In Griechenland befindet sich der inhaftierte Anarchist Giánnis Michailídis im Hungerstreik

Hungerstreik seit über 50 Tagen

Der inhaftierte griechische Anarchist Giánnis Michailídis befindet sich in akuter Lebensgefahr. Sein Antrag auf Haftentlassung wurde abgelehnt.

Es wird eng. Seit dem 23. Mai befindet sich der Anarchist Giánnis Michailídis im Hungerstreik, um seine Freiheit zu erkämpfen. Inzwischen befindet er sich nach mehr als 50 Tagen ohne Nahrungsaufnahme in akuter Lebensgefahr. Michailídis, der seit 2013 inhaftiert ist, erfüllt bereits seit Dezember 2021 alle Voraussetzungen, um gemäß dem griechischen Strafgesetz unter Auflagen aus der Haft entlassen zu werden. Er hat drei Fünftel seiner Strafe wegen eines Banküberfalls und anderer Vorwürfe abgesessen, es sind keine Strafverfahren gegen ihn anhängig und auch Disziplinarstrafen im Gefängnis wurden nicht gegen ihn verhängt. Obwohl dieses in der Vergangenheit erkämpfte Recht ausnahmslos allen Gefangenen zusteht, wird ihm die Freilassung unter Auflagen verweigert. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft verwarf das zuständige Gericht in Ámfissa die Haftentlassung, da »nicht ausgeschlossen werden kann, das G. Michailídis erneut straffällig werden könnte«.

Der Beschluss reiht sich ein in eine Serie ähnlicher Entscheidungen seit 2019, als die reaktionär-neoliberale Néa Dimokratía unter Ministerpräsident Kyriákos Mitsotákis die Regierungs­geschäfte übernahm. Der Justizapparat spielt eine wichtige Rolle, denn die ­Regierung arbeitet daran, das Demons­trationsrecht einzuschränken, das Streikrecht zu beschneiden und nicht nur das Hochschulasyl abzuschaffen, sondern auch eine Universitätspolizeitruppe auf dem Campus zu statio­nieren. Um das auch durchsetzen zu können, wurden Tausende Polizei­beamte neu eingestellt.

Dass die Justiz »weder blind noch unabhängig, sondern eine Klassenjustiz ist«, wie Unterstützerinnen und Genossen von Michailídis betonen, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich. Bei vielen repressiven Gerichtsentscheidungen ging es darum, die Rechte Inhaftierter zu beschneiden, ihnen zum Beispiel Hafturlaub, der ihnen zusteht, oder, wie im Fall Michailídis, eine Entlassung auf Bewährung zu verweigern.

Während Michailídis’ Hungerstreiks sorgten Haftentlassungen von Mördern und Totschlägern für Empörung nicht nur in linken und anarchistischen Kreisen. So entschied dasselbe Amtsgericht in Ámfissa, das Michailídis die Haftentlassung verweigert, am 5. Juli, den zu lebenslänglicher Haft verurteilten ­Polizisten Epaminóndas Korkonéas freizulassen, der 2008 im Dienst den 15jährigen Aléxandros Grigorópoulos erschossen hatte. Nach dem Mord ­hatten wochenlange soziale Unruhen das Land erschüttert (Jungle World 51/2008). Korkonéas saß insgesamt zehn Jahre im Gefängnis.

Nur wenige Tage zuvor war dem Antrag von Athanásios Chortariás auf Haftverschonung bis zum Berufungsprozess stattgegeben worden. Er ist ­einer der beiden Täter, die 2018 den LGBT-Aktivisten Zak Kostópoulos umgebracht haben (Jungle World 40/2018) und deshalb wegen Totschlags zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt wurden. Chortariás, ein Immobilienmakler und Pressesprecher der rechtsextremen ­Patriotischen Front in Athen, saß nach der erstinstanzlichen Verurteilung ganze zwei Monate in Haft.

Gegen Michailídis wurde 2011 Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in der ­Synomosía Pyrínon tis Fotiás (Verschwörung der Feuerzellen) erlassen. Er war zwar mit Mitgliedern der »Feuerzellen« politisch verbunden und persönlich befreundet, bestritt aber von Anfang an jede Beteiligung an der Organisa­tion und tauchte unter, um nicht verhaftet zu werden. Nach zwei Jahren auf der Flucht wurde er nach einem gescheiterten Banküberfall zusammen mit drei Genossen gefasst. Sie wurden misshandelt und Bilder ihrer blutigen und blau angeschwollenen Gesichter tags darauf in der Presse veröffentlicht.

Im Prozess wurde der Vorwurf der Mitgliedschaft in den »Feuerzellen« fallengelassen, stattdessen wurde Michailídis für den gescheiterten Banküberfall, versuchten Totschlag und »individuellen Terrorismus« zu elf Jahren Haft verurteilt. Er sagte dazu: ­»Außerdem wurde ich wegen versuchten Totschlags an einem Polizeibeamten verurteilt, obwohl ich unbewaffnet war. Laut Anklage hatte ich versucht, ihn mit Hilfe des Polizeiautos zu ermorden, das ich mir geschnappt hatte, um der Verhaftung zu entgehen. (…) Der Fall und die hohen Strafen sind bis heute die einzige Anwendung des Gesetzes über ›individuellen Terrorismus‹ in der griechischen Gerichtschronik.«

2019 wurden Michailídis der Ausgang, um seinem Studium nachzugehen, und der reguläre Hafturlaub ohne Grund gestrichen. Daraufhin flüchtete er aus dem Gefängnis, wurde jedoch kurz darauf erneut verhaftet.

Nach dem ersten ablehnenden Bescheid im Februar 2022 erfolgte im Mai die zweite Ablehnung seines Antrags auf Haftentlassung, ohne dass die zuständigen Richter eine zeitliche Höchstgrenze bis zur Freilassung bestimmt hätten. Dazu greifen sie auf den argumentativen Trick zurück, dass der Gefangene zwar die formalen, nicht jedoch »die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftentlassung erfüllt«. Was ihnen fehlt, ist eine Reuebekundung des Gefangenen, um ihm, seinen Genossinnen und Genossen in Freiheit und der griechischen Gesellschaft als Ganzem zu zeigen, dass es dem Staat gelingt, auch seine entschiedensten Gegner zu brechen.

Der Solidaritätskampagne zur Durchsetzung der Freilassung von Michailídis scheiterte zu Beginn des Hunger­streiks daran, größere Aufmerksamkeit in der griechischen Öffentlichkeit zu erlangen. Erst durch aufsehenerregende Aktionen wie die Besetzung von Radiosendern und Anschläge auf Banken und staatliche Gebäude gelang es, das Schweigekartell der Fernsehsender zu durchbrechen. Kleine Solidaritätsaktionen fanden vor griechischen Botschaften und Konsulaten in Berlin, London, Rom, Paris und Frankfurt am Main statt.