In den USA tobt ein Kulturkampf gegen kritische Lehrinhalte

Republikanischer Bildungsmaulkorb

Zahlreiche republikanisch regierte US-Bundesstaaten haben Gesetze erlassen, um rassismuskritische oder anderweitig aufklärerische Lehrinhalte an Bildungseinrichtungen zu verbieten. Auch konservative Eltern und Organisationen laufen regelmäßig gegen die angebliche Indoktrination Sturm.

Race, Sex, Gender und problematische Aspekte der US-amerikanischen Geschichte – darüber sollen Schulkinder und andere Menschen in Bildungseinrichtungen in zahlreichen US-Bundesstaaten lieber nichts lernen. Im vergangenen Jahr beziehungsweise zum Jahreswechsel sind zwölf Gesetze in Kraft getreten, die solche Lehr- und Lerninhalte in Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Bildungseinrichtungen sowie Behörden untersagen, von Kritikern als »educational gag orders« bezeichnet (in etwa »Bildungsmaulkorb«). Dutzende weitere solcher Gesetze sind in republikanisch dominierten Bundesstaaten in Arbeit oder werden derzeit in den Landesparlamenten diskutiert, wie das US-amerikanische Pen-Zentrum ­bilanziert. Mitte Dezember 2021 zählte es insgesamt 66 »educational gag orders« in 26 US-Bundesstaaten. In 20 dieser Gesetze ­beziehungsweise Entwürfe geht es explizit darum, das Lehren von »Critical Race Theory« zu verbieten.

»Die ›Critical Race Theory‹ will die Bevölkerung spalten und Kinder lehren, Amerika zu hassen«, sagte Ron DeSantis, der republikanische Gouverneur Floridas, bei einer Wahlkampfveranstaltung.

In Texas sollen Schulen Geldmittel gestrichen werden können, wenn sie Rassismus und Sklaverei nicht als »Abweichung von US-amerikanischen Gründungsprinzipien« darstellen – obwohl selbst in der ursprünglichen US-Verfassung von 1787 die Sklaverei in den Südstaaten geduldet wurde. 1807 beschloss der Kongress immerhin ein Einfuhrverbot für Sklaven, aber erst mit dem 13. Verfassungszusatz von 1865 wurden alle Menschen für frei erklärt und erst nach der Ratifizierung des 15. Verfassungszusatzes 1870 erhielten schwarze Männer das Wahlrecht.

Noch weiter geht ein Gesetz, das im Bundesstaat Florida kurz vor dem Beschluss steht: Dort sollen Eltern Lehrkräfte verklagen können, die sie verdächtigen, »Critical Race Theory« zu unterrichten. Die so ins Fadenkreuz der Konservativen gerückte »Critical Race Theory« fasst verschiedene akademische Strömungen zusammen, denen die These gemein ist, dass die US-amerikanische Gesellschaft strukturell von Rassismus geprägt sei. Entstanden ist die Theorie in den siebziger Jahren in den US-amerikanischen Rechtswissenschaften. Heutzutage werden darunter heterogene und teils widersprüchliche Strömungen zusammengefasst. Manche, die sich als Vertreter der »Critical Race Theory« ansehen, versteigen sich gar in essentialistische Vernunftfeindlichkeit oder biologistische Thesen.

Um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit letzteren Tendenzen geht es den Republikanern aber nicht, ihnen dienen die konkreten Lehrinhalte ohnehin nur als Vorwand, um die Polarisierung in der Bevölkerung rund um die Frage, wie in den USA mit Rassismus umgegangen werden sollte, zu verstärken. Der konservative Filmemacher und Publizist Christopher Rufo vom Manhattan Institute gibt zu: »Das Ziel ist, dass die Menschen etwas Verrücktes in der Zeitung lesen und denken: ›Critical Race Theory!‹«, schreibt er auf Twitter. Entsprechend krude charakterisieren Konservative die Strömung. »Das Geld keines Steuerzahlers sollte dafür verwendet werden, unsere Kinder zu lehren, unser Land oder sich gegenseitig zu hassen«, sagte Ron DeSantis, der ­republikanische Gouverneur Floridas, bei einer Wahlkampfveranstaltung am 15. Dezember in Wildwood, auf der er ein floridaweites Verbot von »Critical Race Theory« an Schulen und am Arbeitsplatz forderte.

Dass die akademische Theorie in den wenigsten Schulen auf dem Lehrplan steht, hält den Eifer der Republikaner kaum auf. In dem in Texas seit dem 1. September 2021 gültigen Schulgesetz heißt es, dass Schulen keine Lehrinhalte unterrichten sollen, die »Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe inhärent rassistisch, sexistisch oder homophob seien«. Zudem sollen bei der Behandlung aktueller Themen »beide Seiten« beachtet werden. Konkrete Auswirkungen auf den Lehrplan hat das Gesetz wohl nur wenige, doch der Verband der Lehrkräfte und Erzieher befürchtet, dass Lehrende eingeschüchtert werden sollen. Ein Mitglied der Schulverwaltung im nordtexanischen Carroll wies Lehrkräfte kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes an, auch bei der Behandlung des Holocaust im Geschichtsunterricht »entgegengesetzte« Sichtweisen darzustellen. Die Behörde distanzierte sich, als der Vorgang im Oktober vergangenen Jahres öffentlich wurde.

