Israel erlebt die schlimmste Anschlagsserie seit der Zweiten Intifada

Tödliches Comeback

Elf Tote innerhalb einer Woche – das ist die Bilanz der blutigsten Anschlagserie in Israel seit der Zweiten Intifada, und eine weitere Eskalation ist zu befürchten.

Die Botschaft des Attentats war klar. Als Ende März zwei Palästinenser in der israelischen Küstenstadt Hadera zwei Grenzpolizisten erschossen und mindestens zehn Menschen verletzten, lautete sie: keine Annäherung an Israel, keine Anerkennung des jüdischen Staates. Am selben Tag begann der Negev-Gipfel, die erste Zusammenkunft der Außenminister der USA, Marokkos, der Vereinigten Arabischen Emirate sowie Bahrains und Israels zu zweitägigen Gesprächen, und das an einem symbolträchtigen Ort. Das Treffen fand in Sde Boker statt, jenem Kibbuz, den sich der Staatsgründer David Ben-Gurion als Wohnsitz ausgewählt hatte.

Doch das politische Kalkül der Attentäter ging nicht auf. Einhellig verurteilten alle anwesenden Außenminister die Morde – das ist in diesem Zusammenhang keine Selbstverständlichkeit. Schließlich liegt es nicht einmal zwei Jahre zurück, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain sowie Marokko im Rahmen der Abraham Accords ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben. Eben diese lange undenkbare Annäherung hat bei den Palästinensern zu Unmut geführt. Sie fühlen sich dadurch ausgebootet. »Wir ›brüderlichen‹ arabischen Staaten haben euch wieder einmal im Stich gelassen«, das sei das einzige Signal des Treffens gewesen, behauptete in der Tageszeitung Haaretz Sami Abou Shehadeh, ein Abgeordneter der Vereinigten Arabischen Liste in der Knesset.

Immer wieder sind es Einzel­personen oder kleine Gruppen, die durch einen medienwirksamen Anschlag motiviert werden, eben­falls einen solchen zu planen und zu begehen, zumeist recht spontan.

Die Bluttat von Hadera, die extremistische palästinensische Gruppen wie der Islamische Jihad »als heldenhafte Antwort auf den Gipfel der Demütigung und Schande im besetzten Negev« feierten, war kein Einzelfall. Bereits eine knappe Woche zuvor hatte ein Beduine in Be’er Sheva vier Menschen vor einem Einkaufszentrum getötet. Am Dienstag vergangener Woche erfolgte der dritte Anschlag. Diesmal traf es die überwiegend von ortho­doxen Juden bewohnte Stadt Bnei Brak nahe Tel Aviv. Ein Palästinenser, der mit seinem Motorrad durch die Straßen raste, erschoss wahllos fünf Passanten, darunter zwei Ukrainer. Zwei Tage später attackierte ein weiterer Palästinenser einen Israeli mit ­einem Schraubenzieher und verletzte ihn schwer.

Die palästinensische Anschlagserie war die blutigste seit dem Ende der Zweiten Intifada vor über 16 Jahren. Zudem ereignete sie sich unmittelbar vor Beginn des Fastenmonats Ramadan, generell eine Zeit, in der es wie zuletzt im Mai vorigen Jahres im besetzten Westjordanland, aber auch in Städten mit einer gemischten jüdisch-arabischen Bevölkerung wie Ramle oder Akko schnell zu Zusammenstößen kommen kann. Entsprechend ist die Stimmung äußerst angespannt. Am Wochenende gab es erste gewalttätige Demonstrationen von Palästinensern vor dem Damaskustor in Jerusalem.

»Der Terror ist nicht neu. Mal war es die Hamas, mal der Islamische Jihad, diesmal ist Daesh beteiligt«, betonte Ministerpräsident Naftali Bennett am Samstag, wobei er das arabische Akronym für den »Islamischen Staat« (IS) verwendete. Denn an den Anschlägen von Be’er Sheva und Hadera waren arabische Israelis mit Verbindungen zum IS beteiligt. »Wir werden aber auch diese schwierige Zeit überstehen.« Wenige Stunden zuvor hatten Ordnungskräfte bereits drei bewaffnete Palästinenser, Mitglieder des Islamischen Jihad auf dem Weg in das israelische Kernland, getötet.

»Das schockierende Comeback des ›Islamischen Staats‹ hat uns daran er­innert, dass diese Gruppe neben der Hamas und dem Islamischen Jihad ­immer noch in der Lage ist, Einzelkämpfer zu Gewalttaten anzustacheln«, ­bewertet Alona Ferber vom Tony Blair Institute for Global Change im New Statesman die neue Situation. »Dabei hatten sich trotz der geographischen Nähe Israels zu Syrien und dem Irak nach Ausrufung des Kalifats 2014 ­relativ wenige Muslime aus Israel und den besetzten Gebieten dem ›Islamischen Staat‹ angeschlossen oder in seinem Namen Anschläge verübt.« Doch zwei der drei Attentäter von Be’er Sheva und Hadera hatten genau das in Vergangenheit versucht, weshalb sie bereits schon einmal verhaftet und ver­urteilt worden waren.

Im Unterschied zu dem Anschlag in Bnei Brak, der auf das Konto des Islamischen Jihad geht, waren die ersten beiden Bluttaten auch nicht das Resultat einer koordinierten Kampagne einer einzelnen Terrororganisation, sondern verweisen auf ein Phänomen, das isra­elische Sicherheitskreise mit der Formel »Angriff erzeugt Angriff« umschreiben. Dieses funktioniert nach dem Schneeballprinzip und war bereits bei der sogenannten Messer-Intifada 2015 und 2016 zu beobachten. Immer wieder sind es Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die durch einen medienwirksamen Anschlag motiviert werden, ebenfalls einen solchen zu planen und zu begehen, zumeist recht spontan.

Zwar sei der IS nur noch ein Schatten seiner selbst, dennoch scheine er immer noch in der Lage zu sein, andere zu Gewalttaten zu inspirieren, meint Damien Ferre. »Israel bleibt im Blick, auch wenn es kein vorrangiges Ziel ist«, so der Gründer der Beratungsfirma Jihad Analytics auf France 24. »Die ­Anschläge sind zudem eine kleine Erfolgsgeschichte für den neuen Kalifen.« Gemeint ist Abu al-Hasan al-Hashimi ­al-Qurashi, der seit dem 10. März Oberhaupt des IS ist.

Yoram Schweitzer vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv schätzt, dass in Israel gerade einmal ein paar Dutzend Personen dem IS ­nahestünden. »Ich würde nicht von einer Organisation sprechen, sondern eher von Zellen«, so der Experte auf France 24. »Es war die Entscheidung einzelner Personen, jetzt zuzuschlagen.«

Anhänger des IS neigen mittlerweile dazu, alleine zu handeln, was es den ­Sicherheitsbehörden schwermacht, sie aufzuspüren. Und sie können eine ­gefährliche Dynamik auslösen. Obwohl Hamas und Islamischer Jihad keinesfalls über die Existenz von Zellen einer konkurrierenden Gruppe, beispielsweise im Gaza-Streifen, begeistert sind, können sie durch spektakuläre Anschläge, verübt von Sympathisanten des IS, unter Zugzwang geraten, es ­ihnen gleichzutun. Das bereitet den Verantwortlichen in Israel derzeit ­große Sorgen.