Homestory #10

<p>Nicht nur bei Kellnern und Ärzten, sondern auch bei Redakteuren muss es manchmal schnell und unmissverständlich zugehen. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder.</p>

Nicht nur bei Kellnern und Ärzten, sondern auch bei Redakteuren muss es manchmal schnell und unmissverständlich zugehen. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder. Wenn der Krankenpfleger mit sorgenvoller Miene sagt, »der Blinddarm« warte schon seit drei Stunden, weiß die Ärztin, dass im Wartezimmer kein Organ auf dem Stuhl liegt, sondern jemand mit Schmerzen im unteren Bauchbereich sitzt und eine Behandlung ersehnt. Oder wenn die Kellnerin zu ihrem Kollegen sagt, dass »der Vollbart« an Tisch Nummer neun noch ein Bier bestellt habe, weiß dieser, welchem der an Tisch neun sitzenden Gäste er das Bier bringen soll.

Wer im Deutschunterricht gut aufgepasst oder seine Lebenszeit mit einem Germanistikstudium verschwendet hat, weiß diese sprachlichen Phänomene als Metonymien zu bezeichnen. Ein Begriff wird durch einen anderen ersetzt, der zum ersten in einer räumlichen, zeitlichen oder kausalen Beziehung steht. Der jeweilige Kontext erhellt, was die Sprecherin oder der Sprecher mit einer metonymischen Äußerung gemeint hat.

Auch Ihre Lieblingsredakteure sind im pointierten Formulieren geübt. Wenn zum Beispiel der Kollege aus dem Inlandsressort einen Satz wie »Die Antifa ist zurück!« in den Messenger tippt, kann das Gegenüber davon ausgehen, dass nicht die leibhaftige Antifa vor der Tür steht – womöglich um das Demogeld vorbeizubringen, wie autoritäre Charaktere gerne fabulieren –, sondern dass der Text, der für die Antifaseite vorgesehen ist, im entsprechenden Ordner zur weiteren Bearbeitung bereitsteht.
Da sich aber nicht erst seit Beginn der Pandemie nahezu das gesamte Leben in Kommunikation aufgelöst hat, muss man aufpassen, dass man die Arbeitsanweisungen jeweils in den richtigen Kanal des Messengers schreibt. Denn ohne Kontext laufen Metonymien Gefahr, bei Nichteingeweihten Irritationen auszulösen. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte, wenn man noch am Nachmittag harmlos mit der neuen Nachbarin geplaudert hat – und ihr zwei Stunden später die kryptisch-drohende Nachricht »Die Antifa ist zurück!« schickt. In dem Fall wäre zu hoffen, dass sie nicht verängstigt zum Besteckkasten greift oder die Cops ruft, sondern die entschuldigende Nachricht, man habe den falschen Kanal gewählt – »sorry«, Schäm-Smiley –, mit Humor nimmt.