In Essen wurde vermutlich ein Amoklauf mit rechtsextremem Hintergrund vereitelt

Rechtsextreme Inspiration

Vorige Woche verhaftete die Polizei in Essen einen 16jährigen, der offen­bar aus rechtsextremen Motiven ein Schulattentat geplant hatte.

Eine Armbrust mit Pfeilen, Luftdruck- und Schreckschusswaffen, ein selbstgebautes Gewehr sowie Sprengstoff und 16 teilweise mit Nägeln präparierte Rohrkörper – dieses Waffenarsenal fanden Spezialeinsatzkräfte, als sie am Donnerstag voriger Woche das Kinderzimmer eines 16jährigen in Essen-­Borbeck durchsuchten. Der Jugendliche soll zuvor Todes- und Bombendro­hungen ausgesprochen haben. Nachdem Spezialeinsatzkräfte ihn festgenommen hatten, durchsuchte die Polizei die nahegelegene Realschule am Schloss Borbeck, die er zuvor besucht hatte, sowie seine derzeitige Schule, das Don-Bosco-Gymnasium. An beiden Orten fand sie keine Waffen oder Sprengsätze.

Die Ermittler werfen dem Jugendlichen vor, für Freitag voriger Woche einen rechtsextremistisch motivierten Anschlag auf sein Gymnasium geplant zu haben. Er soll beabsichtigt haben, Lehrer und eine größere Anzahl von Schülern zu töten. Am Montag übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen »wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat«. Der nordrhein- westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte, es gebe Hinweise, dass der 16jährige psychische Probleme habe. »Die gefundenen Aufzeichnungen können als Hilferuf eines jungen Mannes gelesen werden.«

Amoktäter planen ihre Tat häufig Monate und Jahre im Voraus. In dem Zeitraum bewegen sie sich oft in einer gewaltverherrlichenden Online-Subkultur.

Sie können allerdings auch als Hinweis auf eine rechtsextreme Ideologie gewertet werden. Bei der Razzia wurden entsprechende Zeichnungen und ein Manifest gefunden. Dem Spiegel zufolge zitiert der Schüler darin Adolf Hitler und schrieb, er sei »wegen des Untergangs der weißen Rasse« gezwungen, ein Zeichen zu setzen. Er führte den rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik als Vorbild auf. Als sein »Idol« bezeichnet er Brenton Tarrant, der bei seinem Terroranschlag 2019 auf zwei Moscheen in Christchurch 51 Menschen tötete. Er schrieb aber auch, er sei von den Amoktätern an der Columbine High School in den USA 1999 sowie den Schulattentätern von Winnenden 2009 und Erfurt 2002 inspiriert worden. Sein Bezug auf »Helden« der internationalen Amok- und Rechtsterroristenszene legt die Vermutung nahe, dass er sich online in dieser Subkultur bewegte und dort mit Gleich­gesinnten austauschte.

Am Dienstag wurde außerdem in Essen die Wohnung eines 18jährigen durchsucht. Er soll sich mit dem 16jährigen Hauptverdächtigen über Waffen ausgetauscht haben. Der 18jährige wurde festgenommen, nach der Vernehmung jedoch wieder entlassen. In seiner Wohnung wurden der Polizei zufolge mehrere Waffen gefunden.

Soziologen unterscheiden oft in Hinblick auf Täterty­pen zwischen zwei Idealty­pen: einerseits dem Tätertypus »Terrorist«, der sich meist zuerst politisiere und radikalisiere und aufgrund dieser Ideologisierung zur Tat schreite; andererseits dem Tätertypus »Amoktäter«, der nicht mit Kränkungen umgehen könne. Dieser entwickele eine enorme innere Wut, die in Hass auf andere Menschen umschlägt. Meist entschieden Amoktäter zuerst, Gewalt gegen eine Einzelperson, Personengruppen oder eine Menschengruppe auszuüben, und suchten sich erst danach einen ideologischen Überbau oder konstruierten sich diesen, um ihre Tat in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Täter können jedoch durchaus Merkmale beider Typen gleichermaßen ­aufweisen. So war es beispielsweise bei dem Attentäter David Sonboly, der bei seinem Anschlag 2016 am Olympia-Einkaufszentrum in München neun Menschen aus rassistischen Motiven tötete, bevor er sich selbst erschoss. Sonbolys Vorbild war der »klassische« Amoktäter von Winnenden; ähnlich wie dieser hing er einer Herrenmenschen-Vorstellung an, die sich stark aus Elementen des Films »Matrix« speiste.

Durch Internet-User wurde die Polizei kurz nach Sonbolys Anschlag auf seine Accounts in sozialen Medien hingewiesen. Dank dieser Hinweise konnte die Polizei eigenen Angaben zufolge kurz darauf einen Amoklauf durch einen ­Jugendlichen im baden-württembergischen Gerlingen verhindern. Der damals 15jährige erzählte den Ermittlern, der US-amerikanische Neonazi William A. habe den Kontakt zwischen ihm und Sonboly über die Gaming-Plattform Steam vermittelt. 2017 hatte der 21jährige William A. bei einem Schulattentat an der High School in Aztec (New Mexico/USA) zwei Schüler hispanoameri­kanischer Herkunft ermordet.

Weltweit gibt es viele weitere, nicht systematisch erfasste Fälle von verhinderten und ausgeführten Amoktaten, bei denen die Täter Hinweise auf eine rechtsextreme Motivation hinterließen. Vergangenes Jahr zum Beispiel verletzte ein 15jähriger Schüler im schwedischen Eslöv einen Lehrer mit einem Messer lebensgefährlich und streamte die Tat live auf der Plattform Twitch. Als Vorbilder nannte er die rechtsextremen Terroristen von Christchurch und Halle. Ein halbes Jahr später, am 10. Januar, beging ein Schüler in seiner Schule im schwedischen Kristianstad ein ähnliches Attentat mit einem Messer. Die beiden sollen sich aus dem Internet gut gekannt haben.

Amoktäter und Terroristen planen ihre Tat häufig Monate und Jahre im Voraus. In dem Zeitraum bewegen sie sich oft in einer gewaltverherrlichenden Online-Subkultur. Dort werden Fotos und Videos von Gewalttaten gegen Frauen, von Wehrmachtssoldaten und mordenden SS-Männern und von zeitgenössischen rechtsextremen Terroristen verbreitet. Es wird gegen schwule Männer, Juden und Muslime sowie gegen schwarze Menschen gehetzt. Die Grenzen zwischen Frauenverachtung, rassistischer und antisemitischer Hetze und allgemeiner Menschenverachtung sind fließend. Die Amokforscherin Britta Bannenberg wies darauf hin, dass auch Amoktäter oft Hitler verehrten. Sie fänden »es großartig, wenn Massenmörder wie Hitler andere Menschengruppen massiv abstempeln und dann auch noch gehandelt haben«. Im Grunde würden Amoktäter »alle und manche noch ein bisschen mehr« hassen.