Der Streit um die »Critical Race Theory« ist allerdings nur die Spitze des Kulturkampfs der US-amerikanischen Rechten. Einige Monate nach der Verabschiedung des texanischen Gesetzes im Juni 2021 sandte Matt Krause, republikanischer Abgeordneter des texanischen Repräsentantenhauses, eine Liste von 850 Büchern, die ihm zufolge »Unbehagen bei Schülerinnen und Schülern« auslösen könnten, an die Schuldistrikte und erfragte, ob diese im Unterricht genutzt würden. Auf der Liste standen nicht nur Geschichtsbücher, die sich mit Rassismus auseinandersetzen, und Jugendromane, die sexuelle Vielfalt abbilden, sondern auch Sexualkundebücher und eine historische Studie zu Bücherverbrennungen. Krause weigerte sich beharrlich, Sinn und Zweck der Umfrage zu erklären, auf die er bis zum 12. November 2021 Antwort erwartet hatte.

Die konservative Basis verstand diese Botschaft indes: Landesweit meldeten Schulen und Bibliotheken eine Flut von Beschwerden entrüsteter Eltern, die verlangten, bestimmte Literatur auszusondern. Ein Schuldistrikt in San Antonio (Texas) entfernte daraufhin über 400 Titel aus seinen Schulbibliotheken. In Gillette im Bundesstaat Wyoming sah sich die lokale Bibliothek einer organisierten Kampagne ausgesetzt, die Aufklärungsbücher zu LGBTQ-Themen aus den Regalen verbannen wollte. Ein Elternpaar erstattete Anzeige gegen die Leiterin der Bibliothek, weil sie »Kinderpornographie« verbreite. Der zuständige Staatsanwalt Mitchell Damsky äußerte, er selbst sei »angewidert« von den Aufklärungsbüchern, nur um reuig anzumerken, dass auch die verfassungsgemäßen Grundrechte berücksichtigt werden müssten. Er beauftragte einen Sonderermittler für den Fall. Im Spotsylvania County im US-Bundesstaat Virginia wollten zwei Mitglieder des Schulausschusses die ausgesonderte Literatur gleich öffentlich verbrennen.

Zum Austragungsort für die Kontroversen über Lehrpläne und Schulbücher werden vermehrt die öffentlichen Sitzungen der lokalen Schulbehörden, die sogenannten school boards. Vielerorts überrennen empörte Eltern und rechte Aktivisten die sonst drögen Gremiensitzungen und protestieren mit Schildern und schrillen Wortbeiträgen gegen die vorgebliche Indoktrination der Schülerinnen und Schüler. Manche Proteste entwickelten sich zu Tumulten.

Angetrieben werden die Proteste von rechten Gruppen und Organisationen wie Moms for Liberty und Parents Defending Education (PDE), die überregional zu den Sitzungen mobilisieren und Rhetoriktrainings anbieten. An der Spitze von PDE steht Nicole Neily, die zuvor für das konservative Independent Women’s Forum und den libertären Think Tank Cato Institute tätig war. Teil des Vorstands von PDE ist auch Elizabeth Schultz, die eine leitende Position im Bildungsministerium in der Regierung Donald Trumps innehatte. Wie die Gruppen ihre Kampagnen finanzieren, ist unklar. Rechte Fernsehsender greifen die Proteste häufig auf. Der Kreis schließt sich, wenn konservative Abgeordnete die emotionalen Reden als Beleg für einen Aufruhr in der Bevölkerung nehmen, um weitere Angriffe auf Bildungsinstitutionen zu legitimieren. So kündigte der texanische Gouverneur Greg Abbott bereits an, landesweit alle Schulbücher auf »pornographische Inhalte« zu prüfen.

Es bleibt nicht nur bei Protest: Die Vorstände der Schulbehörden, die eigenständig über die Lehrpläne entscheiden – allerdings im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen und unter Aufsicht von Landes- und Bundesbehörden – werden in vielen Bundesstaaten von der Wahlbevölkerung gewählt, normalerweise bei einer Wahlbeteiligung von unter zehn Prozent. In Southlake in Texas etwa waren bei den Wahlen im Mai und November vergangenen Jahres eine Reihe rechter Kandidaten erfolgreich. Im Oktober ermahnte der neu gewählte Vorstand einen Lehrer, der mit seiner Klasse über Rassismus diskutiert hatte, und drohte, dass bei Wiederholung die Kündigung folgen werde. Eine ebenfalls von Konservativen dominierte Schulverwaltung im texanischen Williamson County verweigerte einer Schule im Dezember die Auszahlung von Bundesmitteln für medizinische Schutzmasken, solange sie nicht »kon­troverse« Bücher aus der Schulbibliothek entferne.

Die Wahlen zu den School Boards werden mittlerweile von den Republikanern prominent beworben und Moms for Liberty bietet Vorbereitungskurse für Kandidatinnen an.