FC Schalke 04 steigt ab

Es wird knapp für die Knappen

Der Abstieg des FC Schalke 04 scheint unumgänglich zu sein. Für den Verein und Gelsenkirchen hätte er erhebliche Auswirkungen.

Die Häuser sind heruntergekommen, die Geschäfte hätten auch ohne die Covid-19-Pandemie geschlossen und auf der Straße sind kaum Menschen zu sehen. Schalke-Nord ist ein trostloser Stadtteil, aber einer mit einer großen Fußballgeschichte. Nur einen Steinwurf entfernt, am Schalker Markt, wurde 1904 der FC Schalke 04 gegründet. Von allen Fußball­vereinen in Deutschland hat nur der FC Bayern München mehr Mitglieder. Der ehemalige Markt ist heutzutage ein trister Parkplatz unter einer Brücke.

»Auf Schalke sind hier alle vom Ahmed bis zum Kalle stolz.«
Sinan Sat, Redaktionsleiter der Gelsenkirchener Lokalausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung

Trist ist auch die Lage von Schalke 04: Seit Monaten steht der Verein auf dem letzten Platz der Bundesligatabelle. Theoretisch ist der Abstieg noch zu verhindern, aber an ein solches Wunder glaubt im Ruhrgebiet kaum noch jemand. Mit Dimitrios Grammozis hat der Verein schon den fünften Trainer in dieser Saison. Der langjährige Jugendtrainer des VfL Bochum hatte in der Saison 2019/2020 einigen Erfolg mit dem Zweitligisten SV Darmstadt 98, die Vertragsverlängerung scheiterte da­ran, dass sich Coach und Verein nicht über die Vertragslaufzeit einigen konnten. Schalke plant mit Grammozis offenbar für die Zweite Liga, sein Vertrag läuft bis Juni 2022.

In keiner anderen Stadt ist das Verhältnis zwischen den Menschen und ihrem Bundesligisten so eng wie in Gelsenkirchen. Selbst im nahen Dortmund spielt Borussia, den Schalkern verbunden durch Hass »so tief wie ein Schacht«, keine ganz so große Rolle, denn Gelsenkirchen hat eigentlich nichts zu bieten außer Schalke 04. Ohne den Verein würde die Stadt vollkommen in der Bedeutungslosigkeit versinken und wäre nicht viel mehr als ein öder Häuserhaufen wie Herne oder Oberhausen. Geht es Schalke schlecht, geht es Gelsenkirchen schlecht.

Wie Gelsenkirchen tickt und was Schalke 04 für die Stadt bedeutet, weiß kaum jemand so gut wie Sinan Sat. Er ist Redaktionsleiter der Gelsenkirchener Lokalausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und Mitglied von Schalke 04. »Schalke ist die große Integrationsmaschine Gelsenkirchens«, sagt Sat im Gespräch mit der Jungle World. »Wenn Spieltag ist, im Stadion oder in den Kneipen, kommt der Straßenkehrer mit dem Notar zusammen, und an so einem Nachmittag nähern sie sich auch sprachlich. Das ist fast schon magisch und wichtig für die Stadt. Auf Schalke sind hier alle vom Ahmed bis zum Kalle stolz.« Wenn Gelsenkirchener im Urlaub gefragt würden, woher sie kämen, sagten sie »Schalke«, denn das kenne jeder.

Vor mehr als einem Jahr, am 7. ärz, fand das vorläufig letzte Heimspiel von Schalke vor Publikum statt. Gegen die TSG 1899 Hoffenheim spielten die »Knappen«, wie die Mannschaft auch genannt wird, 1:1. Damals ahnte noch niemand, was dem Verein in den kommenden zwölf Monaten bevorstehen würde.

Viele Fans seien in Resignation verfallen, und das nicht nur wegen Schalke. »Wegen Corona wurde der Verein emotional immer weniger wichtig für die Fans«, sagt Sat. Aber die Probleme hätten schon vor Jahren begonnen: »Der ganze Kommerz hat zu einer Entfremdung zwischen Schalke und den Fans geführt.« Das Fass zum Überlaufen gebracht habe dann die Entlassung von 25 Busfahrern der »Knappenschmiede«, der Jugendabteilung des Vereins. Dieser habe nach Protesten zwar die Entlassung der Minijobber zurückgenommen, aber das Vertrauen der Fans sei verloren. Der Stadt fehle nun das verbindende Element, sagt Sat.

