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In Westafrika sind Jihadisten auf dem Vormarsch. Die lokalen Armeen sind schwach, auch europäische Soldaten konnten die mit al-Qaida und dem »Islamischen Staat« verbündeten Gruppen bislang nicht zurückdrängen.
Der »Islamische Staat« (IS) setzt seinen weltweiten jihadistischen Kampf fort, nicht zuletzt auf dem afrikanischen Kontinent. In Ländern wie Mali im Westen oder Mosambik im Südosten sind immer mehr Gruppen aktiv, die sich auf den IS berufen. In Westafrika und der Sahelregion ist der IS nur eine von zahlreichen jihadistischen Gruppen, die seit Jahren das Gewaltmonopol des Staates bekämpfen und die Zivilbevölkerung terrorisieren. Die rivalisierende, al-Qaida angegliederte »Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime« (GSIM) hat in Mali die Mehrzahl der stärkeren jihadistischen Gruppen – al-Qaida im Maghreb (AQMI), al-Mourabitoun (Die Wächter) und Ansar Dine (Verteidiger der Religion) – an sich gebunden, mit ihr kooperieren regionale Gruppen wie die Macina-Befreiungsfront. Die wirtschaftlich unterentwickelten Länder mit ihren traditionell schwachen Staatsapparaten sind kaum in der Lage, ihre Bevölkerung zu schützen. Die Länder leiden an politischer Instabilität sowie Korruption und Klientelismus, auch in Polizei und Armee.
Unweit des Dreiländerecks, in dem Mali, Niger und Burkina Faso aneinander grenzen, wurden in der Nacht auf den 5. Juni in den Dörfern Solhan und Tadaryat über 170 Menschen getötet, mutmaßlich von Jihadisten.
Am schwersten traf die jihadistische Gewalt in den vergangenen Monaten Burkina Faso und Niger. Im Westen Nigers, nahe der Grenze zu Mali, fuhren mutmaßliche Jihadisten Mitte März auf Motorrädern von Dorf zu Dorf und verübten Massaker an der Zivilbevölkerung. In einer Woche gab es über 200 Todesopfer, allein am 21. März wurden 137 Menschen getötet. Tausende flohen aus den Dörfern in Grenznähe, unter anderem in die westnigrische Regionalhauptstadt Tillabéri. Dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge leben bereits 300.000 Binnenflüchtlinge in Niger, hinzu kommen 237.000 Flüchtlinge aus Nachbarländern. In Mali sind 372.000 Menschen auf der Flucht.
Auch im südlichen Nachbarstaat Burkina Faso leidet die Bevölkerung unter der jihadistischen Gewalt. Unweit des Dreiländerecks, in dem Mali, Niger und Burkina Faso aneinander grenzen, wurden in der Nacht auf den 5. Juni in den Dörfern Solhan und Tadaryat über 170 Menschen getötet, mutmaßlich von Jihadisten; in der Gegend sind al-Qaida nahestehende Gruppen und der »Islamische Staat in der Großen Sahara« (ISGS) aktiv. Es war der schlimmsten Angriff seit Beginn des jihadistischen Terrors im Norden und Osten Burkina Fasos 2014; auch hier sind nach dem Massaker Tausende auf der Flucht. Der Angriff in Solhan richtete sich Medienberichten zufolge zunächst gegen die Miliz »Freiwillige zur Verteidigung des Vaterlands« (VDG), deren Einrichtung das burkinische Parlament Anfang vorigen Jahres beschlossen hatte.
Die burkinische Regierung ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Am Freitag voriger Woche traf der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian zu einem Staatsbesuch in der Hauptstadt Ouagadougou ein, um der Regierung zu versichern, Frankreich werde auch weiterhin seinen Partnern in der Sahelregion bei der militärischen Bekämpfung der Jihadisten beistehen.
Le Drians Äußerung wurde in den Ländern der Region aufmerksam registriert, hatte doch der französische Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag voriger Woche noch »das Ende der Operation Barkhane als Auslandseinsatz« der französischen Armee angekündigt. Unter diesem Namen firmiert seit 2014 die französische Militärmission in der Region, die ihr Hauptquartier in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, hat. 4 000 bis 5 000 französische Soldaten bekämpfen jihadistische Gruppen in Burkina Faso, Tschad, Niger, Mauretanien und Mali.
Nach einem Militärputsch in Mali Ende Mai, der auf einen Militärputsch im August vergangenen Jahres folgte, hatte die französische Armee ihre Kooperation mit der malischen Armee ausgesetzt, jedoch selbständig den Kampf gegen jihadistische Gruppen fortgesetzt. Macrons Äußerungen schienen die Zukunft des französischen militärischen Engagements in der Region insgesamt in Frage zu stellen. Wie Le Drian bei seinem Besuch in Burkina Faso jedoch klarstellte, werde die französische Armee künftig die Kooperation mit den afrikanischen Armeen in der Region verstärken und die sogenannte Task Force Takuba einsetzen, die die französische Armee gemeinsam mit Spezialkräften verschiedener europäischer Armeen im vergangenen Jahr gebildet hat.
