Wie die Kommunistische Partei Chinas sich 100 Jahre lang behaupten konnte

100 Jahre Krisenmanagement

Am 1. Juli lässt die Kommunistische Partei Chinas den 100. Jahrestag ihrer Gründung feiern. Die Partei konnte sich behaupten, weil es ihr gelang, Bedrohungen und Krisen mit Reformen und rücksichtslosen Maßnahmen zu überwinden.

Der offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung zufolge hat die Kommu­nistische Partei Chinas (KPCh) das chinesische Volk mit einer »neudemokratischen Revolution« im Rahmen einer »halbfeudalen« und »halbkolonialen« Gesellschaft zum Sieg geführt. Als krönender Abschluss dieses Kampfs gilt die Gründung der Volksrepublik China 1949. In der Mao-Ära seien in den fünfziger Jahren dann die Grundlagen für das wirtschaftliche und poli­tische System gelegt worden. Mit der Politik der »Reform und Öffnung« habe 1978 eine neue Epoche des »Sozialismus mit chinesischer Besonderheit« begonnen, die zu wirtschaftlichem Aufschwung, allgemeinem »bescheidenen Wohlstand« und globaler Anerkennung geführt habe. Der chinesische Staatspräsident und Generalsekretär der KPCh, Xi Jinping, gesteht zwar einige »historische Fehler« ein, lässt die Entwicklung der KPCh sonst aber als triumphale Erfolgsgeschichte schreiben (siehe Interview mit der Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik »Der Einfluss der Maoisten ist gewachsen«).

Die Entstalinisierung in der Sowjetunion 1956 und die folgenden Aufstände in Polen und Ungarn lösten die erste politische Krise in der Volksrepublik China aus.

Die Gründungsmitglieder der Partei scheinen sich 1921 der welthistorischen Bedeutung ihrer Tat nicht bewusst gewesen zu sein. Noch immer kann nicht genau rekonstruiert werden, wann der 1. Parteitag der KPCh im französischen Konzessionsgebiet in Shanghai stattfand. Später legte die Führung den 1. Juli als Feiertag fest, obwohl der Parteitag wahrscheinlich erst am 23. Juli eröffnet worden war. Die Kommunis­tische Internationale (Komintern) hatte den Niederländer Hendricus Sneevliet und einen russischen Geheimdienst­offizier zum Parteitag entsandt. Sie sollten den chinesischen Genossen helfen, aus losen marxistischen Gruppen eine leninistische Kaderpartei mit Berufsrevolutionären zu formen.

Antiimperialismus spielte von Anfang an eine wichtige Rolle. Die Xinhai-Revolution von 1911 hatte zwar das Kaiserreich in eine Republik verwandelt, aber keine stabile Ordnung geschaffen. Aufgrund der Schwäche der Zentralregierung hatten in den Provinzen Warlords das Sagen und Kolonialmächte konnten sich weitere Teile des chinesischen Staatsgebiets unterwerfen. Besonders die 1919 auf der Friedenskonferenz in Versailles gefällte Entscheidung, dass Deutschland den von ihm beherrschten Teil der Provinz Shandong an Japan abzutreten habe, statt ihn China zurückzugeben, führte zur Radikalisierung der bis dahin überwiegend prowestlichen chinesischen Intellektuellen; China hatte im Ersten Weltkrieg die Alliierten unterstützt. ­Bereits nach der russischen Oktoberrevolution 1917 hatte der Marxismus in China an Einfluss gewonnen, nicht zuletzt weil Sowjetrussland nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland und Ungarn ein Bündnis des Prole­tariats der Industrieländer mit den vom Kolonialismus unterdrückten Massen aufbauen wollte.

Die KPCh lernte früh, dass falsche strategische Entscheidungen an den Rand der Vernichtung führen konnten. Auf Drängen der Komintern bildete die junge Partei 1924 eine Einheitsfront mit der nationalistischen Guomindang (GMD), um China von Warlords und Kolonialmächten zu befreien. Mit sowjetischen Beratern und Geld wurde in Südchina eine neue Nationalarmee aufgebaut. Nach militärischen Teiler­folgen gegen Warlords richtete sich der GMD-Führer Chiang Kai-shek aus Angst vor wachsendem sowjetischen Einfluss sowie aufkommenden radi­kalen Bewegungen von Arbeitern und Bauern jedoch gegen seinen Bündnispartner. In Shanghai ließ Chiang 1927 mit Hilfe von Mafiabanden viele Mitglieder der KPCh und linker Bewegungen massakrieren, die Streiks initiiert hatten.

