Der Rapper OG Keemo veröffentlicht sein Konzeptalbum »Mann beißt Hund«

Auf den Hund gekommen

Auf dem Straßenepos »Mann beißt Hund« kehrt Rapper OG Keemo wieder zurück in die Hochhaussiedlung und wandelt dabei auf den Spuren von MF Doom und Didier Eribon.

Der Hype um den Mannheimer Rapper OG Keemo hat sich seit seinem Debütalbum »Geist« aus dem Jahr 2019 zwischen Geheimtipp und Albumcharts eingependelt. Karim Joel Martin, wie er eigentlich heißt, ­hatte gemeinsam mit seinem Producer Funkvater Frank in Szenekreisen aber bereits vor Erscheinen seines ersten Albums als vielversprechende Ausnahmeerscheinung von sich reden gemacht.

Ihr neuester Wurf ist das autobiographisch geprägte Konzeptalbum »Mann beißt Hund«, das Mitte Januar beim Label Chimperator fast ein Jahr später als angekündigt erschien. War das Konzept von »Geist«, eher lose ­Erzählstränge miteinander zu verknüpfen, wurden auf »Mann beißt Hund« (fast) alle narrativen Elemente zu einem formvollendeten Straßenepos verwoben. Im Pressetext werden sogar Vergleiche mit dem preisgekrönten Banlieue-Filmdrama »La Haine« bemüht. Die Geschichte, die das Album erzählt,beginnt damit, dass Karim mit 17 Jahren in seine Heimatstadt zurückkehrt, wo er auf ­Malik und Yasha trifft, zwei Jungs aus der Siedlung, mit denen er sich anfreundet. Die Einleitung bricht ab, als Malik vorschlägt, einen Honda Civic zu klauen.

Obwohl die samplelastigen Produktionen von Funkvater Frank klar in der Tradition der Beats von Genre-Größen wie Madlib oder DJ Premier stehen, zeigt sich der Sound von »Mann beißt Hund« undogmatisch und harmonisch zugleich.

Die Perspektive, aus der die einzelnen Tracks des Albums erzählt ­werden, wechselt fortan zwischen den drei Hauptfiguren, die in Songs und Skits ihre Sicht auf das Leben und die Probleme in der Siedlung äußern. Die Lyrics sind von Allegorien durchsetzt, die zentrale Trope ist der Hund, Slang-Ausdruck für einen Mensch aus der Siedlung. Malik charakterisiert diesen im »Hund Skit«: »Wir werden geboren, lernen ein zwei Tricks, schnüffeln der ein oder anderen Hündin hinterher, markieren das ein oder andere Revier und sterben dann. (…) Hund sucht sich nicht aus, als Hund geboren zu werden. Wir haben alle eine Rolle abzudecken, die uns zugeteilt wurde.« Die Lyrics sind geprägt von Darstellungen des sprichwörtlichen »Hundelebens«, des Aufwachsens mit Gewalt, Repression (»ständig auf der Hut vor fremden Hundefängern«), Depression und Ausweglosigkeit.

Anders als die Flut von eintönigen Single-Auskopplungen im Zeitalter des Streaming vermuten lässt, haben Konzept- und Erzählalben im Rap durchaus Tradition. Als ihr wichtigster Vertreter galt der im Jahr 2020 viel zu früh verstorbene MF Doom. Im Laufe seiner Karriere erschuf der Ausnahmerapper ein komplexes Universum voll tragikomischer Antihelden, das er mit jedem Release um neue Charaktere und Geschichten erweiterte. Anstatt das vermeintlich authentische Selbst – oder, im Jargon ausgedrückt, die »realness« – des Künstlers zu beschwören, werden multidimensionale Erzählungen kreiert, die sich gegen das binging, das hirnlose Verschlingen, sperren. Anders als im Conscious-Rap werden gesellschaftliche Fragen literarisch verarbeitet, statt einem eh schon ­bekehrten Publikum die bekannte Leier vorzurappen. So verhält es sich auch bei OG Keemo.

Produktionstechnisch steckt in »Mann beißt Hund« viel Liebe zum Detail. Das Ganze wird von Funk­vater Franks Beats genauso zusammengehalten und getragen wie von Keemos Reimketten. Moshpit-Tracks wie »Suplex« oder »Big Boy«, die ­zumeist von stumpfen 808-Drums, dreckigen Subbässen und repetitiven Sample Loops getrieben werden, erzählen von der brutalen Realität in der Siedlung, während düster-karge drumless beats die Introspektive begleiten. Zum Teil wird auch hier mit Symbolen und Chiffren gearbeitet, die ihrerseits zum Verständnis des Albums beitragen. Obwohl die samplelastigen Produktionen von Funkvater Frank klar in der Tradition der Beats von Genre-Größen wie ­Madlib oder DJ Premier stehen, zeigt sich der Sound des Albums undogmatisch und harmonisch zugleich. Frank hat einen stimmigen Weg ­gefunden, altbewährte Formeln mit der knallharten Ästhetik zeitgenös­sischer Produktionen zu verbinden.

