Das Verfahren zum vermeintlichen Bremer Asylskandal ist eingestellt

Der nützliche Skandal

Das Landgericht Bremen hat das Verfahren gegen die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt inzwischen gegen Mitarbeiter der eigenen Behörde.

Der vermeintliche Asylskandal im Bremer Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ist vorläufig beendet. In der vergangenen Woche hat das Landgericht Bremen das Verfahren gegen die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bamf, Ulrike B., und den mitangeklagten Hildesheimer Anwalt für Asylrecht, Irfan C., gegen Zahlung von 10 00 beziehungsweise 5 00 Euro wegen Geringfügigkeit eingestellt. Seit Frühjahr 2018 stand der Verdacht im Raum, dass die Bremer Behörde zwischen 2014 und 2018 Geflüchteten unrechtmäßig Asyl gewährt habe.

»Angesichts der Schwere der Vor­­würfe, die da im Raum standen, passiert die Einstellung des Verfah­rens jetzt sang- und klanglos.«
Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei Pro Asyl

Insbesondere das Bundesinnenministerium zeigte sich bereits Anfang 2018 sicher, wie die zu dem Zeitpunkt noch ungeprüften Verdachtsfälle einzuordnen seien. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach im Mai bei einer Befragung im Innenausschuss von einem »handfesten, schlimmen Skandal«. Sein Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) warf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Außenstelle vor, »hoch­kriminell und bandenmäßig gehandelt zu haben« – eine Aussage, deren Wiederholung ihm das Bremer Verwaltungsgericht später untersagte. Medienberichten zufolge hätten Anwälte im Auftrag der Behörde Geflüchtete gezielt in Bussen nach Bremen gebracht, um ihnen dort positive Bescheide auszustellen. Neben B. und C. erhob die Staatsanwaltschaft Bremen auch gegen den Rechtsanwalt Cahit T. Anklage. Sie warf den drei Beschuldigten vor, in unterschiedlichem Maß von Tatbeteiligung 121 Straftaten begangen zu haben: Darunter fielen neben unrechtmäßig ausgestellten Asylbescheiden auch Straftaten der Vorteilsnahme, Fälschung beweiserheblicher Daten, Urkundenfälschung und Verletzung des Dienstgeheimnisses.

Ein Team aus 45 Beamtinnen und Beamten – und damit die nach Angaben der Staatsanwaltschaft »größte Ermittlungsgruppe in der Geschichte der Polizei Bremen« – prüfte daher seit Mai 2018 erneut 18 315 positiv beschiedene Asylbescheide, die seit dem Jahr 2000 ausgestellt worden waren. Zudem durfte die Außenstelle mehrere Monate lang nicht mehr über Asylanträge entscheiden. Von den überprüften Bescheiden hätten die Prüferinnen und Prüfer nur in 165 Fällen ein »grobes Hinwegsetzen über Vorgaben« festgestellt, wie mehrere Zeitungen mit Verweis auf die Bild am Sonntag berichteten. Mit einer Fehlerquote von 0,9 Prozent lag die Zahl unter dem Bundesdurchschnitt von 1,2 Prozent. Wie die Taz 2019 berichtet hatte, sei die Zahl fehlerhafter Asylbescheide in der Folge auf 50 gesunken.

Bereits im Juni 2018 hatten Recherchen des NDR und von Radio Bremen ergeben, dass ein interner Revisionsbericht des Bamf zu den Vorgängen in der Bremer Außenstelle von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen war. So hätten die Prüfenden angenommen, dass das Bundesland Bremen nur für die ihm zugeteilten Geflüchteten zuständig sei, während das Bamf diese Regelung bereits 2014 gelockert und der Außenstelle mehr Fälle zugewiesen hatte. Von den 121 Anklagepunkten ließ das Landgericht Bremen im November 2020 nur einen geringen Teil zu; gegen T. wurde die gesamte Anklage fallengelassen. In der neugefassten Anklage vom Februar 2021 musste sich B. wegen Fälschung beweiserheblicher Daten und Urkundenfälschung in jeweils sechs Fällen sowie Vorteilsnahme in zwei Fällen verantworten. Bei letzterem Vorwurf geht es um zwei Hotelrechnungen von je 65 Euro, die ihr C. bezahlt haben soll. C. wurde neben der Zahlung dieser Rechnungen vorgeworfen, in zwei Fällen Asylsuchenden zur missbräuchlichen Antragstellung verleitet, in drei Fällen ausreisepflichtige Asylbewerber zum Untertauchen und einem bereits ausgereisten Asylbewerber zur erneuten Einreise geraten zu haben. Ein Sprecher des Gerichts sagte der Frankfurter Rundschau, bei den Anklagepunkten handele es sich eher um »Kleinigkeiten«.

