstmöglich erzielbaren Preis. Kritik daran wehren die Hersteller mit dem Verweis auf hohe Forschungsausgaben ab.

In dem eingangs erwähnten Aufruf »Patente töten« heißt es dazu, das Patentsystem sorge dafür, »auch jene Medikamente hochpreisig« zu halten, »deren Entwicklung auf öffentlich finanzierter Forschung basiert«. Dies sei eine »folgenschwere Form der Privatisierung«. Diese verschleiere zudem, dass die öffentliche Finanzierung der Forschung und Entwicklung »volkswirtschaftlich günstiger wäre als ihre Refinanzierung über Patente und hohe Preise«.

Patente gibt es in allen möglichen Bereichen. Sie sollen sicherstellen, dass sich die Entwicklung neuer Produkte im Kapitalismus auch lohnt. Es gibt sie für Bauteile in Computern ebenso wie für medizinisch-technische Geräte und alles mögliche andere, kurz: In sehr vielen Gütern stecken Patente. Die Aufgabe des Staats ist es, Eigentum zu schützen, Verwertung zu ermöglichen und dem nationalen Kapital in der globalen Konkurrenz gute Bedingungen zu schaffen. Dumm für die Gesundheit, wenn sie diesen Zielen im Weg steht.