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Portugals Regierung will das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur zum Abschluss bringen. Doch an den Interessen europäischer und südamerikanischer Landwirte könnte der Vertrag scheitern.
Das Vorhaben der portugiesischen Regierung ist ambitioniert: Nachdem sie Anfang des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hatte, erklärte sie das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staaten- und Wirtschaftsbündnis Mercosur zum wichtigsten Projekt ihrer Amtszeit. Wegen des strategischen Interesses der EU am Mercosur wolle Portugal zur »Schaffung von Bedingungen für die Unterzeichnung« beitragen, wie der portugiesische Ministerpräsident António Costa gewunden formulierte.
Die Aussichten sind allerdings nicht besonders günstig. Seit über 20 Jahren wird über das Abkommen verhandelt, das eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen soll. Die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay und die Europäische Union sollen einen gemeinsamen Markt mit fast 800 Millionen Einwohnern bilden, wobei jährliche Zollabgaben in Höhe von rund vier Milliarden Euro entfallen würden.
»Die Debatte über Mercosur ist nicht nur eine ökonomische. Wir brauchen das Abkommen, weil es vor allem für Europas Geopolitik wichtig ist.« António Costa, portugiesischer Ministerpräsident
2019 kam eine weitgehende Einigung zustande. Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem »historischen Augenblick«. Es schienen nur noch die Klärung technischer Details und die Annahme durch die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament auszustehen. Doch eben dieses lehnte das Abkommen im Oktober 2020 mit großer Mehrheit ab. Seitdem liegt es auf Eis.
Im Lauf der Jahre haben sich zahlreiche Gegner des Abkommens zu Wort gemeldet. Allen voran sprechen sich einflussreiche Agrar- und Umweltverbände in der EU dagegen aus. Denn der Vertrag sieht unter anderem vor, dass 99 000 Tonnen Rindfleisch, 180 000 Tonnen Zucker und 100 000 Tonnen Geflügel jährlich zollfrei aus Südamerika importiert werden können. Umgekehrt erhofft sich die EU, dass Zölle auf die Exporte von Autos und anderen Industriegütern abgebaut werden.
Was die europäischen Landwirte wütend macht, ist der Umstand, dass die EU-Kommission billiges Fleisch importieren will, ohne dabei ökologische, klimatische und menschenrechtliche Mindeststandards bei dessen Produktion zu setzen, während in der EU selbst stetig strenger werdende Umwelt- und Klimaauflagen die Kosten der Landwirte steigen lassen.
Außerdem wird das Abkommen mit Verweis auf die Umweltpolitik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Frage gestellt, die für verheerende Brände im Amazonas verantwortlich gemacht wird. Diese werden oft bewusst entfacht, um neue Weidegebiete für die Rinderherden von Großgrundbesitzern und Agrarkonzernen zu schaffen. Während mittlerweile immer mehr europäische Regierungen die fortschreitende Zerstörung des Regenwalds und die damit verbundenen negativen Folgen für das Klima verurteilen, beharrt die brasilianische Regierung auf ihrer nationalen Souveränität über den Amazonas. Sie vermutet hinter den Protesten eine Verschwörung europäischer und brasilianischer NGOs.
Die Agrar- und Umweltverbände verweisen zu Recht darauf, dass die Vereinbarungen des Mercosur-Abkommens den Klimaschutzzielen widersprechen, die mit dem »Green Deal« verbunden sind, den die EU-Kommission im Dezember 2019 mit viel Pathos vorgestellt hat. Beispielsweise hat sich die Zahl der Rinder im brasilianischen Amazonasgebiet von 1988 bis 2018 fast vervierfacht. Durch die Ausweitung der Weideflächen wurde geschützter Regenwald auf dem Territorium indigener Gemeinden und in Reservaten vernichtet, dessen Fläche der von Portugal entspricht. In der Lieferkette des brasilianischen Konzerns JBS, dem weltweit größten Fleischproduzenten, wurde im vergangenen Jahr Rindfleisch nachgewiesen, das aus diesen Gebieten stammte. Träte das EU-Mercosur-Abkommen in Kraft, könnte dieses Fleisch zollfrei nach Europa gelangen.
Eine Studie von Wissenschaftlern aus 22 Ländern unter Leitung der Universität Oxford kam im vergangenen Oktober zu dem Ergebnis, dass die vorgesehenen Importe »entscheidend zur Zerstörung von tropischen Wäldern in Südamerika beitragen und damit die Lebensgrundlage indigener Völker beeinflussen«. Die EU solle aufhören, Güter zu importieren, deren Produktion im Ausland zu Umweltzerstörungen führe. »Wenn Lebensmittel auf illegal abgeholzten Flächen angebaut werden, warum ist es dann nicht illegal, sie zu kaufen?« heißt es in der Studie.