Viel mehr als Schalke hält die Menschen dort nicht zusammen. Gelsenkirchen ist eine der ärmsten Städte Deutschlands. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, im Januar lag sie offiziell bei 15,7 Prozent, ganze Stadtteile kämpfen gegen den Verfall. Steigt Schalke ab, werde das Interesse an dem ­Verein zurückgehen, sagt Sat. »Sollte Schalke nicht schnell wieder aufsteigen, was ja nicht sicher ist, werden irgendwann die Kinder, wenn sie auf dem Bolzplatz Fußball spielen, keine Schalker sein wollen, sondern Bayern oder Spieler von Barcelona.« Das ist eine Vorstellung, die Sat nicht gefällt.

Schätzungsweise 240 Millionen Euro Schulden hat der Verein. Ein undurchsichtiges GmbH-Geflecht sorgt dafür, dass niemand die Summe genau kennt. Von den 600 Mitarbeitern in der Zentrale sollen viele Günstlinge des ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden sein, des Fleischunternehmers Clemens Tönnies.

Schalke hat in den vergangenen Wochen nicht nur den Trainer aus­gewechselt. Auch der Sportvorstand Jochen Schneider, Teammanager Sascha Riether und Athletiktrainer Werner Leuthard müssen gehen. Gerald Asamoah ist bis zum Saisonende Koordinator der Lizenzspielerabteilung, Mike Büskens Co-Trainer – zwei Schalker Heroen aus besseren Tagen, die bei den Fans große Sympathien genießen. Aber das wird kaum reichen, um den Verein wirtschaftlich zu retten oder gar den sofortigen Wiederaufstieg in die Erste Bundesliga zu schaffen. Dieser Traum hat sich in der Vergangenheit auch bei Traditionsvereinen wie dem TSV 1860 München, dem 1. C Kaiserslautern, dem HSV und dem Karlsruher SC nicht erfüllt.

Der Hamburger Agenturleiter, Marketingexperte und Schalke-Fan Raphael Brinkert versucht, mit seiner Initiative »Zukunftself« neue Wege zu gehen. Ab dem 19. pril will er gemeinsam mit den Fans in »Kumpelgesprächen« und einer »Konzeptschmiede« eine Strategie entwickeln, die dann Anfang Juni, wenige Tage nach dem Ende der laufenden Saison und dem wahrscheinlichen Abstieg, vorgestellt werden soll. Unter dem Titel »Zukunftself« haben Brinkert und eine namentlich nicht bekannte Gruppe von Menschen, die »Mitglieder, Fans, Sponsoren, Journalisten, ehemalige Spieler oder Sympathisanten des FC Schalke 04« sein sollen, ein Papier veröffentlicht, das die Inhalte der Debatte vorgibt und sich erst einmal für Offenheit und Toleranz einsetzt: »Vom Maurer bis zum Master-Absolventen. Vom Arzt bis zum Angestellten. Von Jung bis Alt und darüber hinaus. Schalke sind wir nur gemeinsam.« Es ergebe keinen Sinn, darüber zu streiten, wer der bessere Schalker sei. »Unsere Gegner heißen nicht Nord- oder Südkurve, nicht Ultras oder Logenbesitzer, sondern Dortmund, Gladbach und München. Und irgendwann hoffentlich auch wieder Inter Mailand.«

Das Papier appelliert an das Gefühl der Fans. Schalke sei kein Edelverein, »sondern ein Club, der aus der Wiege des Ruhrgebiets« stamme und von »Kumpeln und Malochern gegründet« worden sei. So sehen die Fans den Verein, auch wenn die meisten von ihnen Bergleute nur noch aus dem Fernsehen kennen.

Interessanter wird es, wenn es um die wirtschaftliche Zukunft geht. »Wir möchten endlich wissen, was das langfristig Beste für den Club und uns als Fans ist. Aus der Sicht von Experten und Fans. Mit einem Blick über den Tellerrand und der Vorstellung von nationalen und internationalen Beispielen. Was sagen Finanz- und Bankexperten dazu?«

Das sind die entscheidenden Zukunftsfragen für Schalke. Wird die Profimannschaft als Unternehmen aus dem Verein ausgegliedert? Wird eine Aktiengesellschaft wie in Dortmund gegründet oder eine Genossenschaft? Fans, gerade die von Traditionsvereinen und vor allem die von Schalke, wo man das Kumpel­image immer schon geschickt zu vermarkten wusste, sind in solchen Fragen sensibel.

Als sich der HSV 2014 entschied, seine Profiabteilung in eine AG ­auszugliedern, blieb es nicht nur bei Fanprotesten. Anhänger des HSV gründeten einen neuen Verein, für den der Spaß am Fußball, die Jugendförderung und politisches Engagement im Zentrum stehen sollen: den HFC Falke. Die erste Mannschaft steht zurzeit auf dem zweiten Platz der Hamburger Bezirksliga, Staffel Nord. Als die Falken gegründet ­wurden, interessierten sich viele Fußballfans in Deutschland für die Idee. Auch Schalker sollen dabei gewesen sein.