Yasha widerspricht, als Malik ihr Schicksal in einem Skit als naturgegeben rechtfertigt: »Ich weiß ja nicht, also es klingt so, als könnte er wegen seiner Rolle tun, was er will. Als genießt der Hund nicht den Luxus, dass der Mann, also der Mensch, ihm jegliche Verantwortung abnimmt, also entscheidet.« Obwohl Yasha die vermeintlich natürliche Ordnung in Frage stellt und ausbrechen möchte, wird er sich im Song »Vögel« von einem »Riesen«, bildlich für die Hochhäuser der Siedlung, stürzen. Die Tiermetapher ist auch deshalb bedeutsam, weil Vögel auf dem Album für das Verlassen der Siedlung stehen (so zu hören im Song »Vertigo«), was thematisch die zweite Hälfte dominiert.

Die Lage scheint ausweglos, das Scheitern notwendig. Nur Karim ­gelingt die Flucht aus den Verhältnissen, er kann sich vor dem »Regen« – eine Metapher für Repression – schützen. Doch auf dem Höhepunkt des Albums wird er beschuldigt, ein Profiteur zu sein: Malik, der noch immer in der Siedlung lebt, klagt Karim auf »Töle« an, dass dieser seine Freunde im Stich gelassen habe und nun an ihren Geschichten verdiene: »Alles, wovon du rapst, bin ich (…) Dir fehlt es an Prinzipien, Karim, ich schwöre, du machst Profit mit der Siedlung, in der ich wirklich leb’«. Obwohl sich Keemo laut »Ende« nicht gerne mit Kendrick Lamar vergleichen lässt, muss er sich die Behauptung gefallen lassen, dass die Idee zu »Töle« von Lamars »U« beeinflusst wurde, mit dem wichtigen Unterschied, dass auf »Töle« nicht das Über-Ich mit dem Ich, sondern der »Hund« mit dem »Mann« abrechnet.

Anders als im Feuilleton gerne behauptet wird, unterscheidet sich »Mann beißt Hund« von Mainstream-Rap nicht dadurch, dass auch die Schattenseiten von Kriminalität thematisiert werden – das ist durchaus kein Alleinstellungsmerkmal des Albums. Vielmehr könnte es, in Anlehnung an Didier Eribons Buch »Rückkehr nach Reims«, als Versuch interpretiert werden, diejenigen Umstände zu ergründen, die notwendigerweise zur Entfremdung des Rappers von seinem Herkunftsmilieu geführt haben. OG Keemo sagte in einem Interview zum Album, der Ausgangspunkt für die Story sei eine zerbrochene Freundschaft gewesen. Keemos eigener Charakter erscheint am Schluss des Albums als Antiheld, dessen sozialer Aufstieg nur auf dem Rücken seiner Freunde und letztlich aus Zufall gelingt. Dass weder ein Ausweg für Malik noch eine Rückkehr für Karim denkbar sind, bekräftigt nicht zuletzt das Video zu »Töle«. Wenn an dessen Schluss die Filmcrew vor dem Hintergrund der trostlosen Betonkulisse gezeigt wird, offenbart sich der künstliche Charakter der Straßenästhetik.

Für den Rapper gibt es schließlich nur die Möglichkeit, das Gefühl dieser »Überlebensschuld« (»Ende«) zu lindern, indem er den Abgehängten in der Siedlung, ihren Erfahrungen und Sichtweisen, Schicksalen und Schmerzen Ausdruck verleiht. Yasha sagt auf »Vögel« kurz vor dem Ende: »Ich brauche keine Klinge, ich brauche eine Stimme«, was OG Keemo im Outro noch einmal aufgreift: »Das hier geht an den Hörer, der nicht verstehen kann, was du und ich gesehen haben.« Und tatsächlich: Man fühlt sich am Ende um eine Sicht bereichert, in der die brutale Realität wie auch die zärtlichen Beziehungen in der »Siedlung« gleichermaßen deutlich werden.

OG Keemo: Mann beißt Hund (Chimperator)