Frankreich reagiert zögerlich auf die Dürre

Lieber mal Luft ablassen

Die französische Regierung lehnt Maßnahmen gegen den extrem hohen Wasser- und Energieverbrauch der Reichen ab – Dürre hin, Klimaschutz her. Einige Aktivisten wollen nun exemplarisch Abhilfe schaffen.

An Kartoffeln mangelt es in Deutschland noch nicht. In Frankreich könnte das schon bald anders aussehen. In der Bundesrepublik titelte das Agrarportal Proplanta am Sonntag zwar nur: »Knapp unterdurchschnittliche Kartoffelernte erwartet«. Die Meldungen aus Frankreich klingen jedoch alarmierender. Am Freitag voriger Woche kündigte der Kartoffelproduzentenverband UNPT an, die zu erwartende Ernte werde dieses Jahr voraussichtlich um ein Fünftel unterhalb des Durchschnittsertrags der vergangenen 20 Jahre liegen. Es werde »die schlechteste Ernte seit dem Jahr 2000« sein, regional könnten die Erträge 30 bis 50 Prozent unter dem Durchschnittswert liegen. Noch stärkere Rückgänge werden für die kommenden Monate beispielsweise bei Oliven erwartet, deren Ernte in Südfrankreich bevorsteht.

Der Grund für die schlechten Ernten ist insbesondere die seit Monaten anhaltende extreme Trockenheit. Aufgrund der diesjährigen Dürre, nach Angaben des staatlichen Wetterdienstes Météo-France der schlimmsten seit Beginn der Aufzeichnungen 1958, waren am Wochenende in 93 von insgesamt 96 auf dem europäischen Festland sowie auf Korsika liegenden französischen Départements oder Verwaltungsbezirken amtliche Einschränkungen des Wasserverbrauchs in Kraft. 29 Prozent der Zuflüsse der Loire lagen komplett trocken und weitere zwölf Prozent führten nur noch unterirdisch Wasser, der Strom hatte auf seinen etwa 1 000 Kilometern Länge einen historischen Tiefststand erreicht. Bereits am 18. Juni wurde im südwestfranzösischen Belin-Béliet eine Rekordtemperatur von 43,2 Grad gemessen.

»Der diesjährige Sommer muss unser Pearl Harbor werden«, sagte der grüne Spitzenpolitiker und vormalige Präsidentschaftskandidat Yannick ­Jadot in einem Interview, das am 21. August in der Sonntagszeitung JDD erschien. Er und der Parteivorsitzende der Grünen, Julien Bayou, forderten beispielsweise ein Verbot von oder zumindest Kontrollen und Einschränkungen bei Flügen in Privatjets. Vorausgegangen war im Juli eine Debatte über Flüge von französischen Milliardären und Großunternehmern, nachdem Akti­visten, die deren Flugdaten sammelten, Einzelinformationen über Reisen von Vincent Bolloré und Bernard Arnault veröffentlicht hatten. Bei diesen Flügen scheint es vor allem um Exklusivität zu gehen, denn die Zeitersparnis ist gering. So flog Patrick Pouyanné, der Generaldirektor von Total Energies, von Paris nach Aix-en-Provence. Das dauert gut eine Stunde, doch man muss auch erst zu einem Flughafen oder Landeplatz außerhalb der Stadt kommen – von Zentrum zu Zentrum würde man im Zug circa drei Stunden benötigen. Eine Reise im Jet zwischen Paris und Aix entspricht vom CO2-Ausstoß her 1,8 Millionen Kilometern Zugfahrt.

Pouyanné hatte bei seinem Auftritt auf einem Wirtschaftsforum in Aix-en-Provence am 9. Juli das Publikum zum Energiesparen zwecks Zukunftssicherung aufgefordert. So sollten die Menschen aus ökologischen oder Klimaschutzgründen ihren Heißwasserboiler zu Hause auf maximal 50 Grad »statt auf 60 oder 70 Grad« einstellen. Bei einer Wassertemperatur unter 55 Grad besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für die Bildung von Legionellen.

Die Parteien des Regierungslagers stellten sich jedoch scharf gegen die Vorstöße, den Privatjetverkehr einzuschränken. Dieser macht derzeit zehn Prozent der Flüge in Frankreich aus. Der Sektor verzeichnet ein starkes Wachstum vor allem infolge der Covid-19-Pandemie. Der führende Anbieter in Frankreich, Valljet, Eigentümer von 30 Flugzeugen, verzeichnete ein Wachstum von 80 Prozent im Sommer 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und von 190 Prozent gegenüber 2020.