Aus diesem vernichtenden Schlag gegen die städtische Arbeiterbewegung zog die KPCh die Lehre, nie wieder auf den Aufbau eigener bewaffneter Streitkräfte zu verzichten. »Die Partei muss die Gewehre kommandieren«, gehört noch immer zu den wichtigen Grundsätzen der KPCh. Vor allem Mao Zedong entwickelte damals die Strategie, dass die revolutionären Kräfte vorerst nur im agrarisch geprägten Hinterland überleben könnten. Man müsse insbesondere die Landbevölkerung durch eine Bodenreform für sich gewinnen. In revolutionären Stützpunktgebieten baute die KPCh Anfang der dreißiger Jahre ihren Gegenstaat in Gestalt einer chinesischen Sowjetrepublik auf.

Zum zweiten Mal drohte der Untergang, nachdem die GMD 1934 mit ihrem fünften »Einkreisungs- und Vernichtungsfeldzug« gegen die Sowjetgebiete im Süden des Landes Erfolg hatte. Fluchtartig begaben sich 86 000 Soldaten der chinesischen Roten Armee auf den »Langen Marsch« nach Norden; nur 8 000 bis 9 000 erreichten im Oktober 1935 das Stützpunktgebiet um Yan’an.

Einen neuen Aufschwung erlebte die KPCh, als die Komintern nach ihrem 7. Weltkongress 1935 und der japanischen Invasion auf eine erneute Einheitsfront mit der GMD-Regierung drang. Die chinesische Nation sollte gerettet und einem möglichen Angriff Japans auf die Sowjetunion vorgebeugt werden. Im Unterschied zur ersten Einheitsfront konnte die KPCh durchsetzen, das Kommando über die eigenen Streitkräfte zu behalten. Im sogenannten Anti­japanischen Widerstandskrieg (1937–1945) konnte sich die Partei als »pa­tri­otische Kraft« etablieren, die im Hinterland einen Guerillakrieg gegen die ­Japaner entfachte.

Mao entwickelte seine Theorie der Widersprüche, um die strategische Wende zu begründen. Unter normalen Umständen sei der Klassengegensatz der »Hauptwiderspruch« der Gesellschaft, andere Konflikte seien nur »Nebenwidersprüche«. Wegen der drohenden Vernichtung des Landes durch den japanischen Imperialismus sei der nationale Widerspruch zwischen Japan und China nun der Hauptwiderspruch, der Klassengegensatz innerhalb der chinesischen Gesellschaft sei nur noch ein Nebenwiderspruch. Nach einem Sieg über Japan würden Haupt- und Nebenwiderspruch ihren Platz wieder tauschen, der Klassenkampf werde dann wieder Priorität haben.

Das japanische Kaiserreich kapitulierte im August 1945 nach dem Abwurf der US-amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sowie dem sowjetischen Einmarsch in der Mandschurei. Dennoch schreibt sich die KPCh den »Sieg im Antijapanischen Widerstandskrieg« bis heute auf die eigenen Fahnen. Bei Kriegsende waren die Streitkräfte der GMD-Re­gierung deutlich geschwächt. Zudem hatte diese durch die desolate wirtschaftliche Lage, eine hohe Inflation sowie ausufernde Korruption die Unterstützung großer Teile der Stadt- und Landbevölkerung verloren. Im folgenden Bürgerkrieg (1946–1949) konnte die kommunistische Volksbefreiungsarmee die Regierungstruppen besiegen und auf die Insel Taiwan vertreiben. Am 1. Oktober 1949 rief Mao die Volksrepublik China aus.