Zwar enthielt der bisherige Vertragsentwurf ein Bekenntnis zum Übereinkommen der Klimakonferenz von Paris. Demnach erklärte sich Brasilien dazu bereit, illegale Rodungen zu beenden und Wiederaufforstungsprogramme zu verwirklichen. Es wurde aber nicht festgelegt, was geschehen soll, wenn diese Versprechen nicht eingehalten werden. Kritiker fordern daher, Verstöße gegen das Pariser Klimaabkommen zu sanktionieren und zusätzliche Schutzbestimmungen zu Menschenrechten und der Wahrung der Demokratie in das Abkommen aufzunehmen.
Vor 20 Jahren hätten die Vertragsparteien vermutlich kaum damit gerechnet, dass ihre Verhandlungen an Rinderherden und illegalen Brandrodungen scheitern könnten. Multilaterale Wirtschaftsabkommen standen damals hoch im Kurs. Auf einem EU-Sondergipfel im März 2000 in Lissabon träumten Regierungsvertreter noch davon, innerhalb von zehn Jahren die EU zum »wettbewerbfähigsten Wirtschaftsraum der Welt« zu machen, wie es in der damaligen Abschlusserklärung hieß. Freihandelsverträge, garniert mit weitgehend folgenlosen Bekenntnissen zu Menschenrechten, schienen ein probates Mittel dafür zu sein.
Doch bereits wenige Jahre später war nicht mehr viel von solchen Ambitionen zu vernehmen. Die Europäische Union kämpfte mit einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Währungsgemeinschaft drohte zu kollabieren. Protektionistische Handelspraktiken verbreiteten sich, weltweit versuchten Regierungen, ihren jeweiligen Wirtschaftsraum mit Zollschranken und Einfuhrbeschränkungen stärker abzuschotten. Neue Freihandelsvereinbarungen wurden vertagt oder, wie bei dem transatlantischen Abkommen TTIP, gleich ganz beerdigt.
Zugleich versuchten einige lateinamerikanische Staaten, ihren Binnenmarkt auszubauen. Finanziert wurde dies mit steigenden Erlösen aus den Rohstoffexporten nach China. Das geplante Freihandelsabkommen mit der EU nahmen die Mercosur-Staaten auch deswegen immer mehr als Bedrohung wahr. Die brasilianische Regierung argwöhnte, dass sich hinter den Forderungen nach einem besseren Schutz des Regenwalds vornehmlich wirtschaftliche Interessen der EU, insbesondere der französischen Agrarlobby, verbärgen. Argentiniens Präsident Alberto Fernández äußerte ebenfalls Zweifel an dem Abkommen und verlangte neue Verhandlungen, um die eigene Agrarindustrie besser zu schützen.
So stehen nun zwei Möglichkeiten zur Debatte: Entweder wird das Abkommen nachverhandelt, oder es wird endgültig aufgegeben. Letzteres ist jedoch für die europäische Seite strategisch keine besonders attraktive Option, zumal sie einen Dominoeffekt befürchtet: Bei der anstehenden Reform eines Handelsvertrags mit Mexiko geht es um vergleichbare Probleme bei Rechtsstaats- und Umweltstandards.
Sollte sich die EU wirtschaftlich aus Südamerika zurückziehen, könnte China bald die gesamte Region dominieren. Die EU hingegen würde ihren verbleibenden Einfluss auf die Umweltpolitik der Mercosur-Staaten vollends verlieren. »Die Debatte über Mercosur ist in erster Linie nicht nur eine ökonomische«, sagte daher Ministerpräsident Costa vorvergangene Woche. »Wir brauchen das Abkommen, weil es vor allem für Europas Geopolitik wichtig ist.«
Bleibt also die Option, weiter zu verhandeln. Dann müssten die Mercosur-Staaten bei den strittigen Umweltfragen Zugeständnisse machen – insbesondere bei der Frage nach Sanktionsmöglichkeiten, wenn die Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Schwer vorstellbar, dass sich die lateinamerikanischen Staaten ohne Gegenleistungen darauf einlassen werden. Und selbst wenn sie zustimmten, müsste die portugiesische Ratspräsidentschaft alle 27 EU-Mitgliedsländer noch davon überzeugen, dass sie das Abkommen anschließend unterzeichnen. Eine Aufgabe, um die Ministerpräsident Costa sicher nicht zu beneiden ist.