Ein Interview mit dem Bauhaus.FM-Rundfunkorchester

»Der Funkstern ist die eierlegende Wollmilchsau«

Interview Von Sebastian Franke

Bauhaus FM ist der experimentelle, von Studentinnen und Studenten betriebene Radiosender der Bauhaus-Universität Weimar. Dort geht das Bauhaus-FM-Rundfunk­orchester der Klangforschung nach. Konrad Behr, Laura Anh Thu Dang, Leon Goltermann, Eleftherios Krysalis und Mohammad H. Javaheri gehören zu der Gruppe.

Wie ist das Bauhaus-FM-Rundfunkorchester entstanden?

Konrad Behr: Die Leute, die beim Rundfunkorchester mitwirken, haben sich zumeist über die Arbeit bei Bauhaus FM, dem studentischen Radio, kennengelernt. Ich hatte vorher schon einige Jahre dort mitgewirkt und mir mit anderen Leuten gesagt: Wir bekommen hier Sendezeit – warum machen wir nicht eine Show, in der klangmäßig viel passieren kann? Und so haben wir 2017 diese Gruppe gegründet.

»Nicht nur das Klavier, auch der Klavierhocker fasziniert mich, weil er doch auch Klänge hervorbringt.« Konrad Behr

Obwohl es eine Reihe von festen Mitgliedern gibt, ist sie ziemlich offen. Man muss auch nicht am Bauhaus studieren, um mitzumachen. Ich studiere noch und komme aus dem Bereich der Medienkunst.

Wie sind Sie ein Mitglied des Rundfunkorchesters geworden?

Leon Goltermann: Ich mache seit langem experimentelle Musik. Vor einigen Jahren habe ich mich umgesehen, wo es die Möglichkeit gibt, so etwas zu studieren. Dabei bin ich auf die Bauhaus-Universität in Weimar aufmerksam geworden. Ich habe Konrad Behr angeschrieben und ihn nach seinen Erfahrungen gefragt. Bei der Gelegenheit erzählte er von diesem Orchester.

Eleftherios Krysalis: Schon an der Kunsthochschule in Athen habe ich Radio und chaotische Improvisationen gemacht. 2018 bin ich hierher gekommen, um Radio und elektroakustische Komposition zu studieren. Da habe ich Konrad Behr kennengelernt, der sagte: »Wir haben dieses Rundfunkorchester, du solltest mitmachen!«

Laura Anh Thu Dang: Vorher habe ich Musikwissenschaft und Musikpädagogik studiert, aber dann habe ich ein Praxissemester bei einem Radiosender gemacht. So wurde mein ­Interesse geweckt, deswegen bin ich bei Bauhaus FM eingestiegen. Ich habe dann mit experimentellem Radio und ein wenig elektroakustischer Komposition begonnen. Ich bin interessiert an der Idee, alles als Klangkörper anzusehen; daran, wie Klang neu gedacht werden kann, und daran, wie man zusammen seine eigene Art des Improvisierens finden kann, ohne unbedingt eine professionelle Ausbildung zu haben.

Mohammad H. Javaheri: Ich bin aus dem Iran und studierte dort Informatik und Iranian Music Performance. Danach habe ich Komposition in Ankara und Weimar studiert. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich Teil der Gruppe wurde. Aber das Studio für elektroakustische Musik (SeaM) war für viele von uns ein gemein­samer Treff- und Bezugspunkt, der seinen Beitrag dazu geleistet hat. Ich habe Ende 2018 das erste Mal teilgenommen und bin dabeigeblieben, weil diese Gruppe einzigartig ist. Ich war immer der Ansicht, dass Vielfältigkeit bereichernd ist, und diese Gruppe bringt Leute mit unterschiedlichen Geschmäckern zusammen. Was sie aber eint, ist, dass sie es mögen, einander zuzuhören. Das macht die Arbeit so frei und zugleich gehaltvoll.

Wie laufen Ihre Konzerte ab?

Javaheri: Was wir in unserer Zusammenarbeit machen, sind Live-Inter­aktionen. Wir hören einander zu, reagieren und lassen gemeinsam Tex­turen entstehen. Unsere Instrumentierung verändert sich immer wieder. Daraus ergeben sich stets neue Möglichkeiten für die Klangpalette, die wir entwickeln. Wir gehen gerne interdisziplinär vor und kombinieren verschiedene Medien wie Radio, Musik, Literatur und gelegentlich Video. Vor einem Auftritt gibt es einen Austausch über das Material, mit dem wir arbeiten wollen. Wir geben uns jedoch viele Freiheiten, wie wir es einsetzen. Nach jedem Auftritt diskutieren wir darüber, was funktioniert hat und was nicht, das ist unser Filtersystem für künftige Auftritte. Und ich muss sagen: Im Lauf der vergangenen Jahre haben wir unsere musikalischen Sprachen untereinander immer besser kennengelernt.

Behr: Vor der Pandemie fanden die Konzerte üblicherweise im Studio von Bauhaus FM statt. Der Anspruch des Senders ist es, jeden zu befähigen, die verschiedenen Aufgaben auszuführen. Man versucht, sich abzuwechseln: Jeder soll das Mischpult bedienen können, aber auch selbst Shows moderieren. Das gemeinsame Musizieren war eine Gelegenheit, sich an den Umgang mit der vorhandenen Technik zu gewöhnen. Als Gruppe ist das einfacher als alleine.

