Die Kapitol-Anhörungen in den USA

SMS für den Aufruhr

Bei der vorerst letzten Anhörung zum Angriff auf das US-Kapitol sagten zum Schutz von Vizepräsident Mike Pence eingesetzte Agenten aus, sie hätten um ihr Leben gefürchtet. Interessant wären für weitere Anhö­­run­gen insbesondere Aussagen der ultrarechten Trump-Anhängerin Virginia »Ginni« Thomas.

»Staffelfinale des Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung der Geschehnisse am 6. Januar – unbedingt einschalten«, so lautete die Schlagzeile der belgischen Tageszeitung De Standaard vor der am Donnerstag vergangener Woche live übertragenen, vorerst letzten Anhörung des Untersuchungsausschusses, der den Sturm aufs US-Kapitol vom 6. Januar 2021 aufarbeitet. Dass die Anhörungen wie eine spannende Fernsehserie rezipiert werden, ist durchaus ein Erfolg für die US-Demokraten, die es geschafft haben, aus den Anhörungen ein multimediales Spektakel zu machen. Jede einzelne Sitzung machte in den folgenden Tagen und Wochen weitere Schlagzeilen und in großen Zeitungen und Talkshows der USA meldeten sich weitere mögliche Zeugen und Zeuginnen zu Wort.

Die spektakulären Aussagen der mit dem Schutz des damaligen Vizepräsidenten Mike Pence beauftragten Secret-Service-Agenten dürften daher nicht die letzten Einlassungen in dieser Sache gewesen sein. In abgespielten Ton- und Videoaufnahmen vom Tag, an dem ein rechter Mob das Kapitol stürmte, war deutlich geworden, dass diese Männer und Frauen um ihr Leben fürchteten – und auch allen Grund dazu hatten. Nicht nur wegen der Anhänger Donald Trumps, die Pence und andere gern gelyncht hätten, sondern auch, weil Indi­zien darauf hindeuten, dass nicht alle Agenten und Agentinnen den Schutz der politischen Prominenz im Auge hatten. Dazu passt, dass die in jenen Januartagen verschickten Textnachrichten des Secret Service ganz zufällig verschwunden waren – und in der jüngsten Sitzung nur eine einzige präsentiert wurde.

Virginia Thomas‘ politische Überzeugungen lassen sich wohl am besten mit dem Motto einer von ihr gegründeten Facebook-Gruppe zusammenfassen: »Der Feind Amerikas ist die radikale faschistische Linke«.

Im September soll es mit den Anhörungen weitergehen, den August werde man damit verbringen, neue Fakten zu sichten, erklärte der Ausschuss bereits. Gearbeitet wird daran wohl unter Hochdruck, denn am 8. November stehen die midterm elections an, die Zwischenwahlen, bei denen alle Abgeord­neten des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Senatoren gewählt werden. Sollte sich durch die Wahlen Mehrheiten für die Republikaner ergeben, würde diese wohl dafür sorgen, dass der Untersuchungsausschuss beendet wird.

Aber wie könnte es in der nächsten Staffel weitergehen? Die Republikanerin und Trump-Kritikerin Liz Cheney kündigte am Sonntag auf CNN an, dass der Untersuchungsausschuss daran interessiert sei, die ultrarechte Aktivistin und Trump-Anhängerin Virginia »Ginni« Thomas vorzuladen. Die 65jährige, die sich seit 2011 als »Botschafterin der Tea Party« bezeichnet und unter anderem für den konservativen Think Tank »The Heritage Foundation« arbeitet, ist mit Clarence Thomas verheiratet, einem stockkonservativen Richter am Obersten Gerichtshof der USA.

Virginia Thomas hatte unter anderem Donald Trumps Stabschef im Weißen Haus, Mark Meadows, kurz nach der Präsidentschaftswahl eine Reihe von Textnachrichten geschickt, in denen sie nicht nur einschlägige Verschwörungslügen über angeblich von den Demokraten organisierten Wahlbetrug verbreitete. Sie drängte zudem darauf, alles zu tun, um das Wahlergebnis aufzuheben. In den SMS, die dem Untersuchungsausschuss im März 2022 übergeben wurden, formulierte Thomas darüber hinaus bei Qanon-Anhängern populäre Phantasien über mögliche drastische Bestrafungen für Joe Biden und andere angebliche Wahlbetrüger. Ihre politischen Überzeugungen lassen sich wohl am besten mit dem Motto einer von ihr im August 2020 gegründeten Facebook-Gruppe namens »Frontliners for Liberty« zusammenfassen, das lautete: »Der Feind Amerikas ist die radikale faschistische Linke.«

Bisher hatte Virginia Thomas sich geweigert, die Einladung zur Aussage vor dem Ausschuss anzunehmen. Wohl auch, weil negative Auswirkungen für die Arbeit ihres Mannes zu befürchten sind: Im April 2022 waren einer repräsentativen Umfrage der Quinnipiac University zufolge 52 Prozent der Befragten der Meinung, Clarence Thomas müsse sich als Konsequenz bei bestimmten Fällen, die mit der Präsidentschaftswahl von 2020 zu tun haben, als Richter am Obersten Gerichtshof für befangen erklären.

Ein in der vergangenen Woche ergangenes Gerichtsurteil könnte allerdings dazu führen, dass Virginia Thomas im September sehr wohl vor dem Ausschuss erscheinen müsste: Der ehemalige Berater Trumps, Stephen Bannon, war wegen seiner Weigerung, vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen, zu einer Haftstrafe verurteilt worden, deren Maß erst am 21. Oktober näher definiert werden soll. »Missachtung des Kongresses« hatte der Vorwurf gelautet. Das Urteil der Jury, gegen das Bannon allerdings Berufung einlegen will, war mit Spannung erwartet worden, weil mehrere Trump-Getreue wie der ehemalige Assistent des Präsidenten, Peter Navarro, sich auf das executive privilege berufen hatten. Dieses nicht in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Geheimhaltung bestimmter Informationen hatte unter anderem Trump als Rechtfertigung benutzt, um seine Finanzunterlagen nicht veröffentlichen zu müssen. Dass die Jury im Fall des ehemaligen Präsidentenberaters Bannon entschied, dass er der Vorladung des Untersuchungsausschusses Folge leisten müsse, wird allgemein als Erfolg für diesen Ausschuss angesehen. Allerdings, so vermerkte das linksliberale US-Magazin Mother Jones, würden Virginia Thomas, Bannon und andere sicherlich nicht bereitwillig aussagen, sondern sich wie feindliche Zeugen verhalten.