Ein Gespräch mit Rebecca Denz über den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

»Die Pressearbeit vorangetrieben«

Interview Von Till Schmidt

Das bürgerlich-liberale Judentum im Deutschen Reich organisierte sich im 1893 gegründeten Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Die Organisation trat für gesellschaftliche Gleichstellung ein und versuchte, Judentum und Deutschtum miteinander zu vereinbaren. Vor allem in der Pressearbeit des Vereins waren viele Frauen tätig. Rebekka Denz hat sich mit dem Wirken der jüdischen Frauen beschäftigt.

Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens war die mitgliederstärkste jüdische Organisation im Deutschen Reich. Was war die Gründungsidee?

Der Verein wurde 1893 als erste von Juden geschaffene Organisation in Berlin gegründet und schrieb sich den Kampf gegen den Antisemitismus auf die Fahnen. Antijüdische Ressentiments waren im nicht­jüdischen Bürgertum weitverbreitet. Der Centralverein stand zu Beginn für Selbstverteidigung und rechtliche Gleichstellung ein und entwickelte sich im Laufe seines Bestehens von einem Verein zur Abwehr des Anti­semitismus hin zu einem Gesinnungsverein, der Fragen jüdischer Identität auf den Grund ging.

Die Frauenbilder waren so vielfältig wie die Organisation, die die Publikationen herausgab. Dies trifft auf die Frauenseiten der »C.V.-Zeitung« zu sowie auf deren allgemeinen Teil.

Das Ziel war, in die jüdische Gemeinschaft zu wirken, aber zugleich eben auch in die christliche Mehrheitsgesellschaft auszustrahlen. Der Centralverein, kurz C.V., verstand sich als die Mehrheitsvertretung der deutschen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen jüdischen Glaubens, und diese Mehrheit der deutschen ­Jüdinnen und Juden um 1900 war bürgerlich, im Sinne des eigenen Selbstverständnisses und auch der Wahrnehmung durch die nicht­jüdische Mehrheitsbevölkerung. Der soziale und wirtschaftliche Status machte sie zu Bürgerlichen, aber auch der Bildungsstand und der Habitus. Und genau da setzte der Verein thematisch an.

Sie haben insbesondere die Rolle von Frauen innerhalb der Organisation untersucht. Was haben Sie herausgefunden?

Frauen durften erst ab 1908 Mitglied im Verein werden, also 15 Jahre nach dessen Gründung. Zuvor war es ihnen gesetzlich verboten, als eigenständiges Mitglied politischen Organisationen beizutreten. Im Centralverein setzten sich Frauen auf allen Ebenen und in allen Arbeitsbereichen für dessen Ziele ein. Lediglich die Leitungsgremien des Vereins waren männlich dominiert. Verblüffend ist, wie viele Frauen beispielsweise in Führungsfunktionen des Pressewesens der Organisation vertreten waren, vor allem in den dreißiger Jahren. Damals hatte sich die Verlags- und Zeitungsbranche professiona­lisiert und bot Frauen, für die sich in dieser Zeit auch erstmals die Universitäten öffneten, vielfältige berufliche Aufgaben. Deshalb waren es die weiblichen Mitglieder des C.V., die die Professionalisierung der Pressearbeit maßgeblich vorantrieben. Zu nennen sind Margarete Edelheim, die für die C.V.-Zeitung, das Hauptorgan des Vereins, tätig war, aber auch Margarete Goldmann und Eva Reichmann-Jungmann, die für die interreligiöse Zeitschrift Der Morgen arbeitete, die zum Umfeld des Vereins gehörte.

Welche Frauenrollen und -bilder vermittelte die vereinsinterne Presse?