»Angesichts der Schwere der Vorwürfe, die da im Raum standen, passiert die Einstellung des Verfahrens jetzt sang- und klanglos«, sagte der rechtspolitische Referent von Pro Asyl, Peter von Auer, der Jungle World. In der Öffentlichkeit bleibe der Eindruck hängen, das Bundesamt habe zu Unrecht positive Bescheide an Asylsuchende vergeben. »Das wird sich auch nicht so leicht revidieren lassen«, so von Auer. Der vermeintliche Skandal habe zudem weitreichende politische Konsequenzen gehabt, die bis heute nachwirkten.

2018 stritt das Bundeskabinett so heftig über die Asylpolitik, dass es kurzzeitig so aussah, als könnte die Regierung auseinanderbrechen. Besonders Bundesinnenminister Seehofer, der im Frühjahr 2018 erst wenige Wochen im Amt war, attackierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihren Kurs und sprach sich für ein deutlich härteres Vorgehen des Bundes aus. Die Diskussion um das Bremer Bamf kam Seehofer dabei sehr gelegen. So verdeutlichten die dortigen angeblich skandalösen Zustände nach Aussage des Innenministers die Notwendigkeit der innerhalb der Regierung umstrittenen »Ankerzentren« – Sammelunterkünfte, in denen in beschleunigten Verfahren über Asylanträge entschieden wird. Die ersten Ankerzentren eröffneten im Sommer 2018 in Bayern, Hilfsorganisationen haben seitdem immer wieder die menschenunwürdigen Bedingungen in den Unterkünften kritisiert.

Seehofer entließ als Konsequenz aus den Vorwürfen gegen die Bremer Außenstelle auch die damalige Präsidentin des Bamf, Jutta Cordt, und ersetzte sie durch Hans-Eckhard Sommer, der bis zu diesem Zeitpunkt Leiter des Sachgebiets Ausländer- und Asylrecht im bayerischen Innenministerium gewesen war. Der neue Leiter vertritt eine deutlich härtere Linie in der Asylpolitik. So kritisierte beispielsweise die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Ulla Jelpke, das restriktivere Vorgehen bei Familienzusammenführungen und beim Kirchenasyl. Den dadurch bewirkten starken Rückgang bei den Fallzahlen des Kir­chen­asyls wertete eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums 2019 als »positives Signal«.

Auch die Beurteilung von Asylanträgen afghanischer Geflüchteter hat sich seit 2018 verändert. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge besage eine interne Leitlinie des Bamf nun, dass alleinstehenden Männern grundsätzlich überhaupt kein Schutz mehr zugesprochen werden soll. Aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage Jelpkes im März 2021 geht hervor, dass deutsche Gerichte 60 Prozent der 2020 überprüften abgelehnten Asylbescheide von Afghanen als rechtswidrig beurteilten. Das massenhafte unrechtmäßige Ausstellen negativer Bescheide möchte im Gegensatz zu den angeblich fälschlich positiv ausgestelleten Bescheiden aber offenbar niemand als »Skandal« bezeichnen.

Nazanin Ghafouri vom Flüchtlingsrat Bremen zufolge dienten die haltlosen Vorwürfe gegen das Bremer Bamf als »Vorwand für gesetzliche Verschlechterungen«. Der Skandal zeige, »mit welchem Eifer in Deutschland Unrecht gegen Geflüchtete durchgesetzt wird«, sagte sie in einer Pressemitteilung.

Da der mitangeklagte Anwalt die Geldauflage des Landgerichts von 5 00 Euro nicht akzeptieren will, verhandelt das Gericht nun erneut über seinen Fall. B.s Anwälte hätten einem Bericht des Neuen Deutschland zufolge gerne einen Freispruch erzielt. Das Akzeptieren der Verfahrenseinstellung begründete ihr Verteidiger Johannes Eisenberg mit den psychischen Belastungen, die weitere Verhandlungen für seine Mandantin bedeutet hätten.
Bereits 2019 hatte das Bremer Verwaltungsgericht festgestellt, dass durch die Ermittlungen in mindestens einem Fall »unzulässig in die Privatsphäre« von B. eingegriffen worden sei.

Stattdessen laufen mittlerweile Ermittlungen gegen die Staatsanwaltschaft Bremen. Im Juni 2020 habe sich einem Bericht des NDR zufolge ein anonymer Hinweisgeber, der zur Ermittlungsgruppe des Bamf gehören soll, mit einem Schreiben an das Landgericht Bremen gewandt. Er habe darin seinen Kolleginnen und Kollegen vorgeworfen, die Ermittlungen einseitig geführt und entlastende Dokumente nicht berücksichtigt zu haben. Als sich heraus­gestellt habe, dass die ermittelten Ergebnisse den erhobenen Vorwürfen widersprächen, sollen die Ermittlerinnen und Ermittler auf Anweisung der Staatsanwaltschaft ehemalige Asylsuchende persönlich befragt haben, um möglicherweise auf belastende Informationen zu stoßen. Im November 2020 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, die Vorwürfe zu prüfen und damit faktisch gegen sich selbst zu ermitteln – ein fragwürdiges Vorgehen, das unter anderem B.s Anwältin Lea Voigt scharf kritisierte. Einem Bericht der Taz zufolge hat mittlerweile Generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheer die Ermittlungen an sich gezogen.