Léonie Bischoff porträtiert die Schriftstellerin Anaïs Nin in einer Graphic Novel

Fiktion und Begehren

Platte Buch Von Heike Karen Runge

<p>Blasser Teint, dunkel geschminkte Lippen, ultradünne mondsichelförmige Augenbrauen – der ikonische Look der US-amerikanischen Schriftstellerin Anaïs Nin hat Künstler und Künstlerinnen inspiriert.</p>

Blasser Teint, dunkel geschminkte Lippen, ultradünne mondsichelförmige Augenbrauen – der ikonische Look der US-amerikanischen Schriftstellerin Anaïs Nin hat Künstler und Künstlerinnen inspiriert. Léonie Bischoff porträtiert die 1903 nahe Paris geborene, 1977 in Los Angeles gestorbene Autorin und Geliebte Henry und June Millers jetzt in der Graphic Novel »Anaïs Nin. Im Meer der Lügen«. Stilistisch ist ihre Nin ein Mischung aus Zwanziger-Jahre-Filmdiva, Manga-Girl und Jugendstil-Nymphe. Die Erzählung setzt im Paris Mitte der dreißiger Jahre ein und konzentriert sich auf die Zeit, in der Nin den bekanntesten Teil ihres berühmten Tagebuchs verfasste. Mit den Worten »Da ist sie« begrüßt ihr Gatte, der Bankier Hugh Parker Guiler, sie auf einem Bankett. Vor ein paar Jahren hat sie D. H. Lawrences Roman »Women in Love« ge­lesen, eine lebensverändernde Lektüre, die sowohl schriftstellerische Ambitionen als auch ­erotische Wünsche weckt. Hugh ist es auch, der Anaïs mit Henry Miller bekannt macht und sofort ahnt, wohin die Anziehung zwischen beiden führen wird.

Man kann der Bilderzählung zwar folgen, auch ohne mit der bewegten Lebensgeschichte der als Tochter von Musikern auf zwei Kontinenten und in drei Sprachen aufgewachsenen Schriftstellerin vertraut zu sein, erhält aber nur ein verschwommenes Bild. Der Comic vereinfacht und konzentriert sich auf die wichtigsten ­intellektuellen und sexuellen Begegnungen, die Nin in ihrer Zeit in Paris hatte. Die lesbische Beziehung zu Millers Ehefrau June fängt er in überirdisch schönen Bildern ein. Das Ta­gebuchschreiben ist für Nin Traumatheraphie, Sexbeichte und Selbstcoaching; Realität, Phantasie, Lüge und Psychoanalyse verschwimmen darin zusehends. Auch der Comic pendelt zwischen diesen Ebenen. Aber spätestens wenn es um das inzestuöse Begehren des eigenen Vaters geht, wäre ein Geleitwort hilfreich, das die literarische Fiktion einzuordnen hilft.

Léonie Bischoff: Anaïs Nin. ­Im Meer der Lügen. Splitter-Verlag, Bielefeld 2022, 192 Seiten, 29,80 Euro