Der kapitalistische Wachstumszwang führt in die ökologische Katastrophe

Alternative zur Barbarei

Disko Von Axel Berger

Viele Ideen vom Ende des Wirtschaftswachstums sind naiv und gefährlich. Der kapitalistische Wachstumszwang muss dennoch überwunden werden.

Die ökologische Apokalypse, so pflegte ein alter Freund in den düsteren neunziger Jahren häufig nach einigen Bieren zu sagen, sei die einzige Chance, im Kampf gegen das Kapital wenigstens noch ein Unentschieden herauszuschlagen. Auch wenn sich diese These kaum als stimmig erweisen dürfte – es werden sich selbst aus diesem Szenario Profite ziehen lassen, die herrschende Klasse wird sich die letzten lebenswerten Räume auf dem Planeten aneignen und die Zeche werden die Proletarisierten zahlen müssen –, so hatte er doch immerhin die Lacher auf seiner Seite.

Was als Zynismus, mindestens aber Fatalismus, erschien, drückte gleichzeitig die verzweifelte Alternative aus, die Rosa Luxemburg nach den grauenhaften Erfahrungen des Ersten Weltkriegs ihren Genossen auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands an Neujahr 1919 zurief: »Sozialismus oder Barbarei«. Wer aber wollte heutzutage noch diese antiquiert anmutende, nach den Erfahrungen des Stalinismus zudem diskreditierte und wegen des weitgehenden Fehlens einer kämpferischen Klassenbewegung samt organisierter sozialrevolutionärer Avantgarden längst vergessene Parole aussprechen? »In den meisten Ländern bezeichnet man als ›die Linke‹ mittlerweile einfach die politischen Kräfte, die keynesianische Maßnahmen und Einkommensumverteilung befürworten«, stellte der marxistische Ökonom und Philosoph Paul Mattick Jr. 2011 während der letzten großen Wirtschaftskrise resigniert fest.

Eine stagnierende oder gar rückläufige Akkumulation kann innerhalb des kapitalistischen Systems nur zu noch mehr Massenelend, Arbeitslosigkeit, Unterversorgung und Kriegen führen.

Angesichts der diversen mehr als dringenden Probleme, die in ihrer Gesamtheit die »ökologische Krise des Kapitalismus« (Elmar Altvater) konstituieren, ist es daher kaum verwunderlich, dass sich diese Tendenz derzeit noch verstärkt. Der »Green New Deal« ist nur das populärste Schlagwort für die Idee, die Rettung der Welt ausgerechnet an den »Staat des Kapitals« (Johannes Agnoli) zu delegieren, wie es Norbert Trenkle zu Recht kritisiert hat. Dass zum Beispiel die neue US-Regierung sich bei ihren Programmen an der »Stärkung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit« orientieren wird, wie Jörn Schulz eingesteht, liegt nicht etwa am Verrat an der grünen Sache oder einem falschen Manöver auf umkämpftem Terrain, sondern ist schlicht durch die Zwänge des Staats begründet, sich aus der Verwertung der produktiven Kapitale zu speisen – und zugleich zumindest mittelfristig nicht alles gegen die Wand fahren zu lassen.

So sehr sich ökologische Reformen gegen die Interessen einzelner, eventuell besonders destruktiver Kapitale richten können, und so nachvollziehbar Schulz’ Befürchtung sein mag, dass »Sozialismus in einigen Jahrzehnten möglicherweise nur noch Gerechtigkeit bei Katastrophenschutz und Elendsverwaltung bedeuten« könnte, so wenig nachvollziehbar ist daher die Hoffnung, dass ausgerechnet durch einen »Green New Deal« »die private Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel in Frage« gestellt werden oder sich gar eine »postkapitalistische ­Wendung« – was auch immer dieser etwas obskure Begriff aussagen soll – ­ergeben könnte, wenn die Linke nur geschickt genug taktieren würde, wie Ronja Morgenthaler und Lasse Thiele in Anlehnung an Erik Olin Wright und Antonio Gramsci vorschlagen. Vielmehr bietet diese Strategie – und dafür könnte man nicht zuletzt die Erfahrungen aus dem historischen New Deal oder der linkskeynesianischen ersten Labour-Regierung Großbritanniens nach dem Zweiten Weltkrieg (unter Clemet Attlee, 1945–1951) heranziehen – nicht etwa »die beste Chance« für einen neuen Klassenkampfzyklus, sondern zunächst lediglich eine Chance für die Einbindung nicht weniger Progressiver als Begleitmusikkapelle für Regierungen, deren Handeln sie trotz lauten Krakeelens dennoch nicht beeinflussen können.

