Das Musikerduo Hackedepicciotto verarbeitet vielfältige Einflüsse zu einem düsteren Album

Auf der Schwelle

Hackedepicciotto heißt das Musikprojekt von Alexander Hacke und Danielle de Picciotto. Die beiden Underground-Musiker haben auf ihrem neuen Album Einflüsse wie Drone und Industrial, aber auch sakrale Musik verarbeitet und klingen zeitweise geradezu spirituell.

Die Berliner Musiker Alexander Hacke und Danielle de Picciotto sind in den vergangenen Jahren als Reisende, als Vagabunden, als Suchende um die Welt gezogen. Sie bilden nicht nur das Duo Hackedepicciotto, sie sind zudem verheiratet und wohnen und arbeiten zusammen. Im Jahr 2010 beschlossen sie, fortan als Nomaden zu leben und im Unterwegs zu Hause zu sein. Ihre Reiseerfahrungen spiegelten sich unmittelbar in ihrer Musik wider: Das Album »Perseverantia« (2016) haben sie in der Mojave-Wüste aufgenommen, »The Current« (2020) in Blackpool an der Irischen See. Die Musik sollte etwas von der Atmosphäre der Orte einfangen, an der sie eingespielt wurde.

Bei den Aufnahmen zu ihrem neuen Album »The Silver Threshold« saßen sie dagegen in Berlin fest, es war die Zeit des zweiten Lockdown ab Dezember 2020. Und doch bündelt das Duo auf »The Silver Threshold« vielleicht mehr als je zuvor all die Einflüsse, die es in den Jahren ihrer Welt- und Selbsterkundung gesammelt hatte. Das Album ist vielstimmig, tiefgründig, meditativ; stilistisch klingen so unterschiedliche Musikgattungen wie Folk, Drone, sakrale Musik, Industrial, Electronica, Klänge aus dem mittleren Orient und Metal an.

Hackedepicciotto ist ein Album geglückt, das sehr tief, sehr philosophisch ist und das einen gelegentlich an den Sound von Post-Folk-/Post-Rock-Bands wie Godspeed You! Black Emperor oder A Silver Mt. Zion erinnert.

»The Silver Threshold« bringt zum Ausdruck, wie diese unterschiedlichen musikalischen Richtungen das Duo geprägt haben. »Wir haben uns immer schon ein bisschen in der Tradition der frühen Drone Music gesehen«, erzählt Alexander Hacke im Videogespräch mit der Jungle World. »Die Musik von La Monte Young finden wir toll, diese lang anhaltenden Töne, aber wir sind etwa auch große Fans verschiedener Folk-Traditionen, wir lieben Bluegrass und Country, schätzen zweistimmigen Harmoniegesang wie bei Dave Rawlings und Gillian Welch. Genauso beschäftigen wir uns mit armenischer Musik oder mit mittelalterlicher Musik.«

Die Instrumentierung bei Hackedepicciotto passt zu all diesen Einflüssen. So spielt de Picciotto Geige, Drehleier, Kemençe (eine türkische Laute) und Zurna (ein türkisches Blasinstrument), Hacke die Saiteninstrumente und die häufig polyrhythmischen und tribalistischen Percussions. Zudem steuert er einen prägnanten, brummbärigen Kehlkopfgesang bei: »Das ist das, was ich am ehesten in Sachen Drone mit meinem Körper machen kann.«

Der Berliner Underground kennt Alexander Hacke und Danielle de Picciotto, beide Jahrgang 1965, schon seit Jahrzehnten. Hacke war in den frühen Achtzigern als Genialer Dilletant unterwegs, spielte bei Mekanik Destrüktiw Komandöh, Sprung Aus Den Wolken und ist bis heute Bassist der Einstürzenden Neubauten. De Picciotto gründete 1989 die Love Parade mit und ist seit langem als Bildende Künstlerin und Solomusikerin aktiv. Die gemeinsam aufgenommenen Platten – neben fünf regulären Alben auch Soundtracks, Kollaborationen mit anderen Künstlern und Meditationsmusik – sind ein bisschen unterschätzt, haben sie auf ihnen doch eine unverwechselbare musikalische Sprache gefunden. Das neue Album erschient nun immerhin beim großen britischen Independent-Label Mute Records, was dem Duo hoffentlich etwas mehr Aufmerksamkeit verschaffen wird.

