Ein Gespräch mit der Avengers-Sängerin Penelope Houston

»Mit den Avengers kann ich Wut auf sehr direkte Weise ausdrücken«

Interview Von Jens Uthoff

<p><strong>Sie haben einmal gesagt, Sie sähen Ihre Band Avengers auch in einer Folk-Tradition. Das überrascht, denn die Avengers pflegen einen klassischen Punksound.</strong></p>

Sie haben einmal gesagt, Sie sähen Ihre Band Avengers auch in einer Folk-Tradition. Das überrascht, denn die Avengers pflegen einen klassischen Punksound. Wie haben Sie das gemeint?

Oh, das habe ich vor langer Zeit gesagt, Ende der Siebziger. Damit meinte ich, dass wir einfach zusammen mit Freunden Musik machten, wo immer es gerade ging: in Garagen, in Clubs, an anderen Orten. In den Siebzigern gab es diese gigantomanischen Rock ’n’ Roll-Gruppen wie UFO, Boston oder Kansas. Die Bands reisten mit ganzen Trucks voller Equipment an, alles war sehr aufgeblasen. Wir waren einfach ein Haufen Kids, die sich Instrumente geschnappt und zusammen Musik für sich und ihre Freunde gemacht machen. Deshalb fühlte es sich für mich wie Folk Music an.

Eigentlich würde man eher die Sachen, die Sie solo gemacht haben – zum Beispiel »Cut You« (1996) oder »On Market Street« (2012) – dem Folk zuordnen. Sehen Sie eine direkte Verbindung ­zwischen den Avengers und Ihren Arbeiten als Solomusikerin?
 

Ja. Gerade zu Beginn war es eigentlich ein ähnlicher Ansatz: Man ging zu Freunden zum gemeinsamen Grillen, die Leute holten ihre Instrumente raus und begannen, ihre eigenen Songs zu spielen. Die Stücke hatten eine persönliche Ebene und wurden im Freundeskreis aufgeführt. Natürlich gab es einen Unterschied in der Lautstärke und auch in der Energie der Live-Auftritte, die Songwriter-Stücke waren viel leiser. Meine Haltung und meine Texte waren vielleicht auch nicht mehr so voreingenommen, wie sie es in der Teenager-Zeit waren. Aber diese Entwicklung machen sicher viele durch.

Das Cover des Albums »Avengers« und Bilder von Ihnen aus der ersten Zeit der Band Ende der Siebziger wirken heutzutage fast ­ikonisch, und sie zeigen auch, dass in der Frühphase des US-Punk viele Frauen dabei waren – was sich dann änderte.

Ja, das stimmt. 1977, als es losging, spielten in den USA viele Frauen in Bands oder sie waren anderweitig der Szene verbunden, als Fotografinnen, Fanzine-Macherinnen oder Bookerinnen. In der Zeit, in der es die Avengers zunächst gab, 1977 bis 1979, war das normal. 1980 gab es einen Umschwung und Hardcore kam auf. Das war wesentlich testosterongetriebener und rüpelhafter. Ich war nicht mehr so interessiert an der Szene. In den USA waren in der Hardcore-Szene weniger Frauen als in der frühen Punk-Community.

Sie haben sicher auch mit Ihrem Style – kurze, blond gefärbte Haare – viele Mädchen und Frauen beeinflusst.

Vielleicht! Eine der wichtigsten ­Regeln, nach denen ich lebte, war: Gib nichts drauf, was andere Leute sagen.

San Francisco hatte auch vor Punk eine starke Underground-Tradition, die Beat Generation war dort zum Beispiel sehr präsent. Gab es da Berührungspunkte?

Ja. Das erste Punk-Magazin San Franciscos, Search & Destroy, wurde von Lawrence Ferlinghetti unterstützt und mitfinanziert. Der Herausgeber des Magazins, V. Vale, hatte eine Weile in der Psychedelic-Experimental-Rockband Blue Cheer gespielt. Es gab vorher auch schon die Performance-lastigeren Gruppen wie The Cockettes, die Angels of Light und Ze Whiz Kidz, es gab Überschneidungen zu Bands wie den Screamers und The Lewd. Von der früheren Generation führte also schon eine direkte Linie in die Punk-Szene. Andererseits haben wir auch unser eigenes Ding gemacht, wir hatten unsere eigenen Clubs und Bands. An den Zeitungen der Bay Area ging es damals total vorbei, dass sich da eine musikalische und kulturelle Bewegung formierte.

