Deutsche Linke zeigten wenig Interesse an den Verhältnissen in der Ukraine

Genug von der germanischen Linken

Disko Von Kyrylo Tkachenko

Jahrelang wollten deutsche Linke über die Ukraine oft nur hören, was ihre Positionen und Vorurteile bestätigte – auch die »Jungle World«.

Sieben Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal für die Jungle World geschrieben habe. Da glaubte ich noch daran, die radikale Linke sei im Grunde progressiv, die linksdeutsche Reaktion auf die sogenannte Ukraine-Krise sei nur ein temporärer Irrtum und es lohne sich, die Linke in Deutschland über die Ukraine aufzuklären. Am Ende bin ich aber selbst teilweise zum Opfer der vom Kreml ausgehenden reflexive control geworden, mittels derer der Gegner ­bestimmt, worauf man reagiert – oder womit man sich beschäftigt.

Das meiste, was ich für die Jungle World geschrieben habe, war nämlich der ukrainischen Rechten gewidmet. Egal was ich schrieb, mit welchem nüchternen aufklärerischen Ansatz, ich ­gehörte somit zu denen, die über den »ukrainischen Faschismus« sprachen – und nicht etwa darüber, dass die von Russland vorgenommene gewaltsame Verschiebung der Staatsgrenzen den gefährlichsten Präzedenzfall in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs darstellte oder dass sich in Russland gerade eine wirkliche rechte Diktatur ­etablierte. Das lag aber nicht nur an mir, sondern es entsprach dem, was Linke in Deutschland besonders interessierte.

Nicht die Ukraine ist ein Land, in dem Rechtsextreme im Parlament sitzen, nicht in der Ukraine liegt die Stadt Hanau.

Die Jungle World ist keine Junge Welt, das erkennt man sogar aus der Ukraine. Aber auch hier waren Sätze zu lesen, denen zufolge »die Krim so russisch ist wie Niedersachsen deutsch«. Vor einem Jahr noch ­zitierte sie einen Vorzeigeukrainer in einem Text, in dem die drei besten Experten für die ukrainische extreme Rechte, Andreas Umland, Anton Schechowtsow und Vyacheslav Likhachev, als Verharmloser des Rechtsextremismus in der Ukraine verunglimpft wurden. Der Interviewpartner, Wolodymyr Ischtschenko, ist einer jener ukrainischen Linken, die in ihrer Heimat politisch fast keine Rolle spielen, jedoch von linken Medien weltweit, von Jacobin bis New Left Review, dankbar rezipiert werden, weil sie deren politische Positionen über die Nato und die Ursachen des Konflikts bestätigen. Noch wenige Wochen vor dem russischen Einmarsch konnte man in der Jungle World nachlesen, Russland handle »aus einer strategischen Defensivstellung heraus«. Davon, wie »westliche Staaten den prowestlichen Umsturz 2014 in Kiew unterstützt hatten«, war die Rede in demselben Artikel.

Der schwachen, marginalen ukrainischen Linken hat die Zusammenarbeit mit der deutschen Linken eher geschadet. Der größte Geldgeber auf dem Markt ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das Ergebnis: Kritik an der Partei »Die Linke« und an Sahra Wagenknecht hörte man nicht. Die Geldgeber aus Deutschland erwarteten stattdessen Kritik einer angeblichen Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft, Klagen über den ach so schlimmen ukrainischen Nationalismus und eine in der Ukraine vorherrschende sogenannte Russophobie. Die »Ukraine sei nicht wichtig, sagten prominente linke Politiker, Russland dagegen brauchen wir sowohl ›für den Weltfrieden‹ als Gegenpol zu den USA als auch für die Sicherung des deutschen Wohlstandes und der Arbeitsplätze« – so beschrieb der Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kiew, Ivo Georgiev, die strukturelle Ignoranz der Partei in einer vom Online-Parteimagazin Links bewegt veröffentlichten bitteren Kritik. Erschienen ist diese nach dem russischen Einmarsch.

