Lebensmittelpreise steigen – in Deutschland noch moderat, in ärmeren Ländern drastisch

Höhere Preise bedeuten Hunger

Weltweit steigen die Verbraucherpreise. Die Teuerung bei Nahrungs­mitteln wirkt sich in ärmeren Ländern lebensbedrohlich aus.

Für viele mag es nur eine weitere der vielen schlechten Nachrichten in Verbindung mit der Covid-19-Pandemie gewesen sein: Kürzlich gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass von Juli 2020 bis Juli 2021 die Verbraucherpreise so stark angestiegen waren wie seit 25 Jahren nicht mehr. Im Durchschnitt stiegen sie um 3,8 Prozent, Energie verteuerte sich sogar um 11,6 Prozent, bei Nahrungsmitteln waren es 4,3 Prozent.

In den Entwicklungs- und Schwellen­ländern steigen nicht nur die Preise für Lebensmittel deutlich stärker als in Deutschland – sie treffen auch eine wegen der Covid-19-Pandemie verar­mende Bevölkerung umso härter.

Die Furcht vor einer Inflation ist in Deutschland tief verwurzelt, vor allem in wirtschaftskonservativen Kreisen. So nahm der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, die Inflationsnachricht zum Anlass, einmal mehr ein Ende der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu fordern, die unter anderem dazu diene, die Staatsschulden der Euro-Länder zu finanzieren. Doch auch Weidmann musste zugeben, dass die derzeitigen Preisanstiege kurzfristige Gründe haben und wohl keinen langfristigen Trend darstellen. Ein Faktor in Deutschland war etwa die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung, die ab Juli 2020 galt und Anfang dieses Jahres auslief; das verzerrt den statistischen Jahresvergleich. Zudem hat das schnelle Wiederhochfahren der Weltwirtschaft in manchen Branchen zu Lieferengpässen und Rohstoffknappheit geführt – und die steigenden Energiepreise tun ein Übriges.

Dabei steigen die Preise in Deutschland noch relativ moderat. In ärmeren Ländern wirkt sich die Teuerung um einiges dramatischer aus, insbesondere bei Lebensmitteln. Der Preisindex der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) wies bis Juli zwölf Monate in Folge eine Steigerung aus. Um 31 Prozent liegen die Weltmarktpreise derzeit durchschnittlich über denen des vorigen Jahres – und das, obwohl sie bereits zwischen März und Juni des vergangenen Jahres um über 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen waren.

Bei vielen Gemüsearten werden noch deutlich höhere Teuerungsraten verzeichnet, aber auch Grundnahrungsmittel wie Sojabohnen oder Getreide wie Mais und Weizen sind im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um etwa die Hälfte teurer geworden. Die Zahl der Unterernährten war laut dem UN-Welternährungsbericht schon 2020 auf zwischen 720 und 811 Millionen Menschen weltweit gestiegen; dieses Jahr dürfte ihre Zahl weiter steigen.

Das liegt nicht etwa daran, dass global die Ernteerträge eingebrochen wären. Der Lebensmittelhandel wies in der EU vor allem im vergangenen Jahr häufig darauf hin, dass sowohl beim Anbau als auch beim Ernten vieler Gemüsesorten Einbußen hingenommen werden mussten. Man beklagte das Fehlen von Saisonkräften, die durch die verschärften Einreisebestimmungen nicht oder verspätet kamen, und auch die strengen Hygienebestimmungen. Weltweit blieb die erzeugte Menge von Nahrungsmitteln jedoch trotz durch den Klimawandel bedingter immer häufigerer Dürren oder Überschwemmungen relativ stabil.

So weist der »Food Outlook« der FAO, der sicherlich am intensivsten recherchierte Bericht zum Thema, unter anderem bei Getreide und Reis einen kaum veränderten Produktionsstand aus; das sind weltweit die wichtigsten Nahrungsmittel. Für dieses Jahr erwarten die Autoren der Studie gar eine »Weizen-Rekordernte«. Auch die bei Krisen so wichtigen Vorratsspeicher verschiedener Länder sind nach FAO-Angaben prall gefüllt.

Doch gerade die Tendenz zum Horten hat das Angebot auf den Weltagrarmärkten verknappt und so die Preise steigen lassen. Die Reserven konzentrieren sich nämlich auf wenige Länder, darunter die USA, Kanada, China und europäische Staaten, die mehr als die Hälfte des eingelagerten Getreides in ihren Speichern halten. Pandemiebedingte Komplikationen bei vielen Lieferketten, der zuletzt wieder gestiegene Preis für Rohöl, der die Transportkosten erhöhte, und Spekulationen an den US-amerikanischen und europäischen Terminmärkten für Agrarprodukte verschärfen die Situation zusätzlich.