Neben den Avengers sind aus der regionalen Frühphase des Punk vor allem The Nuns, Crime und The Go-Go’s bekannt. Wa­ren das die treibenden Kräfte der ersten Welle?

Die Go-Go’s kamen aus Los Angeles. Aber Crime and The Nuns waren die ersten Bands, die von hier stammten und hier auftraten. Dann kamen die Avengers. Das waren die wichtigsten Bands, The Mutants würde ich noch dazuzählen. Und The Dils gab es noch. Die Dead Kennedys kamen erst später. Wir haben einmal mit ihnen zusammengespielt.

Hatten Sie denn zu den Dead Kennedys und Jello Biafra einen guten Draht?

Ich zog bereits 1979 nach L.A. und arbeitete dort mit verschiedenen Leuten an Musik und an Filmen, auch deshalb kannte ich die Dead Kennedys nicht besonders gut. Als das ganze Hardcore-Ding losging, rauschten sie da so rein, obwohl sie musikalisch gar keine Hardcoreband waren. Sie waren sehr erfolgreich, dann gab es ihre berühmte Auflösung. Ich bin später noch mit verschiedensten Dead-Kennedys-Inkarnationen aufgetreten, mit und ohne Jello.

Wenn wir schon über Punk-Legenden sprechen: Sie sind mit den Avengers zusammen beim letzten Sex-Pistols-Gig 1978 aufgetreten. Welche Erinnerungen haben Sie an den Abend?

Das war das größte Publikum, vor dem wir je gespielt haben. Wir hatten zuvor vielleicht vor 500 oder 600 Leuten in Clubs gespielt, aber noch nie in einem so einem riesigen Konzertsaal. Es war ausverkauft. Es war, glaube ich, auch die größte Show, die die Sex Pistols bis zu jenem Zeitpunkt gespielt hatten – ihre einzige Show an der Westküste. Es waren vielleicht 5 000 bis 6 000 Menschen dort, mindestens die Hälfte von ­ihnen, würde ich schätzen, hatte vorher noch nie eine Punkshow besucht – die waren wohl ziemlich beeindruckt von dem Chaos. Leute warfen Dinge, spuckten auf die Bühne, drehten frei.

Nachdem die erste Band, The Nuns, gespielt hatte, gingen wir auf die Bühne, die war voller Spucke, richtig rutschig. Es gibt online ein Video von unserem Set. Anfangs war ich sehr aufgeregt, man hört das Zittern in meiner Stimme. Aber es wurde immer besser, am Ende fühlte es sich toll an. Als die Sex Pistols spielten, ging ich ins Publikum, schnell war ich schweißdurchtränkt. Ich weiß nicht, ob die Sex Pistols ihren Auftritt damals genossen haben, sie wussten wohl schon, dass es nicht gut stand um die Band. Aber viele fanden dieses Konzert sehr inspirierend und gründeten anschließend eigene Bands.

Sie kamen aus einer musikalischen Familie, aber Ihre Mutter war eher in der Klassik zu Hause. Wie kamen Sie zum Punkrock?

Als wir aufwuchsen, haben wir nicht so viel populäre Musik gehört. ­Meine Mutter hat in Stanford in Musik promoviert. Wir hörten viel Klassik und Gilbert und Sullivan, weil meine Mutter auch eine Gilbert-und-Sullivan-Gruppe leitete. Ich ging mit 16 aufs College und habe mich für die Weirdos interessiert – und damit meine ich jetzt nicht die kalifornische Band. Ich hörte Patti Smith, als ihr erstes Album »Horses« 1975 herauskam. Über Freunde kam ich zu unkonventionellen Gruppen wie der Bonzo Dog Doo-Dah Band, und ich habe damals auch viel Folk gehört, die britischen Bands Fairport Convention und Pentangle zählten zu meinen Favoriten. Dann kam ich zu Iggy Pop und Lou Reed, und als ich 1977 begann, am San Francisco Art Institute zu studieren, bin ich über die Poster der Band Crime gestolpert. Kurze Zeit später war ich Teil der Szene.