Was mich persönlich betrifft, so bin ich längst nicht mehr bereit, die linken Herrschaften mit irgendwelchen Aufklärungsarbeiten zu bedienen. Ich glaube nämlich nicht, dass die radikale Linke zu retten oder dass sie einer Rettung überhaupt würdig ist. Der Bundestagsabgeordnete und Putin-Versteher Sören Pellmann soll jetzt, zumindest schlug das Sahra Wagenknecht vor, die Partei »Die Linke« mit anführen? Umso besser! Die Partei darf sich so schnell zerlegen wie nur möglich. Gerne könnt ihr mich überraschen und zeigen, dass ich falsch liege. Aber um eure Rettung müsst ihr euch selbst kümmern. Beinhaltet die radikale Linke etwas mehr als ein antiliberales Ressentiment? Kommt etwas wirtschaftlich und politisch Besseres, wenn ihr Marktwirtschaft und repräsentative Demokratie abschafft? Tja, die Revolution scheint zwar nicht vor der Tür zu stehen, aber zumindest könntet ihr versuchen, einen Plan vorzustellen, wie eure »direkte Demokratie«, »richtiger Kommunismus« oder was auch immer, konkret funktionieren soll.

Und die Rechte? Wenn ich von Linksdeutschen nach Asow gefragt werde, dann habe ich nur eines zu sagen: Der Dreck unter einem einzigen Fingernägel des allerletzten Asow-Kämpfers ist mehr wert als die germanische Linke in ihrer Gesamtheit. Nicht die Ukraine ist ein Land, in dem Rechtsextreme im Parlament sitzen, nicht in der Ukraine liegt die Stadt Hanau, nicht dort versuchte ein bewaffneter Faschist, in eine Synagoge einzudringen. Der NSU bestand nicht aus Ukrainern.

Die Ukraine ist dagegen ein für die gesamteuropäischen Verhältnisse eher untypisches Land, in dem Menschen »mit jüdischen Wurzeln«, wie man auf Deutsch so sagt, Präsident, Ministerpräsident und Verteidigungsminister werden konnten. Und das sind nur ein paar bekannte Beispiele aus der Politik – würden sich die Ukrainer für solche »Wurzeln« tatsächlich interessieren, hätte ich auf Anhieb bestimmt noch mehr nennen können.

Nicht, dass die ukrainische Rechte oder der Umgang mit der Vergangenheit in der Ukraine ganz unproblematisch wäre. Darüber schreibe ich sogar. Aber nicht speziell für deutsche Linke. Mit den deutschen Linken will ich nur über die deutschen Linken reden. Wa­rum lasst ihr es zu, dass linke Politi­ker seit acht Jahren in eurem Namen Apologetik von Faschisten betreiben oder sie sogar unterstützen?« Wieso arbeitet ihr immer wieder mit Organisationen wie »Die Linke« oder der Roten Hilfe zusammen, die 2014 statt mit ukrainischen Linken mit der poststalinistischen Querfrontorganisation Borotba kooperierte, die zur Unterstützung der bewaffneten Separatisten im Donbass aufrief? Wie ist es möglich, dass ihr euch für »progressiv« haltet, aber einen an Rassismus grenzenden Chauvinismus an den Tag legt, sobald es um Osteuropa geht?

Meine linke Vergangenheit ereignete sich in München, der Stadt, in der linker Antisemitismus seine deutschlandweit blutigste Spur hinterlassen hat. Damals wusste ich aber nicht viel davon und war dumm genug, um mit der Roten Hilfe zusammenzuarbeiten und an den jährlichen Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz teilzunehmen. Die Demonstration zog jedes Jahr durch die Reichenbachstraße, manchmal genau an dem Tag, an dem im Februar 1970 möglicherweise ein deutscher linker Terrorist sieben Überlebende des Holocaust in den Flammen sterben ließ. Der Anschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kulturgemeinde ist bis heute unaufgeklärt, die Täter leben also womöglich noch. Sicher leben aber noch die Menschen, die dafür verantwortlich sind, dass sie nie zur Verantwortung ­gezogen wurden.

Im Februar 1970 gab es auch den Anschlag auf ein Flugzeug, das von Zürich nach Tel Aviv flog, 47 Todesopfer. Das Flugzeug stürzte über der Schweiz ab, die Bombe wurde aber in München installiert. Verantwortlich dafür sind zwar palästinensische Terroristen, die Logistik für das Terrorkommando haben jedoch wahrscheinlich Deutsche organisiert. Dasselbe gilt für das Olympia-Attentat zwei Jahre später. Einige der Hilfswilligen von antisemitischen Mördern leben vermutlich noch. Vielleicht ziehen sie jedes Jahr mit euch durch die Reichenbachstraße – in der Gestalt von betagten Friedens­hippies.

Worauf ich hinauswill: Kümmert euch erst um euren eigenen Kram, bevor ihr den Zeigefinger erhebt, um aus eurem Munde die Sprüche hören zu lassen, die mit »aber die Ukraine« anfangen.