In Deutschland sorgt die enorme Marktmacht der großen Discounter und Supermarktketten normalerweise dafür, dass Preise auch unter solchen Umständen relativ stabil bleiben. Doch die Lebensmittelhersteller werden nun wohl versuchen, ihre Preise zu erhöhen. Wie stark sich das für die Konsumentinnen auswirkt, wird in den nun anstehenden Verhandlungen zwischen Supermärkten und Herstellern geklärt. »Wahrscheinlich werden wir im zweiten Halbjahr deutliche Preiserhöhungen sehen«, zitierte das Handelsblatt kürzlich Robert Kecskes vom Marktforschungsunternehmen GfK.

Die Menschen in Deutschland geben im Durchschnitt nur etwa zehn Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Steigende Preise sind also für die Mehrheit kein existentielles Pro­blem. Millionen andere dagegen konnten sich in Deutschland auch schon vor der Pandemie nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen. So verteilen die gemeinnützigen Tafeln nach eigenen Angaben Lebensmittel an mehr als 1,6 Millionen Menschen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge hatten 2019 5,3 Prozent der Bevölkerung nicht genug Geld, um jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit zu bezahlen. Bei Arbeitslosen waren es 30,4 Prozent.

Für diese Millionen von Menschen würde auch eine kleine Preissteigerung bei Lebensmitteln ein großes Problem darstellen. Die Tafeln haben bereits im vergangenen Jahr eine wachsende Nachfrage verzeichnet. Einer internen Befragung der Tafeln im Frühjahr 2021 zufolge kämen inzwischen weniger Geflüchtete als vor ein paar Jahren, doch seit Beginn der Pandemie seien wieder mehr Rentner sowie deutlich mehr ALG-II-Bezieher und Menschen in Kurzarbeit durch die Tafeln versorgt worden.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern steigen nicht nur die Preise für Lebensmittel deutlich stärker als in Deutschland – sie treffen auch eine wegen der Covid-19-Pandemie verarmen­de Bevölkerung umso härter. Bereits En­de Juli vergangenen Jahres warnte Uni­cef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, dass die Beschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie in diesem Jahr zum Hungertod von mehr als 10 000 Kindern unter fünf Jahren pro Monat zusätzlich führen würden. Denn derzeit litten 54 Millionen Kleinkinder unter akuter Nahrungsmittelknappheit.

Das bedeutet nicht nur einen Anstieg um 6,7 Millionen seit Jahresbeginn, sondern ist auch die höchste Zahl, die die Unicef in diesem Jahrtausend bislang ermittelt hat. »Es wird immer deutlicher, dass die Auswirkungen der Pandemie den Kindern mehr Schaden zufügen als die Krankheit selbst«, warnte die Unicef-Exekutivdirektorin Henrietta H. Fore bei der Vorstellung der Zahlen in New York City. Neben der unmittelbaren Gefahr des Hungertods drohten immer mehr Kinder im globalen Süden, in ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt zu werden.

Überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Seit Beginn der Pandemie rissen die Warnungen nicht ab. Bereits im April des vergangenen Jahres hatte der Leiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, David Beasley, vor »Hungersnöten biblischen Ausmaßes« gewarnt. Eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen, zu der unter anderem Oxfam und Care gehörten, hatte prognostiziert, dass die Zahl der Opfer der Lockdowns die der Opfer von Covid-19 bei weitem übertreffen würden (Thema Jungle World 26/2020). Von einer Verdoppelung der Zahl der Hungernden auf bis zu 265 Millionen Menschen war damals die Rede. Im September formulierte eine Studie des weltgrößten Kinderhilfswerks, Save the Children, die Befürchtung, dass sich selbst diese Zahlen als zu niedrig erweisen könnten. Im Dezember gingen schließlich auch die Vereinten Nationen davon aus, dass 2020 etwa 150 Millionen Menschen zusätzlich unter der absoluten Armutsgrenze, die bei einem Einkommen von 1,90 US-Dollar pro ­Tag liegt, vegetieren müssten, und damit auch ohne die mindeste Ernährungssicherheit.

Schon die von Save the Children im September unter dem Titel »Protect a Generation« herausgegebene Studie hatte darauf verwiesen, dass bei Befragungen 75 Prozent der Haushalte im globalen Süden angegeben hatten, seit Beginn der Pandemie Einkommensverluste erlitten zu haben. Hochgerechnet beträfe dies rund 5,25 Milliarden Menschen. 65 Prozent von ihnen verfügten über weniger als ein Viertel ihres vorherigen Einkommens. Über eine Milliarde Menschen, vor allem prekär Beschäftigte und Kleinstselbständige, könnten im vorigen Jahr völlig einkommenslos gewesen sein.