Die Partei, die die Macht so opferreich errungen hatte, verteidigte sie mit allen Mitteln. Die KPCh hatte bewiesen, dass sie eine Revolution zum Sieg führen konnte. Beim wirtschaftlichen Aufbau danach orientierte sich die Volksrepublik zunächst stark an dem Modell der zentralistischen Planwirtschaft der Sowjetunion. Der erste Fünfjahresplan (1953–1957) konnte mit ­Hilfe sowjetischer Berater und Kredite ein schnelles Wachstum der Schwer­industrie erzeugen und löste einen Urbanisierungsschub aus. Der Primat der Schwerindustrie wurde nicht zuletzt mit der militärischen Bedrohung durch die USA begründet. Im Korea-Krieg (1950–1953) und der Taiwan-Krise 1958 zog die US-Führung sogar Atombombenangriffe auf China in Erwägung.

Die Entstalinisierung in der Sowjetunion 1956 und die folgenden Aufstände in Polen und Ungarn lösten die erste politische Krise in der Volksre­publik aus. Es kam dort zwar nicht zu großen Unruhen, aber der Unmut in Teilen der Bevölkerung kam in Streiks, Studierendenprotesten und Austritten aus den landwirtschaftlichen Genossenschaften zum Ausdruck. Einerseits begrüßte die chinesische Führung die Niederschlagung des »konterrevolutionären Aufstands« in Ungarn 1956 durch die sowjetische Armee. Anderseits sah Mao aber in Bürokratismus und mangelnder Volksnähe der kommunistischen Parteien die Ursache für Unzufriedenheit. Er rief deshalb im selben Jahr die Hundert-Blumen-Kampagne ins Leben, die Intellektuelle aufrief, an Missständen Kritik zu üben, um der Partei zu helfen, sich »auszurichten«. Die Zensur der Presse wurde deutlich gelockert.

Erneut rechtfertigte Mao diesen Politikwechsel mit einer Theorie der ­Widersprüche: Man müsse zwischen Widersprüchen zwischen »uns und dem Feind« und »Widersprüchen innerhalb des Volks« unterscheiden. Letztere sollten durch Debatten und Überzeugung, nicht durch diktatorische Maßnahmen bewältigt werden. Allerdings lief die Kampagne aus dem Ruder, da die Kritik am politischen System wesentlich grundsätzlicher ausfiel, als Mao erwartet hatte. Die KPCh-Führung begann im Spätsommer 1957 mit einer Kampagne gegen »Rechtsabweichler«. Rund 550 000 Menschen wurden verfolgt und teils zur »Umerziehung« auf das Land verschickt. Das Problem des Bürokratismus der Partei blieb ungelöst.

Buckeln für die Industrialisierung Chinas

Buckeln für die Industrialisierung Chinas. Die Politik des »Großen Sprungs nach vorn« (1958–1961) führte zum Einbruch der Agrarproduktion und zu einer Hungersnot mit 15 bis 45 Millionen Toten

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Die Politik des »Großen Sprungs nach vorn« (1958–1961) verursachte die erste wirtschaftliche Krise der Volksrepublik. Ein völlig überambitioniertes Industrialisierungsprogramm führte in Verbindung mit Verwaltungschaos nach der Einführung von ländlichen Volkskommunen 1959 zum Einbruch der Agrarproduktion und zu einer Hungersnot mit etwa 15 bis 45 Millionen Toten.

Um die Krise zu überwinden, setzte die Parteiführung um Mao Ende 1960 einen zwar sehr späten, aber dafür wirkungsvollen Kurswechsel durch. Sie gab das Dogma auf, dass China als Agrarland kein Getreide importieren dürfe. Die Volkskommunen wurden verkleinert und den Bauern Parzellen zur privaten Nutzung zugestanden, damit sie sich ernähren konnten. Durch Getreideimporte und Einstellung vieler industrieller Projekte konnten die Ab­gabelasten für die Landbevölkerung gesenkt werden. Bis 1963 ließ die Regierung die Stadtbevölkerung um 28 Millionen Menschen reduzieren und sie auf ihre Herkunftsdörfer verschicken. So konnte der Staat Ausgaben für die sozialstaatliche Versorgung sparen, auf die nur die Stadtbevölkerung ein Anrecht hatte. Durch diese »Ausrichtung« der Wirtschaft konnte die Versorgungslage stabilisiert und die Überausbeutung der Landwirtschaft zugunsten indus­trieller Großprojekte beendet werden.