Was unterscheidet Ihre Gruppe von einem herkömmlichen Rundfunkorchester?

Behr: Wer ein klassisches Instrument spielt, kann auch bei uns mitmachen. Man sieht bei uns zwar seltener klassische Instrumente, aber wir verwenden sie auch, nur vielleicht eher auf ungewöhnliche Weise. Ich würde sagen, wir kommen eher aus der Klangecke als aus der Musikecke. Alles, was auditiv wahrnehmbar ist, kann für uns Material sein, das scheint mir der Hauptunterschied zu sein. Nicht nur das Klavier, auch der Klavierhocker fasziniert mich, weil er doch auch Klänge hervorbringt.

»Im Gegensatz zu einem klassischen Rundfunk­orchester haben wir keinen Dirigenten.« Laura Anh Thu Dang

Dang: Im Gegensatz zu einem klassischen Rundfunkorchester haben wir keinen Dirigenten. Wenn überhaupt, dann ist das Mischpult, das wir auch als Instrument begreifen, unser Dirigent: Alle Signale kommen dort zusammen und die Person, die das Mischpult bedient, entscheidet, was tatsächlich ausgestrahlt wird. So war es jedenfalls, als wir vor der Pandemie im selben Studio gespielt haben. Derzeit spielen wir in verschiedenen Räumen. Der Raum als solcher ist wichtig, denn auch seine klanglichen Charakteristika werden übertragen und sind dann im Radio zu hören. Es kommen zurzeit verschiedene Räume mit ihrer jeweiligen Akustik zusammen.

Die Pandemie war also auch ein Einschnitt für Sie. Wie wirken sich die derzeitigen Arbeitsbedingungen auf Ihr Zusammenspiel aus?

Krysalis: Seitdem es die Gruppe gibt, spielt das aufmerksame Zuhören eine ganz entscheidende Rolle. Da wir wegen der Pandemie nicht gemeinsam im Studio sind, sondern uns digital zusammenschalten, hören wir sogar noch intensiver aufeinander. Was wir tun, basiert in dieser Situation hauptsächlich darauf, wie wir die Klänge der anderen wahrnehmen. Wir spielen nicht nur in verschiedenen Räumen. Wir haben es zurzeit mit individuell verschiedenen Hörsituationen zu tun, die von der jeweils verwendeten Technik abhängig sind. Das wirkt sich darauf aus, wie wir aufeinander reagieren und was wir einbringen.

Es sind also etliche Unwägbarkeiten im Spiel. Wie funktionieren solche Konzerte im Format einer Radiosendung?

Krysalis: Uns ist es wichtig, über den Rahmen dessen hinauszugehen, was landläufig als Rundfunksendung verstanden wird. Oft gehen wir ins Studio, während wir schon on air sind, und dann beginnen wir erst, alles vorzubereiten und anzuschließen. All die kleinen Geräusche, die für ­gewöhnlich vor einem Auftritt zu hören sind, gehören zum Konzert.

Goltermann: Wenn wir anfangen zu spielen, ist es nicht so kontrolliert. Wir selbst wissen nicht genau, was passieren wird. Auch der Raum wird von uns wie ein Instrument behandelt und die Person, die das Mischpult bedient, ist für uns nicht bloß Technikerin oder Techniker, sondern Mitmusiker oder Mitmusikerin. Auf der anderen Seite sind wir alle irgendwie Techniker, wir alle verwenden elektronische und digitale Instrumente. Eine strenge Trennung nach dem Motto »Da sind die Künstler und hier die Techniker« gibt es für uns nicht. Wir spielen ja mit Medien und versuchen, in unserer Arbeit zu reflektieren, wie die Medien das formen, was wir tun.

Einen Hörer, der ein Konzert eines herkömmlichen Rundfunk­orchesters erwartet, könnte das sehr überraschen.

Behr: Manchmal kommt es zu Verwechslungen, denn es gibt noch ein Bauhaus-Orchester Weimar, bei dem es sich aber um ein klassisches Orchester von Musikstudenten handelt. Es liegt auch eine Spur Ironie in unserem Namen, zugleich steckt ein ernstes Anliegen dahinter: Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es immer weniger Raum für Hörspiele und experimentelles Radio, klassische Rundfunkorchester fallen Kürzungen zum Opfer. Wir ­wollen Aufmerksamkeit für dieses Problem schaffen und verstehen ­unsere Arbeit als eine Initiative gegen diese Tendenz.

Sie haben ein Instrument konzipiert, den »Funkstern plus«. Was kann man sich darunter vorstellen?

Goltermann: Es ist unser Beitrag für das »Archiv der Moderne«, zu dem das Universitätsarchiv und die Sammlung für Architektur, Ingenieurbau, Kunst und Design gehören. Damit werden noch mehr Potentiale des Mediums Radio ausgeschöpft.

Behr: Das Radio wird hier zum In­strument, denn über den »Funk­stern« kann unser ganzes Archivmaterial gehört werden. Zugleich werden die Hörenden durch einen Lichtsensor in die Lage versetzt, selbst mit dem Material zu spielen. Das Instrument ist eigentlich alles auf einmal: Player, Synthesizer, Mixer, Antenne – die eierlegende Wollmilchsau.