Die Zukunft von Harald Martenstein

»Für einen zweiten Matussek ist Harald zu antriebslos«

Die preisgekrönte Reportage Von Leo Fischer

Harald Martenstein schmeißt seine Kolumne hin.

In der Redaktion vom Tagesspiegel ist man zutiefst unglücklich. »Seit Jahrzehnten schreibt der Harald das Gleiche! Warum uns das ausgerechnet jetzt um die Ohren fliegt?« Harald Martenstein, seit 1954 Verfasser von zwei in endlosen Variationen wiederholten Kolumnentexten – die Linken drehen durch, die Rechten sind gar nicht so schlimm – hatte in einem Text das Tragen von Judensternen auf Demonstrationen der »Querdenker« als »sicher nicht antisemitisch« bezeichnet. Die Redaktion hatte sich daraufhin zur Löschung des Textes entschlossen, woraufhin Martenstein seinen Abschied von der Zeitung verkündetete.

Der Redakteur Walter Ungenannt (Feuilleton) resümiert im Gespräch die vergangenen Jahre: »Das Schema war doch seit Jahren identisch. Irgendwelche Leute regen sich über irgendwas auf, und der Harald schreibt dann auf, warum er das nicht so schlimm findet. Aber halt immer durch die Brille eines Mittelstufenlehrers, der vor Jahren jeden Anspruch an sich selbst aufgegeben hat. Da fühlten sich die Studienräte in der Leserschaft immer ganz bei sich!« Mit einer derart emotionalen Reaktion Martensteins habe man nicht gerechnet: »Oder mit überhaupt irgendeiner Reaktion. Ein paar von uns dachten ja, er sei schon länger tot, und Verwandte würden die Texte von ihm aus alten Kolumnen zusammenmontieren, im Bastelkeller.« Ungenannt hat aber wenig Verständnis für den ehemaligen Kollegen: »Der Harald, der findet doch nie irgendwas schlimm, warum findet er dann jetzt die Löschung so schlimm? Da hätte er doch einfach auch so einen bräsigen Murmeltext drüber schreiben können … «

Beobachter fragen sich, wohin es Martenstein jetzt ziehen könnte. »Für einen zweiten Matussek ist Harald zu antriebslos«, sagt jemand, der ihn kennen könnte, aber nicht kennt. »Und für ein Fleischhauer-Manöver nicht geckenhaft genug.« – »Irgendwo zwischen Focus, Cicero und Tichy’s Einblick werden wir ihn schon einen Platz für ihn finden«, sagt Zeitungsverleger-Oberst Dopfler. »Er ist ja einer der Letzten, die der zunehmenden Unterwanderung des Landes durch Stasikommunisten Einhalt gebietet, einer von der alten Garde. Notfalls telefoniere ich selbst herum, damit er sein Altern in Würde fortsetzen kann.«

 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.