Während der Kulturrevolution (1966–1976) erlebte die Volksrepublik ihre bislang schwerste politische Krise. Mao wollte die Partei erneut neu »ausrichten«. Er fürchtete, der »sowjetische Revisionismus« könne auch auf China übergreifen und zu einer »Restauration des Kapitalismus« führen. Im Herbst 1966 rief er die Massen sogar zur Rebellion gegen die »Machthaber auf dem kapitalistischen Weg innerhalb der Partei« auf. In der Folge erlaubte man Studierenden und Arbeitern, unabhängige Rebellenorganisationen zu gründen. Fraktionskämpfe in der Massenbewegung, der Partei und schließlich sogar der Armee führten jedoch in vielen Regionen 1967/68 zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen.

Als 1969 ein Grenzkonflikt mit der Sowjetunion zu einem Krieg zu eskalieren drohte, war es Mao selbst, der im Namen der Stabilität die Bewegungen demobilisieren und mit der Einberufung des 9. Parteitags die alte Ordnung restaurieren ließ. Um den sowjetischen Druck auszugleichen, näherte sich China den USA an und konnte so die Blockade des Westens durchbrechen. Als Mao 1976 starb, war die chinesische Gesellschaft dennoch der endlosen Kampagnen und »Säuberungen« müde und das Ansehen der Partei war wegen der Eskalation der Fraktionskämpfe und der vielen Opfer der Kampagnen stark ramponiert.

Wie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt, appelliert der chinesische Staatspräsident Xi Jinping an sozialis­tische Moral und setzt ideologische Kampagnen ein, um »die Gedanken zu vereinheitlichen«.

Nach einer Übergangsphase begann die neue Führung um Deng Xiaoping 1978, die Lehren aus dem Scheitern der Kulturrevolution in die Tat umzusetzen. Statt eines dominanten Führers sollte die Partei eine »kollektive Führung« bekommen. Nach offiziellen Angaben wurden 3,5 Millionen »Fehlur­teile«, die während der Kulturrevolution und anderer Kampagnen gegen Parteikader und Bürger ergangen waren, revidiert und damit viele Opfer rehabi­litiert. Unter dem Motto einer »sozialistischen Gesetzmäßigkeit« wurden das Rechtssystem und innerparteiliche Entscheidungsprozesse stärker for­malisiert. Mit Massenmobilisierung durch Kampagnen sollte Schluss sein. Diese Reformen hatten mit einer ­Annäherung an ein liberales System der Gewaltenteilung nichts zu tun. Sie stellten vielmehr die Institutionen ­eines leninistischen Einparteienstaats wieder her.

Die KPCh sollte auch durch eine schnellere Entwicklung der Wirtschaft wieder an Legitimation gewinnen. Das stalinistische Modell der Mao-Ära hatte vor allem die Entwicklung der Schwerindustrie voranzutreiben versucht und von den Menschen große materielle Entbehrungen gefordert. Die neue Führung wollte hingegen das Konsumniveau der Bevölkerung er­höhen. Eine Agrarreform zur Steigerung der Produktion, im Zuge derer die Volkskommunen aufgelöst wurden, erwies sich Mitte der achtziger Jahre als erfolgreich. Daraufhin ließ die Regierung schrittweise auch in den Städten private Unternehmen zu. Der Preis ­eines Teils der Waren sollte durch den Markt bestimmt werden.

Diese Maßnahmen rechtfertigte die Partei wieder mit der Theorie des ­Widerspruchs. Der »Hauptwiderspruch« in der chi­nesischen Gesellschaft sei nicht, wie Mao fälschli­cherweise behauptet habe, der Klassengegensatz, ­sondern der Widerspruch zwischen den noch unterentwickelten Produktivkräften und den unbefriedigten Bedürfnissen der Bevölkerung. So wurde begründet, dass sich das Regierungshandeln jetzt auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes konzentrierte.

