Die Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP sind abgeschlossen

Grüne Austerität

Kommentar Von Johannes Simon

FDP, Grüne und SPD haben ein Programm vorgestellt, auf dessen Basis sie nun Koalitionsverhandlungen führen wollen. Von den sozialpolitischen Wahlversprechen der SPD und der Grünen ist wenig übriggeblieben.

Es liegt in der Natur des Politikerberufs, die eigene Arbeit zu loben. Doch die Ampelkoalition schickt sich an, in dieser Hinsicht, schon bevor sie überhaupt geschlossen ist, neue Rekorde aufzustellen. Es sei »neue politische Phantasie erzeugt« worden, pries der FDP-Vorsitzende Christian Lindner die Sondierungsgespräche. Immer wieder betonten die Parteispitzen, wie gut die Atmosphäre bei den Verhandlungen gewesen seien. Lobende Worte fanden auch der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet – und Friedrich Merz. »Beachtlich« sei das Sondierungspapier, sagte Merz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es sei »Anlass zum Respekt und zur kritischen Selbstüberprüfung: Das hätten wir auch haben können.«

Nicht alles am Sondierungspapier ist so furchtbar, wie Merz’ Lob es vermuten lässt. Dass der Mindestlohn nächstes Jahr auf zwölf Euro pro Stunde steigen soll, ist eine gute Sache. Es würde Millionen Menschen das Leben ein wenig leichter machen – auch wenn die Inflation den realen Zuwachs bis dahin schon lange aufgefressen haben könnte. Freilich würden Grüne und SPD damit nur korrigieren, was sie zuvor selbst angerichtet haben. 2005 prahlte der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) beim Weltwirtschaftsforum in Davos, er habe den »Arbeitsmarkt liberalisiert« und »einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt«. Hartz IV war damals gerade eingeführt worden – und einer von Schröders wichtigsten Mitarbeitern war Olaf Scholz.

Im zurückliegenden Wahlkampf waren SPD und Grüne mit einigen sozialpolitischen Versprechen angetreten, die signalisieren sollten, dass sie die Verwerfungen, die ihr gemeinsames Reformprojekt »Agenda 2010« verursacht hatte, nun zumindest abmildern wollten. Der Ausbau des Niedriglohnsektors zum Beispiel wäre ohne das harte Sanktionsregime von Hartz IV kaum möglich gewesen. Im Sondierungspapier der Koalitionspartner in spe steht nun, Hartz IV solle durch ein »Bürgergeld« ersetzt werden. Doch ist die entsprechende Formulierung so nichtssagend, dass sie auch auf eine bloße Namensänderung hinauslaufen könnte. An »Mitwirkungspflichten« werde man auf jeden Fall festhalten, man wolle aber »prüfen, wie weit wir hier entbürokratisieren« können. Entbürokratisierte Sank­tionen – Millionen Arbeitslosen wird ein Stein vom Herzen fallen.

Eine weitere Wahlkampfforderung der SPD und Grünen war eine Krankenversicherung für alle, eine sogenannte »Bürgerversicherung«. Davon ist im Sondierungspapier keine Rede mehr, dort steht: »Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten.« Auch in anderer Hinsicht liest sich das Papier eher wie ein FDP-Wahlprogramm. So heißt es, man wolle Ausnahmen für die »derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit« schaffen. Höhere Steuern auf große Vermögen, Erbschaften und hohe Einkommen werde es nicht geben.

Man könnte meinen, die FDP habe sich in all diesen Punkten knallhart durchgesetzt. Eine andere Interpretation wäre, dass Grüne und SPD froh waren, ihre Wahlprogramme schnell vergessen zu können. Der Eindruck drängt sich zumindest auf, so begeistert zeigten sich die Spitzen beider Parteien vom Ergebnis der Sondierungen. Olaf Scholz schwärmte, Deutschland stehe vor dem größten industriellen Modernisierungsprojekt seit wahrscheinlich über 100 Jahren.

Tatsächlich sind die Klimaziele im Sondierungspapier relativ ambitioniert. Der Kohleausstieg soll »idealerweise« schon bis 2030 kommen, das Ende des fossilen Verbrennungsmotors 2035. Längst nicht mehr nur die Grünen streben eine umfassende industrielle Transformation Deutschlands an, hin zu neuen Technologien und erneuerbarer Energie. Auch Kapitalvertreter unterstützen dieses Projekt, ihnen geht es um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Die Frage ist nur, wie viel der Staat zu diesem Zweck investiert und woher die Mittel dafür genommen werden. Die Grünen forderten im Wahlkampf ein staatliches Investitionsprogramm von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre. Nun hat die FDP im Sondierungspapier durchgesetzt, dass es keine Steuererhöhungen geben wird; gleichzeitig will man die sogenannte Schuldenbremse beibehalten.

Als dritte Möglichkeit blieben eigentlich nur Einsparungen in jenen Bereichen des Bundeshaushalts, die für die Schlagkraft der deutschen Industrie weniger wichtig sind. Der FDP-Generalsekretär Volker Wissing gab eine solche Richtung vor: Das vereinbarte Programm werde »die künftige Regierung dazu zwingen, bisherige Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen, um zusätzliche Handlungsspielräume zu gewinnen«.