Welche genaue Form die französische und die europäischen Militärmissionen in Zukunft haben werden, ist allerdings immer noch unklar. Deutsche Soldaten sind bisher als Teil der UN-Stabilisierungsmission Minusma und einer EU-Mission zur Ausbildung der malischen Streitkräfte beteiligt. Wegen des jüngsten Putsches die 1700 Bundeswehrsoldaten in Mali abzuziehen, deren Einsatzdauer der Bundestag erst im April verlängert hatte, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Mai ausgeschlossen
Der französische Militäreinsatz begann 2013 als kurzfristige Intervention zum Kampf gegen Jihadisten im Norden Malis, entwickelte sich jedoch zu einer langfristigen Mission mit nicht absehbaren Ende und ohne Aussicht auf einen baldigen Sieg. Bereits 2019 sagte der damalige französische Generalstabschef François Lecointre, die französische Mission sei zwar »nützlich und notwendig«, aber es werde »keinen dauerhaften militärischen Sieg in Mali« geben. Die Dysfunktionalität und fehlende Legitimität der staatlichen Institutionen in weiten Teilen der Länder in der Region stünden dem im Weg.
Am Wochenende reichte der 59jährige Lecointre seinen Rücktritt ein. Als Grund ließ er die Sorge durchblicken, dass die Neutralität der Streitkräfte gefährdet sei, wohl mit Blick auf die rechtsextremen Erklärungen französischer Militärangehöriger. Unter Lecointre erzielte die französische Armee einige Erfolge, wie die Zeitung Le Figaro anlässlich seines Rücktritts herausstellte. Im vergangenen Jahr gelang ihr in Mali die Ausschaltung von jihadistischen Anführern, vor allem solchen der GISM. Ermöglicht habe das ein Vorgehen, das Le Figaro mit dem 2007 unter dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Irak angewandten »Surge«-Strategie verglich. Unter diese Bezeichnung fiel eine militärische Offensive gegen die damals im besetzten Irak aktiven Jihadisten, bei der sunnitische Stämme einbezogen und bewaffnet wurden. Von dem Gefühl vieler Sunniten, nach dem Sturz Saddam Husseins von der Macht ausgeschlossen zu sein, hatten zuvor jihadistische Kräfte in sunnitischen Gebieten profitiert.
Auch in der Sahelregion wird die Bevölkerung vermehrt direkt in die Sicherheitsstrategie der Staatsapparate einbezogen. Das hat jedoch auch Nachteile. Im Westen Nigers zum Beispiel wurden in den vergangenen beiden Jahren immer mehr Milizen zur Selbstverteidigung gegen jihadistische Aktivitäten aufgestellt, was – neben manchen Problemen mit der Kontrolle solcher Gruppen – auch dazu führte, dass die Jihadisten vermehrt Massaker an der Zivilbevölkerung verübten. Weil ihnen mehr und mehr die Möglichkeit genommen wurde, in Dörfern Unterschlupf und Nahrungsmittel zu finden, gingen die jihadistischen Gruppen umso aggressiver vor.
Die Jihadisten versuchen, sich bei der Rekrutierung Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen zunutze zu machen, insbesondere zwischen Ackerbauern und Nomaden. Eine Rolle spielen dabei Streitigkeiten um Wasser, das auch aufgrund des Klimawandels noch knapper wird. Durch die Ausbreitung der Wüste sowie das Bevölkerungswachstum und die Erschließung neuer landwirtschaftlicher Flächen verschärfen sich die Konflikte in der gesamten Region seit Jahren. Im Dreiländereck wurden die Viehherden der teils nomadisch lebenden Bevölkerungsgruppe der Peul immer wieder dezimiert; der ISGS rekrutiert sich unter anderem aus den Peul. Dass sich der Kampf gegen den Terror in Mali und Niger infolgedessen häufig auch gegen Peul richtete, die nicht zu jihadistischen Gruppen gehörten, trieb weitere Rekruten zu den Jihadisten. Die GSIM rekrutiert auch unter den Tuareg; das Versiegen von Einnahmequellen aus dem transsaharischen Handel mit Benzin, Waffen und Drogen sowie ihre Marginalisierung in den dortigen Staaten begünstigen das.
Die malische Zentralregierung versuchte in den vergangenen Jahren, örtliche Konflikte durch Verhandlungen beizulegen, bei denen sie für Rekrutierung anfälligen Bevölkerungsgruppen Angebote machte. Teils waren sogar Anführer militanter Gruppen an diesen Gesprächen beteiligt. Auch die Regierung von Burkina Faso hat in den vergangenen Monaten Verhandlungen mit jihadistischen Gruppen aufgenommen. Fraglich ist, ob Konflikte so entschärft werden können, oder ob man diese Gruppen aufwertet, indem man mit ihnen verhandelt.
Frankreich hatte Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen in Mali immer abgelehnt, ließ in den vergangenen Monaten jedoch erkennen, man finde sich mit den Umständen vor Ort ab. Welchen Einfluss Frankreich auf die malische Regierung künftig haben wird, ist nach dem jüngsten Militärputsch indes ebenso unklar wie die Frage, wie die politische Lage in dem Land sich entwickeln wird. Oberst Assimi Goïta, der als Interimspräsident die Staatsführung übernommen hat, versprach, bis Februar 2022 Wahlen abzuhalten. Die französische Regierung steht ihm jedoch grundsätzlich misstrauisch gegenüber.