Der Prozess zum Angriff auf zwei Journalisten in Fretterode beginnt

Gefährdeter Journalismus

Zwei bekannte Rechtsextreme aus dem Umfeld des militanten Neonazis Thorsten Heise sollen im April 2018 zwei Journalisten schwer verletzt haben. Beim Prozessauftakt inszenieren sich die Angeklagten als Opfer.

In Deutschland wird Gewalt gegen Medienvertreterinnen und Medienvertreter zu einem immer größeren Problem. Dies verdeutlichte die NGO Reporter ohne Grenzen, indem sie das Land in ihrer jährlichen Rangliste der Pressefreiheit herabstufte: Die Lage sei nicht mehr als »gut«, sondern nur noch als »zufriedenstellend« zu bewerten. Von einer »noch nie dagewesenen Dimension« der Gewalt war die Rede. Besonders gefährdet sind häufig Journalistinnen und Journalisten, die über Aktivitäten von Neonazis und »Querdenkern« berichten.

Einer der schlimmsten Vorfälle dieser Art ereignete sich bereits im April 2018. Damals recherchierten zwei Journalisten im thüringischen Fretterode in der Nähe eines Grundstücks des militanten Neonazis Thorsten Heise. Sie fotografierten dort mutmaßliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Neonazitreffens, als zwei Männer sie angriffen. Nach einer Verfolgungsjagd landete das Auto der Journalisten im Straßengraben. Die Täter schlugen die Scheiben des Wagens ein, stachen einem der Journalisten mit einem Messer in den Oberschenkel, brachen dem anderen mit einem Schraubenschlüssel den Schädel und stahlen die Kamera, mit der die Fotos aufgenommen worden waren. Bei den Tätern soll es sich um Gianluca B. und Nordulf H. handeln – zwei bekannte Rechtsextreme.

Das bisherige Agieren von Staats­anwaltschaft und Polizei sowie die Urteile in vergleichbaren Prozessen dämpfen die Erwartungen einer klaren Benennung rechtsextremer Motive.

Laut antifaschistischen Recherchen, die unter anderem die Kampagne »Tatort Fretterode« veröffentlichte, sind die beiden Männer seit vielen Jahren auf vielfältige Weise in der Neonaziszene aktiv: als Teilnehmer und Redner bei Demonstrationen, als Ordner bei Szeneveranstaltungen, als Funktionär in der NPD und – im Falle von Gianluca B. – als Beteiligter am Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016. An jenem Tag beschädigten Neonazis in einer organisierten Aktion mehrere Geschäfte und verursachten dabei einen Sachschaden in sechsstelliger Höhe. Das Amtsgericht Leipzig verurteilte B. im April dieses Jahres zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten wegen Landfriedensbruchs.

Eine deutliche härtere Strafe droht ihm und Nordulf H. in dem Prozess zum Vorfall in Fretterode, der am 8. September begann. Die Anklage lautet auf gefährliche Körperverletzung und schweren Raub. Dass der Angriff nicht sogar als versuchte Tötung gewertet wird, ist aus Sicht der Opferberatungsstelle Ezra ein Skandal. »Das ist hochgefährlich und verkennt auch die Dimension militanter, organisierter Neonazistrukturen, aus denen diese Tat begangen wurde«, wird Theresa Lauß, die zuständige Beraterin bei Ezra, in einer kurz vor Prozessbeginn veröffentlichten Pressemitteilung zitiert. Auf Twitter forderte die Gewerkschaft Deutscher Journalisten-Verband vor dem ersten Verhandlungstag: »Wir erwarten vom Landgericht Mühlhausen ein konsequentes Urteil im Sinne der Pressefreiheit.«

An den ersten Verhandlungstagen standen zunächst die Aussagen der Opfer sowie der Angeklagten im Mittelpunkt. Letztere ließen Erklärungen durch ihre Verteidiger verlesen und inszenierten sich dabei als Opfer. So sei es ihnen lediglich darum gegangen, das Kennzeichen des Autos festzustellen, in dem sich die Journalisten befanden – bei denen es sich aus ihrer Sicht um gefährliche Antifa-Aktivisten gehandelt habe. Das Kennzeichen sei wichtig gewesen, um mögliche Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte ahnden zu können. Die beiden Angeklagten räumten ein, das Auto der Journalisten demoliert zu haben, wehrten sich aber gegen den Vorwurf der Körperverletzung. Im Gegenteil: Es seien die Journalisten gewesen, die angegriffen und versucht hätten, die Angeklagten mit dem Auto zu überfahren.

»Während die Anklageschrift nüchtern den Angriff auf die beiden Journalisten beschreibt, sind die Einlassungen der beiden Täter nur als schamloser Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr einzuordnen«, sagte anschließend die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Die Linke). »Ich hoffe, dass das Gericht an keiner Stelle auf das Agieren militanter Neonazis, die den Tod von zwei Menschen billigend in Kauf nahmen, hereinfällt, sondern dies zurückweist.«
Darauf hoffen auch die beiden Journalisten. In einer aktuellen Folge des gemeinsamen Podcasts des Blogs »NSU Watch« und des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) äußerte einer der betroffenen Journalisten den Wunsch, dass die Tat »klar als rechtsextremer Angriff« eingeordnet werde. Das bisherige Agieren von Staatsanwaltschaft und Polizei sowie die Urteile in vergleichbaren Prozessen dämpften die Erwartungen jedoch.

Bis Mitte Oktober sind rund ein Dutzend Verhandlungstage angesetzt. Für die ersten Prozesstage hat die Kampagne »Tatort Fretterode« Solidaritätskundgebungen vor Ort organisiert, an denen sich die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) und weitere Politikerinnen beteiligten. Zudem informierte die Kampagne auf großen Aufstellern über rechte Gewalt in Nord­thüringen und deren Hintergründe.