Wie ist es denn, mit den Avengers heute Songs zu spielen und zu singen, die Sie als 19- oder 20jährige geschrieben haben?

Ich denke, es sind gut gealterte Songs. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir einige Punksongs geschrieben haben, die sich von anderen dieses Genres abheben. Wenn ich sie heute singe, fühle ich mich im Prinzip genauso wie damals, als ich 19 war. Es gibt immer noch genug Anlässe, diese Songs zu singen: Wenn du Zeitung liest oder durch die Nachrichten scrollst, wirst du immer noch wütend, mit den Avengers kann ich diese Wut auf sehr direkte Weise ausdrücken. Und ich bin inzwischen eine bessere Sängerin, so ist es leichter für mich auf der Bühne. Ich hoffe, dass sich auch junge Leute von unserem Sound angesprochen ­fühlen.

Die Avengers waren zunächst eine sehr kurzlebige Band. Das klassische »Pink Album« (»Avengers«, 1983) kam als Kompilation erst nach dem vorläufigen Ende der Band heraus, später gab es Probleme mit Veröffentlichungen und Urheberrechten. Bedauern Sie manchmal, dass die Band anfangs nicht länger Bestand hatte?

Als unser Gitarrist Greg Ingraham uns Ende 1978 verließ, machten wir noch etwa sechs Monate mit Brad Kent weiter, einem Gitarristen aus Vancouver. Mit ihm haben wir einen meiner liebsten Avengers-Songs ­geschrieben, »Corpus Christi«. Uns fehlte aber damals die Zeit, um ins Studio zu gehen und mehr Stücke aufzunehmen. Wer weiß, wenn wir zusammengeblieben wären, hätten wir vielleicht eine Karriere wie die kalifornische Band X gehabt.
Ich habe später mit den akustischen Sounds zurück zur Musik gefunden. Der Großteil meiner Songs sind Folksongs, und ich hänge sehr an all diesen Stücken. Doch ich bin auch froh, dass wir die Band mit Greg Ingraham, Joel Reader und Luis Illades reformieren konnten und jetzt schon seit vielen Jahren in dieser Besetzung auftreten.

Sie haben Ihre Solosongs ­erwähnt. Ihr bislang letztes Soloalbum, »On Market Street«, ­erschien 2012. Arbeiten Sie derzeit an etwas?

Seit diesem Album habe ich nicht viele Songs geschrieben. Ich trete mit meinen Solosongs auch nicht mehr so häufig auf, ein paar Mal im Jahr. Wenn ich das wieder mehr machen würde, würde ich vielleicht auch mehr neue Stücke komponieren. Der wichtigste Grund, warum ich nicht mehr so viele Songs schreibe, ist vielleicht, dass ich angefangen habe zu malen. In den vergangenen Jahren habe ich mich viel mit Fahndungsfotos aus der Bay Area aus den zwanziger bis vierziger Jahren beschäftigt. Zu dem Thema habe ich verschiedene Serien gemalt. Derzeit läuft eine Ausstellung in Watsonville in Kalifornien.
 

Penelope Houston (63) ist Sängerin der Punkband Avengers aus San Francisco. Sie spielte von 1977 bis 1979 in der Band und formierte die Gruppe 1999 neu. In den späten Achtzigern begann sie eine Solokarriere und veröffentlichte insgesamt zwölf Folk-/Pop-/Rock-Alben. Heutzutage lebt Houston als bildende Künstlerin und Musikerin in Oakland. Vom 8. bis 14. August touren die Avengers in Deutschland und treten in Essen (8.8.), Hamburg (9.8.), Köln (10.08.), München (11.08.), Stuttgart (12.08.), Dresden (13.8.) und Berlin (14.8.) auf.