Rätselraten über die Textnachrichten des Secret Service in den Tagen des Sturms auf das US-Kapitol

Die verschwundenen Textnachrichten

Der US-amerikanische Secret Service liefert unterschiedliche Erklärungen, warum Textnachrichten seiner Mitarbeiter rund um den Tag des Sturms auf das Kapitol gelöscht worden seien.

Sorry, alles weg, wirklich, echt wahr. So lässt sich das zusammenfassen, was der US-amerikanische Secret Service vorige Woche über die Textnachrichten zu sagen wusste, die Mitarbeiter des Diensts einander am 5. und am 6. Januar 2021 geschickt hatten. Und die Behörde lieferte aparterweise dazu auch noch gleich mehrere ganz unterschiedliche Erklärungen dafür, warum die Textnachrichten rund aus den Tagen des Sturms auf das Kapitol in Washington, D.C., unbedingt hätten gelöscht werden müssen – jede einzelne dieser Begründungen führte bei in sozialen Medien aktiven IT- und Sicherheitsexperten zu ausgedehnten Heiterkeitsausbrüchen.

Zunächst hatte der Secret Service unter anderem auf Twitter behauptet, die Nachrichten seien bei einem Software-Upgrade verlorengegangen. Etwas ­später hieß es dann, ein turnusmäßiger Gerätewechsel sei Schuld.

Bekannt geworden war der Skandal durch einen Anfang vergangener Woche öffentlich gewordenen Brief von Joseph Cuffari, dem Generalinspekteur des U.S. Department of Homeland Security (Ministerium für innere Sicherheit), dem der Secret Service unterstellt ist. Cuffari betonte in seinem Schreiben an das Komitee zur Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol durch Anhänger und Anhängerinnen von Donald Trump, dass die Textnachrichten erst gelöscht worden seien, nachdem seine Behörde deren Herausgabe verlangt habe. Der Secret Service, so geht aus dem Brief recht deutlich hervor, hatte zunächst die Übergabe der Daten mit der Begründung, dass sie zuallererst von Anwälten des Diensts geprüft und freigegeben werden müssten, um einige Wochen verzögert. Und dann waren sie auf einmal verschwunden.

Am Freitagabend voriger Woche hatte das Komitee allerdings genug von der Farce. Nach einem Treffen mit Cuffari wurde der Secret Service offiziell dazu aufgefordert, die Textnachrichten vorzulegen und zu einer Anhörung zu ­erscheinen. Denn nach Cuffaris Brief hatte ein Sprecher des Secret Service plötzlich erklärt, die Daten seien mitnichten gelöscht worden, sondern fast vollständig vorhanden. Die Reaktion des Untersuchungsausschusses kam prompt. »Wir sagten: Prima, wenn ihr sie habt, dann brauchen wir sie«, so Zoe Lofgren, kalifornische Abgeordnete der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus, im Fernsehsender ABC.

Dass dem Secret Service nur wenige Tage Zeit gelassen wurden, dem Komitee die nun doch nicht gelöschten Nachrichten vorzulegen, sei ein Zeichen, wie ernst es den Aufklärern sei, schrieb unter anderem die Online-­Zeitung The Hill. Bei der Anhörung Anfang Juli hatte schließlich Cassidy ­Hutchinson, ehemalige Assistentin des letzten Stabschefs von Präsident ­Donald Trump, Mark Meadows, einige spektakuläre Aussagen gemacht. Von Leuten des Secret Service habe sie nach dem 6. Januar erfahren, dass Trump ­ihnen Anweisung gegeben habe, Waffen tragende Anhänger zu seiner Veranstaltung in der Nähe des Weißen Hauses zuzulassen sowie auf das Erkennen von Waffen spezialisierte Geräte zur Besucherüberprüfung abzubauen. Zudem habe Trump, der in seiner Rede die Anwesenden aufgefordert hatte, zum Kapitol zu gehen, wo er sie dann treffen werde, sich nicht damit abfinden wollen, vom Secret Service zurück ins Weiße Haus gebracht zu werden. Er sei wütend geworden und habe sogar versucht, während der Fahrt einem Agenten ins Lenkrad zu greifen – diese Darstellung ist umstritten, wurde allerdings von einem Streifenpolizisten beobachtet, wie sich etwas später herausstellte.

Zu erfahren, ob Trump wirklich ­dafür gesorgt hatte, dass seine Anhänger und Anhängerinnen bewaffnet sein konnten, wäre für die Aufklärung der Vorfälle am 6. Januar von immenser Wichtigkeit. Nicht erst seit das Komitee seine Arbeit aufgenommen hat, besteht schließlich der Verdacht, dass der damalige Präsident und einige ­seiner Berater mit Hilfe eines von ihnen gesteuerten Mobs versucht haben könnten, die öffentliche Anerkennung des Wahlsiegs Joe Bidens zu sabotieren.

Es blieb die Frage, ob Anhänger Trumps eine Niederlage ihres Idols einfach hinnehmen würden. In der vorigen Woche veröffentlichte das linksliberale Magazin Mother Jones einen dazu passenden geleakten Audiomitschnitt. Zu hören ist der ehemalige Berater Trumps, Stephen Bannon, der am Abend des 31. Oktober 2020, also nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, einer Gruppe von Vertrauten sagte: »Das ist unsere Strategie. Er wird sich selbst zum Sieger erklären.« Das heiße aber nicht, dass Trump dann auch tatsächlich gewonnen habe, betonte Bannon und lachte: »Er wird nur sagen, dass er der Sieger ist.« Und damit seine Anhänger aufstacheln, so das Kalkül.

Aber werden die Daten des Secret Service wirklich den klaren Beweis für finstere Machenschaften Trumps liefern? Der Dienst selber wiegelte bereits am Wochenende ab. Sprecher Anthony Guglielmi sagte, es gebe keine brisanten Nachrichten, die man vor dem Aufklärungskomitee zu verstecken versucht habe. Im Gegenteil, der Secret Service habe bereits »fast 800 000 Dokumente, Mails, Funkverkehrsdaten, Planungsunterlagen, Chat-Nachrichten übergeben«.

Anschließend konterkarierte Guglielmi seine zunächst faktenorientiert ­wirkende Darstellung der Dinge allerdings mit einem Wortschwall: Die Agenten und Agentinnen kommunizierten im Übrigen gar nicht über ­Textnachrichten miteinander, »insofern geht es hier auch nur um ganz ­wenige SMS«. Es gebe daher auch »keinen Grund zu sagen, dass Nachrichten verlorengegangen sind, ich meine, woher will man wissen, dass diese Leute miteinander Nachrichten ausgetauscht haben?«