Kritik der Solidaritätskampagne für Nemi El-Hassan

Gipfel der Verlogenheit

Die Solidaritätskampagnge für Nemi El-Hassan relativiert antisemitischen Hass.

Auch ich habe in meiner Jugend sehr viel Mist gebaut. Als ich 16 war, lief ich in einer grünen Bomberjacke mit einem aufgenähtem Black-Panther-Gangsymbol durch die Straßen von Berlin-Wedding, in der rechten Hosentasche ein Messer, in der linken einen Schlagring und im Halfter unter der Jacke eine Browning-Pistole. Ich bin kriminell geworden und habe immer wieder ­Sozialarbeit und auch Jugendarrest aufgebrummt bekommen. Meine Gangs waren meine erweiterte Familie. Ich bin da reingerutscht. Mir schien, dass ich als einziger Jude inmitten der muslimischen Parallelgesellschaft, mit all ihren Vorzügen, aber auch Nachteilen, keine andere Wahl hatte. Viele Jahre sind seither vergangen, mittlerweile bin ich ein überzeugter Gegner von Gewalt, Kriminalität und rassistischem Hass.

Aus dieser Perspektive beobachte ich die Diskussion über Nemi El-Hassan und die Frage, ob sie die Moderation einer Wissenschaftssendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens übernehmen soll*. Einerseits versuche ich mir einzureden, dass sie eventuell, wie ich damals, in etwas reingerutscht ist und ihre Teilnahme am antisemitischen al-Kuds-Marsch 2014 inzwischen aufrichtig bereut und dessen Vernichtungsideologie entschieden ablehnt. Andererseits jedoch kursieren im Netz Screen­shots, die zeigen, dass El-Hassan noch im Mai diesen Jahres ­antisemitische Posts gelikt hat. Noch vor wenigen Wochen hat sie beispielsweise einem Post zugestimmt, der die Flucht sechs palästinensischer Terroristen, zumeist Mitglieder des »Islamischen Jihad in Palästina«, aus einem israelischen Gefängnis feiert. In einem Instagram-Post vom 23. Mai 2021 schreibt sie: »Im Jahr 1948 wurde meine Großmutter aus ihrem Haus und ihrer Heimat vertrieben. Sie lebte in Nablus, Palästina …« Was sie nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass Nablus 1948 nicht von den Juden, sondern von muslimisch-arabischen Jordaniern besetzt gehalten wurde.

Nemi El-Hassan, die ein Medizinstudium abgeschlossen hat und eine preisgekrönte Journalistin ist, kann sich schlecht auf völliges Unwissen und Naivität berufen. Dass sich in den vergangenen Tagen einige Hundert »Kulturschaffende« mit El-Hassan solidarisieren und nicht nur behaupten, sie »setzt sich als Journalistin seit Jahren dezidiert gegen Antisemitismus und Rassismus ein«, sondern auch noch unterstellen, sie werde »aufgrund ihrer palästinensischen Herkunft und ihrer muslimischen Identität zur Zielscheibe von Hass und Hetze«, ist der Gipfel der Verlogenheit. Wenn man eine Muslimin, die sich über Jahre hinweg mehrmals öffentlich antisemitisch und den Islamismus relativierend positioniert hat, nicht kritisieren darf, weil sie eine Muslimin und keine »Biodeutsche« ist, hat man es mit Doppelmoral, Heuchelei, Islamismusrelativierung, der Verharm­losung des muslimischen Judenhasses und nicht zuletzt mit Rassismus zu tun. Während sich all die Unterzeichner fleißig empörten, wurde in Hamburg ein 60jähriger Jude, der an einer Israel-Mahnwache teilgenommen hat, von einer Gruppe als »südländisch« beschriebener Männer zusammengeschlagen und daraufhin schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Zeit, um sich mit dem Opfer der brutalen antisemitischen Angriffs solidarisch zu erklären, fanden die Kulturschaffenden nicht.

Arye Sharuz Shalicar wuchs in Berlin auf und arbeitet als Politologe und Schriftsteller in Israel.

 

*Anmerkung: Der Westdeutsche Rundfunk  hat inzwischen bekannt gegeben, dass El-Hassan die Wissenschaftssendung »Quarks« nicht moderieren wird. (30.09.2021)