Clément Beaune, beigeordneter Minister für Transport im Umweltminis­terium, zeigte sich in einer ersten Reaktion aufgeschlossen für eine »Regulierung« des Sektors. Daraufhin stauchte ihn jedoch Präsident Emmanuel Ma­cron bei einem Treffen zusammen: Die Regulierungsforderung sei »demagogisch«. Auch Regierungssprecher Olivier Véran sprach sich gegen eine solche Idee aus, man müsse auch an die Arbeitsplätze denken.

Eher praktische Maßnahmen ergriffen im Laufe des Sommers unbekannte Aktivisten in mehreren Städten. Es ­begann im Juli mit Aktionen gegen übermotorisierte Fahrzeuge, auch als »Stadtpanzer« bezeichnet. Am 28. Juli postete ein Twitter-Konto, das im Namen des Kollektivs Dégonfleurs de SUV (dégonfler bedeutet »Luft ablassen«) betrieben wird, ein Bekenntnis zu nächtlichen Aktivitäten, die zu Reifenplatten bei »35 Panzern in einer Stadt Westfrankreichs« geführt hätten. Am 5. August verbreitete die Nachrichten­agentur AFP eine eigene Meldung, die berichtete, das »mysteriöse Kollektiv« suche nun auch in Paris nach – eine Formulierung des Kollektivs, nicht der Agentur – »verschmutzenden, unnötigen und schädlichen Karren« der Ka­tegorie SUV.

Nahezu im gesamten europäischen Staatsgebiet Frankreichs wurde die Wassernutzung zum privaten Gebrauch erheblich eingeschränkt – Kommunen des Départements Drôme beispielsweise sperrten tagelang die Wasserleitungen für Privathaushalte komplett. Der Landwirtschaft wurde das Bewässern entweder gleich untersagt oder nur zu Nachtzeiten gestattet. Doch die Grünflächen von Golfanlagen wurden landesweit weiterhin bewässert, begründet wurde die Ausnahme mit dem ­Argument, sonst seien Arbeitsplätze gefährdet.

Nicht alle Einwohner schienen damit einverstanden zu sein. In der Nacht vom 10. zum 11. August zementierten in Toulouse unter dem Kollektivnamen Kirikou agierende Unbekannte auf zwei Golfplätzen die Löcher zu. Auf einigen hinterließen sie Schilder, auf denen beispielsweise zu lesen war, 600 Golfplätze in Frankreich verbrauchten so viel Wasser wie 280 000 Privatpersonen.

Im lothringischen Gérardmer, einem Erholungsort an einem malerischen See in den Vogesen, ging die ­sozialdemokratisch geführte Stadtverwaltung im Hochsommer dazu über, Wasser aus dem See abzupumpen, um die Haushalte der Anwohner weiterhin versorgen zu können. Das hinderte einige begüterte Bewohner nicht daran, weiterhin ihre Whirlpools volllaufen zu lassen. Acht Whirlpools wurden ­jedoch in der Nacht zum 29. Juli angebohrt, der Sachschaden wurde auf insgesamt 80 000 Euro beziffert. In einem Falle wurde ein Schild mit der Aufschrift hinterlassen: »Wasser ist zum Trinken da! Ihr macht die Vogesen ­kaputt.«

Freiwillig werden die Begüterten wegen des Klimawandels oder des Gasmangels – dieser trifft Frankreich, das weniger Gas aus Russland bezieht, nicht so hart wie Deutschland und Italien – wohl nicht zurückstecken. Premierministerin Élisabeth Borne verkün­dete am Montag bei der Sommerakademie des Arbeitgeberverbands Medef einige Energiesparmaßnahmen. Dazu zählte, Geschäfte nach ein Uhr nachts nicht mehr zu beleuchten oder nicht gleichzeitig die Klimaanlage in Betrieb und die Türen geöffnet zu halten. ­Diese Regeln standen im ersten Fall bereits seit 2013 in einer Verordnung, im zweiten Fall in den vor drei Jahren veröffentlichten Empfehlungen des von der Regierung aus ausgelosten Bürgern gebildeten Klimarats. Auch bei ­lückenloser Befolgung wären die Einsparungen gering.