Es müsste also die ureigenste Aufgabe einer antagonistischen Linken sein, vor den Illusionen zu warnen, ein »gemischtes Wirtschaftssystem« (Paul Mattick) könne langfristig die Krisen des Kapitalismus verhindern, seien sie ökonomischer oder ökologischer Natur. Doch ist sie ­damit immerhin nicht allein. Die sogenannte Postwachstumsbewegung nämlich bringt ihre Kritik an den Wachstumsmodellen der antizyklischen Wirtschaftspolitik und an der Staatsaffirmation refor­merischer Positionen häufig noch so vehement vor, wie man es sich von einer brav gewordenen Linken wünschen würde. Richtig ist sie leider dennoch nicht.

Dies gilt höchstwahrscheinlich auch für Alexander Brentlers These, ein ­grüner Kapitalismus könne das Klimasystem stabilisieren, die er den Degrowth-Aktivisten entgegenhält. Auch wenn man den Innovationskräften der Unternehmen zutrauen kann, mit staatlicher Förderung zumindest eine deutliche Verlangsamung der globalen Erwärmung herbeizuführen, dürfte sich der rein quantitativ ausgerichtete Wachstumszwang des Kapitals kaum bändigen lassen. Hinzu kommt, dass der sich stetig steigernde Konkurrenzdruck immer stärker globalisierte Lieferketten und damit verlängerte Transportwege fast unvermeidlich macht, ebenso wie Überproduktion, billige Abfallentsorgung, Aneignung von Naturräumen, geplante Obsoleszenz und nicht zuletzt auch die Abschwächung von Umweltstandards durch erpressbare Regierungen – und dabei »die Springquellen allen Reichtums« beständig untergräbt: »die Erde und den Arbeiter«, wie schon Marx beobachtete.

Eine Abkehr vom Wachstum dürfte sich also tatsächlich als notwendig erweisen. Ob allerdings die von Wachstumskritikern wie dem Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech propagierte drastische Verringerung des individuellen Konsums innerhalb des bestehenden warenproduzierenden Systems greifen kann, muss nicht nur angesichts von fast einer Milliarde Menschen, die heutzutage unter der absoluten Armutsgrenze leben müssen, bezweifelt werden. Denn eine stagnierende oder gar rückläufige Akkumulation kann innerhalb dieses Systems nur zu noch mehr Massenelend, Arbeitslosigkeit, Unterversorgung und nicht zuletzt zu Kriegen führen, die schon jetzt das Leben vieler Lohnabhängiger und Subalterner prägen. Menschen für ein solches Projekt zu gewinnen, dürfte sich bei denen, die nicht in relativem Wohlstand in den Metropolen leben, als schwierig bis unmöglich erweisen. Dies wäre aber eine unbedingte Voraussetzung, wie auch Brentler hervorgehoben hat.

Es würde sich dagegen lohnen, die Potentiale der qualitativen Seite des Wachstums zu thematisieren: die des Gebrauchswertes. Denn es liegt ebenso im Wesen des kapitalistischen Wachstumszwangs, eine gigantische Masse an Arbeitskraft und Ressourcen für allerlei Sinnloses und Destruktivkräfte zu mobilisieren, wie auch die Produktivkräfte und die Wissenschaft in einem Maße entwickelt zu haben, das ein gutes Leben für alle überhaupt erst ermöglicht hat. Kollektive und damit effiziente Nutzungen dieser Güter – ein Aspekt, den beispielsweise Paech stark macht – könnten immense Einsparpotentiale beim industriellen Output möglich machen. Und auch ökologische Schäden und die Vergeudung von Lebenszeit der Lohnabhängigen in tristen Ausbeutungsstätten zur Herstellung nicht selten völlig überflüssiger Waren und Dienstleistungen wären nur jenseits von privater Aneignung und Wachstumsfetisch in relevantem Maße zu vermeiden beziehungsweise zu beenden.

Weder das Zurück zur Subsistenz, das sich die Postwachstumskritiker meist erträumen, noch die Unterordnung unter die aufgeklärteren Funktionäre des bürgerlichen Staats werden die Zerstörung von Klima und Natur beenden – zumindest nicht auf humane Art und Weise. »Die notwendige Schrumpfung der Ökonomie ist ohne Massenelend nur in einer Gesellschaft der gesellschaftlichen Planung von Produktion und Verteilung von Gebrauchsgütern« zu haben, schrieb Peter Bierl. Aller Voraussicht nach läge darin die einzige ­Alternative zur spezifisch-kapitalistischen Lösung der eskalierenden Verteilungskämpfe samt ihrer entfesselten Barbarei. Vielleicht wäre dafür sogar der alte Freund aus vergangenen Tagen zu gewinnen.