Die Frauenbilder waren so vielfältig wie die Organisation, die die Publikationen herausgab. Dies trifft auf die Frauenseiten der C.V.-Zeitung zu sowie auf deren allgemeinen Teil, gleichgültig, ob die Texte von Frauen oder von Männern geschrieben wurden. Berichtet wurde über Töchter, Ehefrauen, Mütter, Auszubildende, Studentinnen, Berufstätige; Frauen tauchten in ganz unterschiedlichen Rollen und Funktionen auf. Berichtet wurde über liberal-­religiöse Frauen und über jene, die keine Religion praktizierten. Nur ­wenige Texte bewerteten ein spezi­fisches Rollenmodell, andere er­zählten von Frauen in verschiedenen Rollen, ohne zu werten.

1904 gründeten Bertha Pappenheim und Sidonie Werner den ­Jüdischen Frauenbund. In dieser Organisation schlossen sich ­Mitglieder traditioneller jüdischer Frauenvereinigungen und jüdische Frauen, die bereits in der ­allgemeinen Frauenbewegung ­aktiv waren, zusammen.

In ­welchem Verhältnis stand der Jüdische Frauenbund zum Centralverein?

Der Jüdische Frauenbund war Partner und Kontrahent zugleich. Der Centralverein war gemischtgeschlechtlich, hatte also andere Strukturen und vertrat andere Positionen. Der Centralverein sah sich ja als die Mehrheitsvertretung der deutschen Judenheit, unabhängig vom Geschlecht. Der Jüdische Frauenbund hingegen sah sich tendenziell als die Mehrheitsvertretung der jüdischen Frauen im Deutschen Reich. Da waren Spannungen programmiert, zugleich bot sich auch eine Zusammenarbeit an. Dem Zeitgeist entsprechend warf die eine Organisation der anderen mangelnde Neutralität vor. Das bezog sich vor allem auf die Frage der Positionierung zur zionis­tischen Bewegung, der der Centralverein distanziert gegenüberstand. Die in der »C.V.-Frauenarbeit« engagierten Mitglieder unterstellten den Vertreterinnen des Frauenbunds eine prozionistische Haltung. Der Frauenbund verstand sich allerdings als politisch neutral, also weder als pro- noch als antizionistisch.

Auf welchen Quellen basiert Ihre Forschung?

Ich habe vier vom Centralverein herausgegebene Periodika untersucht sowie Schriften, die in seinem Umfeld erschienen sind, zum Beispiel die vom Verein unterstützte Zeitschrift Der Morgen, die als Medium des Austausches mit nichtjüdischen Kreisen wichtig war. Mein Untersuchungszeitraum ist die Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1938. Den Anfangspunkt habe ich also im Jahr der Erlangung des Frauenwahlrechts im Deutschen Reich gesetzt; den Schluss­punkt notgedrungen mit der Zwangsauflösung des C.V. wenige Tage nach der Reichspogromnacht im November 1938. Ein weiterer Quellenschatz, den ich sichten durfte, ist das Archiv des C.V. aus der Berliner Zentrale. Es galt jahrzehntelang als im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde aber 1990 in Moskau wiederentdeckt. Die Originale des ­Archivs liegen bis heute im Moskauer Sonderarchiv. Kopien sind mittlerweile in Archiven in Jerusalem, London und Washington verfügbar.

Die Unterlagen stammen überwiegend aus der Zwischenkriegszeit; ab Ende der zwanziger Jahre wird die Überlieferung dichter. In Briefwechseln etwa wurden Vortragstermine verabredet, Finanzfragen geklärt, Arbeitsaufträge erteilt, Informationen eingeholt und Grundsatzentscheidungen diskutiert. Das Material verdeutlicht, welch wichtige Arbeit der C.V. machte. Ein Beispiel: Die Berliner Zentrale verschickte immer wieder Rundschreiben an die Ortsgruppen und Landesverbände und holte beispielsweise Informationen über ­antisemitische Vorfälle wie Friedhofsschändungen ein.

Rebekka Denz: Bürgerlich, jüdisch, weiblich. Frauen im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1918–1938). Neofelis-Verlag, Berlin 2021, 392 Seiten, 32 Euro