Ironischerweise war es der wirtschaftspolitische Erfolg, der zuerst zu große Erwartungen und dann bittere Enttäuschungen hervorrief. Intellektuelle und Studierende hofften auf mehr demokratische Mitbestimmung. Eine Preisreform führte 1988 zu einer Verteuerung der Lebensmittel, hoher ­Inflation und Panikkäufen. Bei einem Großteil der Bevölkerung entstand der Eindruck, dass sich Parteikader und ihre Familien in dem dualen System von Plan- und Marktwirtschaft durch Korruption, Unterschlagung und ille­gale Geschäfte persönlich bereicherten. Im Mai 1989 kam es in zahlreichen Städten zu Massenprotesten, die am 4. Juni mit der Niederschlagung von Protesten in Peking durch die Volksbefreiungsarmee blutig endeten. Angesichts der finalen Krise des Staatssozialismus in Osteuropa erwarteten viele westliche Beobachter auch in China einen Systemwechsel.

Die KPCh-Führung zog aus dieser Krise und der Auflösung der Sowjetunion 1991 ihre Lehren. Politisch schlussfolgerte man, dass die Partei den »Tendenzen zur bürgerlichen Liberalisierung« nicht nachgeben dürfe, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft die Führungsrolle behalten müsse. Auch das Prinzip »Die Partei muss die Gewehre kommandieren« wurde bestätigt. Um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, konzen­trierte sich die Führung wieder auf die Entwicklung der Wirtschaft und Steigerung des Wohlstands.

Mit seiner berühmten Reise in die Sonderwirtschaftszonen des Südens gab der greise Deng 1992 das Signal für eine forcierte Öffnung zum Weltmarkt, um in großem Still ausländisches Kapital anzuziehen. Die Parteiführung bot China als Billiglohnland und »Werkbank der Welt« an, verfolgte aber das Ziel, langfristig durch einen Technologietransfer zu den westlichen Industrieländern aufzuschließen. Im Boom der neunziger und frühen nuller Jahre entstand eine große wohlhabende, urbane Mittelschicht. Andererseits wurden Teile der angestammten, in Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiterschaft durch Werkschließungen und Entlassungen degradiert. Für die absolute Priorität des Wirtschaftswachstums nahm die Regierung wachsende soziale Ungleichheit, Auswüchse der Korruption, Umweltverschmutzung und die Vernichtung bäuerlicher Existenzen zunächst in Kauf.

Nicht zuletzt durch die Zunahme von Arbeitskonflikten und lokalen Bürgerprotesten versuchte die Parteiführung um den damaligen Generalsekretär der KPCh, Hu Jintao (2002–2012), unter dem Motto »harmonische Gesellschaft« Fehlentwicklungen zu korri­gieren. Unter anderem wurden die ländliche Krankenversicherung wiederaufgebaut, die Agrarsteuern abgeschafft, mehr Ressourcen für die Dorfentwicklung bereitgestellt, eine städtische Sozialversicherung eingeführt und die Arbeitsgesetzgebung moderat zugunsten der Beschäftigten verbessert. Die enorme Korruption und Selbstbereicherung der »Staatsklasse« bekam die Führung um Hu allerdings nicht in den Griff.

Die Parteiführung um Xi betreibt seit 2012 eine starke Rezentralisierung der Befugnisse, um in allen Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft die Führungsrolle der Partei zu stärken. Wie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt, ­appelliert Xi an sozialistische Moral und setzt ideologische Kampagnen ein, um in Partei und Armee »die Gedanken zu vereinheitlichen«. Ob es ihm ge­lungen ist, die Korruption einzudämmen, ist umstritten. Eine Rückkehr zum Klassenkampf der Mao-Ära soll es jedenfalls nicht geben. Xi zufolge ist der Hauptwiderspruch der chinesischen Gesellschaft der Widerspruch zwischen dem ständig wachsenden Bedürfnis der Bevölkerung nach einem schönen Leben und der unausgewogenen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Bis 2049, also zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, soll China ein entwickeltes Industrieland und eine Weltmacht sein.

Ob dieses ambitionierte Ziel erreicht werden kann, bleibt offen. Bisher hat es die KPCh in ihrer 100jährigen Geschichte immer geschafft, Krisen zu begegnen, selbst jenen, die sie durch schwerwiegende strategische Fehlentscheidungen selbst ausgelöst hatte.