Seit ihrer Zeit als Nomaden haben beide ihr Leben komplett umgekrempelt. Sie leben bewusster, ressourcenschonender, ernähren sich vegan, trinken keinen Alkohol. De Picciotto, die im Videochat neben Hacke in ihrem Studio in Berlin-Wedding sitzt, erklärt: »Wir haben damals gemerkt: Wenn wir weiter so exzessiv leben und unachtsam mit unseren Körpern umgehen, werden wir diese Reisen nicht überleben. Und wir wussten, um es ertragen zu können, dass wir ständig unterwegs und in Bewegung sind, müssen wir in uns ruhen. All diese Dinge schlagen sich auch in unserer Kunst nieder. Deshalb klingt unsere Musik wahrscheinlich heute kontemplativer, meditativer, spiritueller.«

Auffällig sind denn auch die vielen religiösen Motive und Metaphern, die de Picciotto in ihren Texten verwendet. In »Babel« erzählt sie zu Electronica- und Industrialklängen die Turmbaugeschichte nach, auch andere Texte haben einen religiösen Duktus, etwa der des tollen, von östlicher Folklore angehauchten Stücks »The Watered Garden«. »Ich finde, wir leben in einer biblisch anmutenden Zeit, wo viele Ereignisse gewaltig und groß anmuten. Ich musste in den vergangenen Jahren, mit der Wahl von Trump, der Klimakrise und der Pandemie, sehr oft an Bibelgeschichten denken. Wenn man diese altbekannten Parabeln verwendet, hat es den Vorteil: Man muss nicht viel erklären, es versteht jeder.«

Der Albumtitel schließt an diesen Gedanken an. »Threshold« bedeutet »Schwelle«, und an einer solchen befindet sich die Menschheit derzeit Hackedepicciotto zufolge, in einem Übergangszeitalter. »Es ist unseres Erachtens gerade ein Moment in der Zeitgeschichte, in dem drastische Veränderungen anstehen«, sagt Hacke. »Was wir als Musiker tun können, ist, den Menschen den Rücken zu stärken und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht allein sind in ihrem struggle. So können sie möglicherweise positive Veränderungen herbeiführen. Eigentlich ist das Energiearbeit, die wir machen.« Deshalb, so de Picciotto, sei es ihnen auch wichtig gewesen, dass die Songs positiv klingen.

Entstanden ist so ein Album, das sehr tief, sehr philosophisch ist und das einen gelegentlich an den Sound von Post-Folk-/Post-Rock-Bands wie Godspeed You! Black Emperor oder A Silver Mt. Zion erinnert. Dass hier kein Bandkollektiv, sondern ein Duo am Werk ist, hört man aufgrund der vielen übereinander geschichteten Soundspuren und der dichten Instrumentierung nicht. Und auch wenn Hackedepicciotto mit harmonischen Chören und Gesängen (»Evermore«), orchestralen Parts (»Trebbus«) und wunderbar melancholischen Streicherpassagen (»The Watered Garden«) arbeiten und die Musik fast erhaben und überwältigend daherkommt, wirkt das Ganze doch nie zu geschliffen oder glatt. Das ist De Picciotto auch wichtig: »Als ich fünf war, habe ich Geige gelernt und klassische Musik gespielt. Bei der Klassik hat es mich schon immer gestört, dass es häufig zu perfekt klingt. Mein Bestreben ist es immer, das Glatte aufzubrechen und das Echte durchkommen zu lassen. Mich reizt auch der raue, erdige Sound, den man beim Spielen alter Instrumente hört – das Nichtelektrifizierte, das Rohe, das Unproduzierte.«

Für beide ist Hackedepicciotto inzwischen das wichtigste Projekt, weil sie sich darin völlig wiederfinden. Daneben widmen sie sich weiterhin anderen Dingen. De Picciotto hat kürzlich das Soloalbum »The Element of Love« und die Graphic Novel »Die heitere Kunst der Rebellion« veröffentlicht, ihre Zeichnungen und Bilder werden bald in der Gruppenausstellung »Ain’t No Mountain High Enough« in Wien zu sehen sein. Im Februar wollen sie »The Silver Threshold« auf einer Tour vorstellen, wenn die pandemische Lage es denn zulässt; Hacke hofft zudem, im Mai mit den Einstürzenden Neubauten touren zu können. Und dann erscheinen im kommenden Jahr auch noch mehrere Soundtracks mit ihrer Beteiligung – während der Pandemie haben sie an mehreren Filmkompositionen gearbeitet.

»Unsere Kreativität ist alles, was wir haben«, sagt Alexander Hacke einmal im Laufe des Gesprächs. Und, so könnte man hinzufügen, davon haben sie eine ganze Menge.

Hackedepicciotto: The Silver Threshold (Mute/PIAS)