https://jungle.world/artikel/2022/24/gigs-fuer-die-geisterstadt
Hinter digitalen Dienstleistungen und vermeintlich künstlicher Intelligenz verbirgt sich enorm viel menschliche Arbeit. Die sogenannten Geisterarbeitenden erledigen Aufgaben, von denen man glaubt, dies täten Maschinen.
Ein Gespenst geht um in den Städten – es ist der Geist der Pandemie. Wie der Kulturwissenschaftler Felix Stalder in einem Tweet am 13. Januar feststellte, hat die Covid-19-Pandemie nicht nur die gesellschaftliche Ungleichheit, sondern auch das Geisterhafte verstärkt: in Form von ghost stores, wie Sortimentslager für Lieferdienste wie Gorillas bezeichnet werden, ghost workers oder dem (digitalen) »ghosten«, dem plötzlichen und unbegründeten Kontaktabbruch mit einer Person. Zur Pandemie tritt die Digitalität: Ungreifbar und doch allgegenwärtig spukt sie durch die Routinen unseres Alltags, global eine riesige intransparente Masse an Geisterarbeit nach sich ziehend.
Auch wenn viel über die Automatisierung von Arbeit gesprochen wird: Hinter künstlicher Intelligenz und digitalen Dienstleistungen steht weiterhin menschliche Arbeit. Dass Technologie wie magisch die alltäglichen Einkäufe, Buchungen oder sozialen Vernetzungen ermöglicht, ist eine von der IT-Branche verbreitete Illusion. Tatsächlich werden die Aufträge an einem globalen Fließband von Mikroarbeitenden erledigt,
»Man findet sie online, bezahlt ihnen wenig Geld und wird sie wieder los, wenn man sie nicht mehr braucht.« Lukas Biewald, IT-Unternehmer
Geisterarbeitende verrichten ihre Tätigkeit aufgrund ihrer Unsichtbarkeit unter besonders prekären Bedingungen. Sogenannte Klickarbeitende beispielsweise lösen für Technologieunternehmen wie Amazon Mechanical Turk Kleinstaufgaben, genannt Gigs, die per Klick für Arbeitende auf der ganzen Welt zur Verfügung stehen – man muss sich lediglich einloggen. Mit den erzeugten Datenmengen füttern Unternehmen ihre Algorithmen und ergänzen sie so um menschliches Einschätzungsvermögen. Eine Aufgabe kann beispielsweise darin bestehen, in Aufnahmen aus dem Straßenverkehr Fußgänger zu markieren; ein Algorithmus für selbstfahrende Autos kann so lernen, sie zu erkennen und nicht zu überfahren.
Klickarbeitende befinden sich in einem anonymen Dienstleistungsverhältnis ohne menschlichen Kontakt. Sie entscheiden selbst, wie viele Aufgaben sie lösen und wie viel ihrer Zeit sie der monotonen Arbeit widmen. Dieses ortsunabhängige, als flexibel angepriesene Online-Arbeiten hat seinen Preis: Geisterarbeit wird pro Gig bezahlt, unabhängig davon, wie lange die jeweilige Aufgabe dauert. In der Regel verdient man damit weniger als den gesetzlichen Mindeststundenlohn. Klickarbeitende stehen in keinem offiziellen Arbeitsverhältnis mit irgendeiner Instanz. »Man findet sie online, bezahlt ihnen wenig Geld und wird sie wieder los, wenn man sie nicht mehr braucht«, pries Lukas Biewald, der Gründer des KI-Unternehmens Figure Eight, dieses Ausbeutungsverhältnis 2010.
Auch content managers zählen als Geisterarbeitende. Sie arbeiten von Großraumbüros in Irland, Portugal, den USA oder den Philippinen aus, was als internationaler Lebensstil angepriesen wird. Die Bezahlung liegt auch hier oft unter dem jeweiligen nationalen Mindestlohn und Angestellte müssen weitreichende Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben. Insbesondere Anbieter von sozialen Medien sind auf diese Arbeit angewiesen, um ihre Online-Dienste entsprechend der gesetzlichen Richtlinien der Länder anbieten zu können. Content managers filtern Inhalte. Unternehmen wie Facebook delegieren diese Arbeit größtenteils an Subunternehmer wie Accenture, ein Großdienstleister mit Sitz in Dublin.
Wiewohl schlecht bezahlt, wird die Tätigkeit doch als sozial verantwortungsvoll vermarktet. Minderjährige würden vor bestimmten Inhalten geschützt, wenn content managers diese sichteten und löschten. Mit der Tätigkeit gehen enorme psychische Gesundheitsrisiken einher, über die die Unternehmen selten ausreichend aufklären. Die Konfrontation mit gewaltvollen und verstörenden Inhalten ist belastend, die Arbeitsverhältnisse sind meist so getaktet, überwacht und prekär, dass kaum Raum für Ausgleich und Erholung bleibt. Posttraumatische Belastungsstörungen, die das ganze weitere Leben beeinflussen, können Folge dieser Arbeit sein.
Daneben ließen sich auch die Beschäftigungsformen von online buchbaren Pflege- und Haushaltsarbeiterinnen als im physischen Raum stattfindende Geisterarbeit beschreiben. Die Covid-19-Pandemie hat vor Augen geführt, wie instabil die Infrastruktur der Sorgearbeit ist und wie ungleich diese verteilt wird. Viele Menschen greifen daher auf Apps zurück, die mit wenigen Klicks Dienstleistungen aus zentralen Bereichen der sozialen Reproduktion anbieten. Auf Plattformen wie Helpling oder Mamiexpress können Reinigungs-, Kinderbetreuungs- und Pflegearbeiten gebucht werden.
Technologieunternehmen bieten so für diejenigen, die es sich leisten können, Lösungen in der Krise an. Die Plattformen agieren dabei nicht als Arbeitgeber, sondern lediglich als Buchungsportale, die teilweise hohe Vermittlungsprovisionen nehmen. Die Auslagerung der Reproduktionsarbeit auf Arbeiterinnen, die größtenteils aus Ländern stammen, in denen niedrige Einkommen die Regel sind, ist oft Voraussetzung dafür, dass Mütter in Deutschland in Vollzeit arbeiten können. Reproduktionsarbeit wird so gleich doppelt unsichtbar gemacht.
Es entsteht eine Infrastruktur unersetzlicher, aber unsichtbarer Geisterarbeit. Die Lockung mit (vermeintlicher) Flexibilität, Autonomie und höherer Verdienstmöglichkeiten soll über prekäre Anstellungsverhältnisse, Berufsrisiken und Beschäftigungsunsicherheit hinwegtäuschen. Mehr noch: Unannehmlichkeiten sollen ganz allgemein aus unserer Wahrnehmung verschwinden.
Technologieunternehmen haben die Hoheit über die von ihnen generierten Daten und Algorithmen, die wiederum das analoge städtische Leben Stadt beeinflussen. Die Unternehmen sind in der Lage, Bedürfnisse gewinnorientiert zu navigieren, bestehende Ungleichheit bei der städtischen Teilhabe zu (re-)produzieren und die Stadt zu »ghosten«, indem sie digitale Dienste anbieten, die es fast unnötig machen, das Haus zu verlassen.