In der Linkspartei sorgen sich manche derzeit vor allem um deutsche Wirtschaftsinteressen

Schutzmacht der Landsleute

Kommentar Von Johannes Simon

Bei der Diskussion über ein Energieembargo gegen Russland stellt sich einmal mehr die Frage: Was ist eigentlich der Zweck einer linken Partei?

Die Linkspartei ist durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch mehr ins Schwimmen geraten als andere Parteien. Sie war zwar nicht, wie die CDU und SPD, dafür verantwortlich, die deutsche Industrie von russischen Energieimporten abhängig zu machen, aber große Teile der Partei haben die russische Großmachtpolitik jahrelang ignoriert, schöngeredet oder sogar verteidigt. Seit Beginn des Kriegs haben sich Hardliner wie Sevim Dağdelen, Sahra Wagenknecht und Klaus Ernst noch mehr darauf versteift. In einer öffent­lichen Erklärung gaben sie den USA »maßgeblich Verantwortung« für den Krieg in der Ukraine. Andere, wie Gregor Gysi und die ­beiden Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, fanden angemessene Worte zum russischen Angriffskrieg. Ihnen war in den vergangenen Wochen der Schock deutlich anzumerken, aber auch, dass sie nicht wissen, wie sie mit der aktuellen Lage umgehen sollen. Am Montag sagte Hennig-Wellsow immer noch, sie sei in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine »unentschieden« – über einen Monat nach Beginn des Kriegs.

Die derzeitige Diskussion über das Energieembargo hätte für die Partei eine Chance darstellen können. Die Haltung der Bundes­regierung und der Industrieverbände ist eindeutig: Ein Embargo könne man sich nicht leisten, der wirtschaftliche Schaden wäre zu groß. Passenderweise stellt die Linkspartei im Bundestag ausgerechnet im Ausschuss für Klimaschutz und Energie mit Klaus Ernst den Vorsitzenden. Ein geeigneter Posten, um wenigstens in dieser Frage der deutschen Staatsräson auf humane, linke Art ­entgegenzutreten.
Klaus Ernst hat sich tatsächlich ausgiebig zu dem Thema geäußert – nur nahm er dabei exakt die Position der Bundesregierung ein. Die Märkische Oderzeitung zitierte ihn noch am Montag mit der Warnung, ein Energieboykott gegen Russland würde der deutschen Industrie schaden und »Hunderttausende Arbeitsplätze« zerstören. Auch halte er es trotz allem für richtig, dass sich Deutschland in der Vergangenheit so abhängig von russischem Gas gemacht hat. Sogar der Bau von Nord Stream 2 sei eine richtige Entscheidung ­gewesen. Er sei für eine »interessengeleitete Rohstoffpolitik«, die sich an den Interessen Europas orientiere. Und diese Haltung bleibe auch nach den Informationen über die Massaker in Butscha richtig, wie Ernst am Montag auf Twitter ausdrücklich bekräftigte.

Es ist keineswegs ausgemacht, dass die einzig richtige linke Position die Forderung nach einem Öl- und Gasembargo ist. Sanktionen treffen vor allem die Zivilbevölkerung und richten großes Leid an. Auch stellt sich die Frage, ob ein solches Embargo den erwünschten Effekt hätte oder eher dazu führen würde, dass sich das russische Regime verhärten und für weitere militärische Eskalation entscheiden würde. Diese Fragen sind nicht einfach vom Tisch zu wischen. Doch Klaus Ernst erwähnt sie nicht einmal. Ihm geht es um Arbeitsplätze und deutsche Interessen.

Sahra Wagenknecht warnte auf ihrem Youtube-Kanal, die Folgen eines Gas- und Ölboykotts wären »vor allem für die deutsche ­Industrie und die Verbraucher katastrophal«. Wagenknechts Sorge um den deutschen Verbraucher erinnert an die Zeit der sogenannten Flüchtlingskrise. Damals trat sie als Anwältin der »einfachen Leute« auf, die unter den angeblich offenen Grenzen am meisten leiden würden. Auch heutzutage kritisiert Wagenknecht weniger die Verhältnisse – die Preiserhöhungen sind ja tatsächlich ein Horror für viele Menschen in Deutschland –, sondern vor allem eine Politik, die angeblich deutsche Interessen verrate. Dahinter steht die moralisch bankrotte Grundhaltung eines Teils der deutschen Linken: Links ist für sie, was den Landsleuten hilft – und diese Interessen der deutschen kleinen Leute müsse man gegen allerlei globalisierten, liberalen Firlefanz verteidigen: gegen die Forderung, »alle aufzunehmen«, genauso wie heute gegen die Infragestellung der »interessengeleiteten Rohstoffpolitik« Deutschlands. Garniert wird das zwar mit ein paar Standardfloskeln gegen den viel bemühten Neoliberalismus, doch läuft es stets auf das ­hinaus, was die Bundesregierung eh schon tut: sich für deutsche Nationalinteressen einzusetzen.